Jede vierte Abschiebung in NRW betrifft Minderjährige

von Fremdeninfo

Artikel von Julia Rathcke

Düsseldorf. Mit 3007 abgeschobenen Personen über die Flughäfen Düsseldorf und Köln-Bonn ist sowohl die Zahl der Rückführungen als auch der Anteil Minderjähriger gestiegen. Unabhängige Abschiebungsbeobachtern kritisieren Missachtung beim Kindeswohl und Zwangsmaßnahmen – und sprechen von 42 problematischen Fällen.

 Die Zahl der Abschiebungen ist unter dem politischen Druck im vergangenen Jahr nicht nur bundesweit, sondern auch in Nordrhein-Westfalen erneut gestiegen: Knapp 800 Abschiebungen mehr als im Jahr zuvor veranlasste das Land im Jahr 2024 – vor allem nach Georgien, Nordmazedonien, Albanien und in die Türkei. Insgesamt 3007 Personen sind auf dem Luftweg über die Flughäfen Düsseldorf und Köln-Bonn zurückgeführt worden – ein Anstieg um 18 Prozent im Vergleich zu 2023. Auch die Zahl der Minderjährigen darunter ist höher – jede vierte abgeschobene Person war nicht volljährig. Ein Punkt, der für Kritik sorgt.

Der Jahresbericht der unabhängigen „Abschiebungsbeobachtung des Forums Flughäfen NRW“ nennt 42 problematische Fälle , bei denen unter anderem das Kindeswohl nicht vorrangig berücksichtigt worden oder Zwangsmaßnahmen nicht verhältnismäßig gewesen seien. Die Beobachtungsstelle, die beim evangelischen Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe angesiedelt ist, mahnt an, die humanitären Standards einzuhalten und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in jedem Einzelfall zu wahren. „Der politische Druck, Abschiebungen konsequent umzusetzen, und der zunehmend polarisierende mediale Diskurs hatten im vergangenen Jahr spürbare Auswirkungen auf den Vollzug“, erklärte Mert Sayim vom Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe am Dienstag in Düsseldorf.

Sayim und seine Kollegin Judith Fisch, die zusammen eine Vollzeitstelle zum Zwecke der Abschiebungsbeobachtung ausfüllen, waren 2024 bei 19 von insgesamt 36 Chartermaßnahmen sowie 60 Einzelmaßnahmen dabei, die überwiegend am Flughafen Düsseldorf stattfanden und grundsätzlich von der Bundespolizei durchgeführt werden. 42 Fälle mit insgesamt 106 beteiligten Personen stuften die Beobachter als „diskussionswürdig“ ein, nicht immer hätten alle Fragen mit den zuständigen Behörden geklärt werden können. In drei Fällen Fall seien etwa Minderjährige gefesselt im Fahrzeug zum Flughafen gebracht worden. In einem Fall sei ein Geschwisterpaar (17 und 20 Jahre alt) ohne die Mutter zur Abschiebung gebracht worden, weil laut zuständiger Ausländerbehörde „die Mutter eh nie zu Hause sei“ und der Vater nicht in Deutschland lebe. Stahlfesseln hätten sie benutzt, „weil bei den letzten Aufgriffen Leute flüchten wollten“, zitierten die Beobachter die Behörde. Das NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI) äußerte ebenfalls Unverständnis und will den Fall prüfen.

Es gebe im Abschiebeprozess „keine Rückführung um jeden Preis“, betonte Anja Kleinmann von der Bundespolizei am Flughafen Düsseldorf. Man arbeite professionell, aber so menschlich wie möglich und sei sich im Klaren darüber, dass jede Abschiebung emotional belastend sei. Alle Beamten würden speziell und wiederkehrend geschult, das Haupthilfsmittel bei Abschiebungen sei die Kommunikation. Für Familien seien jüngst zwei neue Räume am Flughafen eingerichtet mit Teddybären und Spielzeug. Alle Abschiebungsmaßnahmen seien „bewährt und strukturiert“. Bei Gefahr einer gesundheitlichen Verschlechterung seien Rückführungen in Einzelfällen auch abgebrochen worden. „Handfesseln, Festhaltegurte, Kopf- und Beißschutz kommen nur in sehr wenigen Fällen zum Einsatz“, so Kleinmann.

 

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