Artikel von Erkan Pehlivan ./F.R.
Zwischen 2014 und 2024 sind Millionen von EU-Geldern an Organisationen aus der Türkei geflossen. Darunter finden sich mehrere mit Verbindungen zu Präsident Erdogan.
Frankfurt/Ankara – Die Europäische Union unterstützt viele Organisation mit Geld, auch solche aus der Türkei. Eine Anfrage des EU-Abgeordneten Moritz Körner (FDP) an die EU-Kommission hat ergeben, dass Organisationen, die dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nahestehen, seit 2014 mit mehr als vier Millionen Euro von der Europäischen Union unterstützt wurden.
Dazu gehören unter anderem die Organisationen TÜGVA (1.013.138 Euro), TÜRGEV (773.315 Euro), IHH 102.438 Euro) ,ÖNDER İmam Hatipliler Derneği (182,683 Euro), Dünya Etnospor Konfederasyonu (554.058 Euro) und der Staatssender TRT. In einigen der Organisation sitzen die Kinder des türkischen Präsidenten in der Führung. Die SETA-Stiftung habe zudem 126.951 Euro erhalten, wovon 90 Prozent direkte EU-Mittel waren. Die Gelder stammen aus den EU-Förderprogrammen „Erasmus+“ und „Europäisches Solidaritätskorps“. Die von der EU geförderten türkischen Organisationen stehen Präsident Recep Tayyip Erdogan nahe und sind mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Wir haben einige der Organisationen näher unter die Lupe genommen:
TÜRGEV: Erdogan gründete die Jugendstiftung in der Türkei
Die Türkiye Gençlik ve Eğitime Hizmet Vakfı (übersetzt: Stiftung für Jugend- und Bildungsdienste der Türkei) wurde vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan selbst gegründet. Sein Sohn Bilal Erdogan ist Mitglied des Vorstandes und gilt als eigentlicher Drahtzieher hinter der Stiftung. Immer wieder geriet TÜRGEV in die Schlagzeilen. „Neuer Skandal in der Türkei: 100 Millionen Dollar sind an die Stiftung von Bilal Erdogan geflossen – dem Sohn des Premiers. Das Geld kommt aus dem Ausland, die Opposition wittert Korruption“, hatte der Spiegel bereits 2014 geschrieben. Laut dem Online-Nachrichtenportal Diken sollen auch finanzielle Mittel aus Saudi-Arabien gekommen sein. „Laut offiziellen Aufzeichnungen wurde das betreffende Geld nicht an TÜRGEV, die vor der Namensänderung als İSEGEV tätig war, sondern direkt auf das Konto von Bilal Erdoğan überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bilal Erdoğan keinerlei offizielle Verbindung zu İSEGEV“, schreibt das Blatt.
EU-Gelder gehen auch an TÜGVA-Stiftung in der Türkei
Auch bei der Stiftung namens Türkiye Gençlik Vakfı (übersetzt: Türkische Jugendstiftung) bekleidet der Sohn Erdogans ein Amt in der Führungsebene. Die TÜGVA erfreut sich guter Beziehungen zu den türkischen Behörden, wie eine Meldung der Cumhuriyet aus dem Jahr 2023 mutmaßen lässt. „Die Provinzverwaltung für Umwelt, Stadtentwicklung und Klimawandel sowie die Abteilung für staatliches Eigentum auf der europäischen Seite (von Istanbul) haben das Grundstück von 8.419 m² im Stadtteil Şenlikköy des Bezirks Bakırköy, einschließlich eines 625 m² großen Kulturzentrums, einer Moschee und eines 925 m² großen Internatsgeländes, unentgeltlich für 49 Jahre an TÜGVA zugewiesen“, schrieb die Zeitung.
Die Gazete Duvar vermeldete 2021 Ähnliches: Das Studentenwohnheim Bayram-Mustafa Doğa sei ebenfalls der TÜGVA vermacht worden. „Das Heim in der Yenigün-Siedlung wurde umbenannt und heißt nun ‚Şehit Yasin Naci Ağaroğlu Hochschul-Studentenheim für Männer‘ – offenbar, weil es ursprünglich zum Netzwerk des im vergangenen Jahr im US-Exil verstorbenen Predigers Fethullah Gülen gehörte, das nach dem Putschversuch 2016 beschlagnahmt wurde.“
Im Juli 2024 hatte die TÜGVA aus allen Provinzen rund 7.000 Schüler in die Hagia Sophia in Istanbul zum gemeinsamen Gebet versammelt. Die Bilder in den sozialen Medien sprechen für sich. Zu hören sind dort gemeinsame „Allahu Akbar“ Rufe und zu sehen ist bei einigen Teilnehmern das Zeichen der Grauen Wölfe.
Dünya Etnospor Konfedarasyonu: Erdogans Sohn ist Präsident
Präsident der Dünya Etnospor Konfederasyonu (übersetzt: Welt-Ethnosport Konföderation) ist ebenfalls Bilal Erdogan. Auf ihrer Internetseite schreibt die Organisation, „die Bewahrung, Entwicklung und Nachhaltigkeit traditioneller Sportarten und Spiele, die von Generation zu Generation weitergegeben werden“, zu fördern. Auch hier soll es Skandale gegeben haben. „Es wurde bekannt, dass ein Teil des für die Bebauung freigegebenen Geländes des Çekmeköy-Kasernenkomplexes in Istanbul an die Dünya Etnospor Konfederasyonu gegangen ist, deren Präsident Bilal Erdoğan, der Sohn des AKP-Präsidenten Erdoğan, ist“, schreibt die Oppositionspartei CHP in einem Bericht.
