Hundert Ermittlungsverfahren nach Ausschreitungen bei Eritrea-Festival in Giessen – jetzt wird der Ruf nach Konsequenzen laut
Artikel von Fatina Keilani, Berlin •
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Nach den Ausschreitungen während eines Eritrea-Festivals in Giessen wird der Ruf nach Konsequenzen lauter. Bei den Zusammenstössen mit Gegnern der Veranstaltung waren am Samstag 28 Polizisten verletzt worden. Sie hätten vor allem Platzwunden sowie Bänderrisse und -zerrungen erlitten, sagte ein Polizeisprecher. Am Sonntag musste keiner von ihnen mehr im Spital behandelt werden.
Das Festival wurde am Sonntag unter massivem Polizeiaufgebot fortgesetzt; Hunderte Einsatzkräfte nicht nur aus Hessen, sondern auch aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei sicherten es ab. Gegner des Festivals hatten am Samstag Polizisten angegriffen und unter anderem versucht, auf das Messegelände zu gelangen. Die Polizei setzte unter anderem Schlagstöcke und Pfefferspray ein.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte die Bundesregierung auf, den Botschafter des ostafrikanischen Landes einzubestellen. «Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen», sagte er am Samstag. «Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten.» Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Stephan Brandner kritisierte, dass das Eritrea-Festival überhaupt in Deutschland stattfinden dürfe. «Die Diktatur möge sich selbst in Eritrea feiern. So etwas hat in unserem Land nichts verloren.»
Es hat sich verwirklicht, was befürchtet worden war
Die Stadt Giessen hatte Ende Juni das Festival verboten, weil sie Ähnliches schon befürchtet hatte. Bereits im vergangenen Jahr hatte es bei dem Festival Ausschreitungen gegeben. Das Verbot war jedoch von Gerichten aufgehoben worden. Gegner der Veranstaltung sehen eine problematische Nähe zur Regierung Eritreas.
In der Verbotsverfügung hatte die Polizei darauf verwiesen, dass Oppositionelle des eritreischen Regimes ebenso wie regierungstreue Eritreer anreisen und alle Beteiligten hoch emotionalisiert sein würden und Zusammenstösse daher wahrscheinlich seien.
Die Deutsch-Eritreische Gesellschaft hatte in einer scharf intonierten Erklärung dem Magistrat der Stadt Giessen Ende Juni vorgeworfen, vor «ethnofaschistischen Gewalttätern» zu kapitulieren, statt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu schützen und dafür alle Instrumente des Rechtsstaats aufzubieten. Der Veranstalter des Festivals, der Zentralrat der Eritreer in Deutschland, hatte sich bis zum Samstagnachmittag noch gar nicht geäussert.
Inzwischen gibt es rund hundert Ermittlungsverfahren
Es kam dann so wie befürchtet. Die Nacht zum Samstag war noch ruhig, doch am frühen Samstagmorgen gegen 5 Uhr 30 ging es los: «massive Angriffe» auf die Polizei, Stein- und Flaschenwürfe, Schlägereien, entzündete Rauchbomben, das Einreissen von Absperrzäunen und Versuche, polizeiliche Absperrungen zu durchbrechen. Die Beamten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Ein Wasserwerfer stand bereit.
Mindestens hundert Personen wurden laut Polizei in Gewahrsam genommen, zuvor waren bereits etwa fünfzig Platzverweise erteilt worden. Es wurden rund hundert Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Polizei wies Gerüchte aus sozialen Netzwerken als falsch zurück, dass es einen Toten gegeben habe. In den sozialen Netzwerken kursierten viele Videoschnipsel.
An den Hessenhallen – dem Veranstaltungsgelände – habe eine grosse Gruppe von vermutlich etwa hundert Personen den Absperrzaun eingerissen, hiess es. Am Neustädter Tor gab es laut der Polizei eine Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Beteiligten. Dort soll es auch zu Drohungen gegenüber Autofahrern gekommen sein. Autos seien beschädigt worden. Von einer Brücke seien Gegenstände geworfen worden. Die Polizei riet den Bewohnern, die Gegend weiträumig zu umfahren.
Eritrea mit seinen rund drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer in einem jahrzehntelangen Krieg erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isaias Afewerki in einer Ein-Partei-Diktatur das Land. Parteien sind verboten, die Meinungs- und die Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.