Artikel von Elmar Schütze/ Berliner Zeitung
Die Berliner Linke erneuert ihre Forderung, der Berliner Senat solle sich bei der Bundesregierung dafür einsetzen, dass Flüchtlinge aus Gaza in der Hauptstadt aufgenommen werden. Anlass diesmal: der Weltfriedenstag am Montag. Die Grünen und die SPD setzen bei dem Thema andere Akzente und Prioritäten.
Berlins Linke-Chefin Kerstin Wolter spricht in ihrer Mitteilung von „unerträglichen Bildern“ aus Gaza, wo das Sterben kein Ende finde und Hunderttausende von Hungersnot betroffen seien. Jetzt müsse der „CDU-Senat (…) endlich handeln und ein Landesaufnahmeprogramm auflegen“.
Ihre Partei streite weiter für eine solidarische Willkommenskultur und ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in Berlin, so Wolter weiter. Im Übrigen stemme sich die Linkspartei „mit aller Kraft gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft, die Aufrüstungsspirale und gegen die Einführung der Wehrpflicht durch die Hintertür. Und wir wollen eine Friedensklausel in die Berliner Verfassung aufnehmen und dafür sorgen, dass die Stadt keine Verträge mit Rüstungsunternehmen abschließt“.
Bei ihrer Forderung nach Aufnahme von Menschen aus dem Gazastreifen verweist Wolter darauf, dass in Berlin die „größte palästinensische Community Deutschlands“ lebe. Viele von ihnen bangten um Verwandte in der Region und sie sollten die Möglichkeit erhalten, Angehörige bei sich aufnehmen zu können. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit, sagt sie.
Die Idee aus der Linkspartei ist nicht neu, und auch der Verweis auf die in Berlin lebenden Palästinenser ist es nicht. Bereits im vergangenen Oktober hatte die Abgeordnete (und mögliche Spitzenkandidatin für die Berlin-Wahl im nächsten Jahr) Elif Eralp die Aufnahme von Menschen aus dem Gazastreifen und aus dem Libanon – insbesondere der dort lebenden staatenlosen Palästinenser – in Berlin gefordert. Sie sprach sogar von „der größten palästinensischen Community Europas“, die in Berlin lebe und forderte entsprechende Aufnahmeprogramme für Syrer, Iraker und Afghanen auch auf Palästinenser auszuweiten.
Der Verweis auf die Befindlichkeiten der Palästinenser in Berlin erinnert an eine andere Forderung der Linken: Im Juli dieses Jahres forderte die Linke-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung von Mitte, die israelischen Nationalflaggen vor öffentlichen Gebäuden wie etwa dem Roten Rathaus abzuhängen. Sie begründete dies mit Rücksichtnahme „gegenüber palästinensischen Berliner*innen, für die dies ein belastendes Symbol der aktuellen Kriegsführung darstellt“.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) lehnte den Vorstoß umgehend ab. „Die israelische Fahne wird solange am Roten Rathaus hängen, bis die letzte Geisel frei ist – und daran wird sich nichts ändern“, erklärte Wegner laut einem Sprecher der Senatskanzlei. Und weiter: „Mein Mitgefühl gilt den zivilen Opfern auf beiden Seiten: den unschuldigen Menschen in Israel, die Opfer eines beispiellosen Terrorangriffs wurden, ebenso wie der leidenden Zivilbevölkerung in Gaza, die von der Hamas bewusst mit in diesen Konflikt hineingezogen wurde
CDU-Vertreter wie der Innenpolitiker Burkard Dregger kritisierten in diesem Zusammenhang die Linkspartei erneut scharf für deren ihrer Meinung nach mangelnder Abgrenzung zu Hamas-Sympathisanten. Die Israelflagge vor dem Roten Rathaus sei ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Solidarität mit Israel ein „zentrales Fundament der deutschen Demokratie“ sei, so Dregger.
So sprachen Berlins Grüne auch nicht über Flaggen vor Dienstgebäuden in der Hauptstadt, als auch sie sich unlängst zu den Vorgängen im Nahen Osten äußerten und dabei eine Aufnahme von Menschen aus dem Kriegsgebiet forderten – allerdings von Kindern aus Gaza und Israel, wie es in einer Mitteilung der beiden Fraktionsvorsitzenden hieß. Bettina Jarasch und Werner Graf argumentierten mit Kindern aus beiden Herkunftsgebieten, tatsächlich aber hatten sie offenbar vor allem diejenigen aus Gaza im Blick, als sie davon sprachen, dort sei „die humanitäre Lage katastrophal“. Eines ist jedenfalls sicher: In Israel ist sie dies nach Lage der Dinge nicht. Die Grünen forderten zudem ein Aufnahmeprogramm, „um gezielt Kinder zu evakuieren, die dringend medizinische, psychologische und soziale Hilfe brauchen“. Auch dafür gilt: Solche Hilfe ist in Israel grundsätzlich gegeben.
So oder so: Aus Sicht der Grünen stünden „SPD und CDU in der Landesregierung in der Verantwortung, sich für eine Aufnahme einzusetzen. Wer Humanität ernst meint, muss jetzt handeln. Das ist eine Frage der Menschlichkeit“.
Die Grünen-Forderung nach einer Aufnahme von bedürftigen Kindern aus Gaza und Israel ist also schwer nachvollziehbar und womöglich ein wenig leichtfertig dahergesagt. Aber wenigstens traten ihre Spitzenpolitiker bei dem Thema einstimmig an die Öffentlichkeit. Ganz anders machte es die SPD, die sich ernsthaft mit den möglichen Konsequenzen aus solchen Forderungen auseinandersetzte. Allerdings zerstritten sich die Berliner Sozialdemokraten über der Frage, ob – und, wenn ja, wen – man aus dem Kriegsgebiet aufnehmen solle.
Der innenpolitische Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion, Martin Matz, warnte vor einem weiteren Anstieg antisemitischen Potenzials in der Stadt, wenn man Flüchtlinge aus Gaza in Berlin aufnähme. Sollte dies dennoch geschehen, bedürfte es zumindest strenger Sicherheitsüberprüfungen. Stattdessen plädierte er dafür, sich auf die medizinische Versorgung bei Kampfhandlungen verletzter Kinder aus Gaza zu konzentrieren. Das sei angesichts der ausgezeichneten Ausstattung etwa des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB) oder der Charité nicht nur sehr gut möglich, sondern auch gute, eingeübte Praxis, so Matz.
Die scharfe Replik des starken migrantischen Flügels der Hauptstadt-SPD folgte auf dem Fuße. Matz vertrete eine Minderheitenmeinung in der SPD, postete der integrationspolitische Sprecher der Fraktion, Orkan Özdemir, bekannt als Kritiker von Koalitionen der SPD mit der CDU. Es sei Beschlusslage der Partei, dass man wolle, dass Berlin Gaza-Flüchtlinge aufnehme.
Der Krieg im Nahen Osten und seine Auswirkungen auf den Rest der Welt beschäftigen die Berliner Politik weiter – und eben auch die so streitlustige Regierungspartei SPD. Ein Thema unter vielen, mit denen sich der designierte Spitzenkandidat der Partei für die Abgeordnetenhauswahlen im kommenden Jahr, Steffen Krach, auseinandersetzen muss. Der 46-Jährige, der die vergangenen vier Jahre in seiner Heimat Hannover als Regionspräsident gearbeitet hat, will sich am Montag im Kurt-Schumacher-Haus vorstellen. Pünktlich zum Weltfriedenstag.