SETA-Stiftung bekommt EU-Gelder, steht aber in der Kritik
Die Stiftung namens Siyaset, Ekonomi ve Toplum Araştırmaları Vakfı (übersetzt: Stiftung für Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsforschung) wurde 2005 gegründet und ist „eine unabhängige und gemeinnützige Denkfabrik, die zu aktuellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Themen von Bedeutung für die Türkei und die Welt forscht“, heißt es auf der Internetseite der Stiftung. SETA führe Forschungen zu einem breiten Spektrum von Themen wie Innen- und Außenpolitik, Sicherheit, Wirtschaft, Gesellschaft, Medien, Recht, Energie und Technologie durch und teilt ihre Ergebnisse in verschiedenen Publikationsformaten mit Interessierten, heißt es darin weiter.
Die Stiftung hatte 2019 mit ihrem Bericht „Der verlängerte Arm internationaler Medienorganisationen in der Türkei“ für große Empörung gesorgt. „Darin stellen die Autoren Journalisten ausländischer Sender wie der Deutschen Welle, BBC und Voice of America persönlich an den Pranger – mit Verweis auf ihre Lebensläufe und mit teils falschen oder fingierten Angaben“, kritisiert die Deutsche Welle.
Auch Reporter ohne Grenzen (RoG) übt scharfe Kritik: „Türkische Journalistinnen und Journalisten, die für diese Programme arbeiten, werden als vermeintliche Regierungsgegnerinnen und -gegner namentlich sowie mit biografischen Details und Social-Media-Aktivitäten an den Pranger gestellt.“ Die Berichterstattung über Prozesse gegen Medienschaffende sowie das Teilen von Tweets von RoG sowie von Medien wie Cumhuriyet und Evrensel werden als Beweis für „Anti-Regierungs-Positionen“ bezeichnet.
Kritik wegen EU-Förderung von Erdogan-nahen Organisationen
Umso größer ist die Empörung, dass diese Erdogan-nahen Organisationen mit EU-Geldern finanziert werden. „Während sich eine Abteilung der EU-Kommission für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzt, finanziert eine andere Abteilung Erdoğan-Propaganda, Verleumdungen gegen Erdoğan-Kritiker und Prestigeprojekte der Erdoğan-Familie. Das muss ein Ende haben. Es ist nicht Aufgabe der EU-Steuerzahler, Erdoğans Günstlinge mit Millionenbeträgen zu finanzieren“, sagt EU-Parlamentarier Moritz Körner (FDP) im Gespräch mit Fr.de von Ippen.Media.
Auch im Hinblick auf die Machenschaften der SETA ist die Verärgerung groß. Europa könne nicht glaubwürdig für Menschenrechte eintreten, wenn es gleichzeitig Systeme finanziert, die diese Rechte mit Füßen treten. „Alle Geldflüsse an Erdogans Günstlinge müssen transparent gemacht und sofort eingestellt werden“, so Körner weiter.
Laut Linken-Abgeordnete auch deutsche Steuergelder geflossen
Empört zeigt sich auch die Bundestagsabgeordnete Cansu Özdemir (Die Linke) gegenüber unserer Redaktion. „Es ist besorgniserregend, dass ausgerechnet die Organisationen TUGVA und TÜRGEV, die für ihre islamistische Haltung, mafiösen Strukturen und mangelnde Transparenz bekannt sind, weiterhin beträchtliche Summen aus EU-Fördermitteln erhalten. Auch mit deutschen Steuergeldern werden dadurch Organisationen unterstützt, die nicht nur der Regierung Erdogans nahestehen, sondern die gezielt säkulare und oppositionelle Stimmen verdrängen und einer offenen Gesellschaft entgegenstehen“.
Die Gelder aus der EU und damit auch Steuergelder sollten stattdessen unabhängigen zivilgesellschaftlichen Initiativen zugutekommen und nicht dazu verwendet werden, politische Einflussnahme und Patronagestrukturen Erdogans zu stärken. Die Vergabepraxis der EU müsse dringend überprüft werden, damit sichergestellt sei, dass Demokratie und Vielfalt gefördert werden und nicht autoritäre Strukturen, so Özdemir.
Vorwurf der „Heuchelei“ an die EU wegen Verbindungen zu Erdogan-Organisationen
Verärgert zeigt sich auch die deutsch-türkische Journalistin Süheyla Kaplan. „Die Verteilung von EU-Mitteln über solche Strukturen unter dem Deckmantel von ‚Jugend‘ und ‚Zivilgesellschaft‘ ist Ausdruck einer Heuchelei, die reaktionäre Kräfte unterstützt. Europa gibt mit dieser stillen Partnerschaft, die seine eigenen Werte ignoriert, nicht jenen, die in der Türkei für Freiheit und Gleichheit kämpfen, Unterstützung, sondern nährt das repressive System“, so Kaplan gegenüber Fr.de von Ippen.Media.
Auch dieses Jahr können sich die Organisationen aus dem Umfeld des türkischen Präsidenten und seiner Familie über Gelder von der EU freuen. „TÜGVA und TÜRGEV haben sich über die nationale Agentur jeweils ein weiteres Stück vom durch die EU-Mittel verteilten Förderkuchen gesichert. Im Rahmen der am 1. August vergebenen EU-Zuschüsse erhielt TÜGVA 194.454 Euro, während TÜRGEV 251.531 Euro bekam“, schreibt die Birgün. Fragen unserer Redaktion ließen die Organisation unbeantwortet. (Verwendete Quellen: BirGün, TÜRGEV, TÜGVA, Dünya Etnospor Konfederasyonu, SETA, Birgün, Artigercek, Deutsche Welle, RoG, Spiegel, Cumhuriyet, CHP, Gazete Duvar, Interviews, eigene Recherche) (erpe)