Das Düstere bannen: Deutscher Buchpreis geht an Dorothee Elmiger für „Die Holländerinnen“

von Cumali Yağmur

 

Artikel von Cornelia Geißler/ Berliner Zeitung

 Dorothee Elmiger hat aus dem Kreis der für den Deutschen Buchpreis nominierten Autorinnen und Autoren am Montagabend das erste und das letzte Wort. Sie ist es, die am Ende nach vorn gebeten wird und die Urkunde für den Roman des Jahres entgegennehmen darf. „Die Holländerinnen“ von Dorothee Elmiger wird ausgezeichnet. Die Autorin erhält ein Preisgeld, das Buch wird in den kommenden Wochen und Monaten gekauft, verschenkt und vor allem: gelesen.

In ihrer kurzen Rede hebt die Autorin, vor 40 Jahren in Wetzikon in der Schweiz geboren, zunächst ihren Lektor ins Zentrum, mit dem sie schon 15 Jahre zusammenarbeitet. Dann erwähnt sie ihren Verleger von Hanser aus München und schließlich die Korrektorin des Manuskripts. Sie dankt auch anderen Menschen, denn Texte gingen aus Texten hervor, auch sei beim Schreiben immer wichtig, wer einen umgibt.

Und als sie kürzlich mit einem Freund über Anlässe wie diese sprach, nämlich eine Danksagung zu halten, da sei ihr nur ein Satz eingefallen, so Elmiger, den sie in der Berliner U-Bahn auf dem Bildschirm gelesen habe. Er werde der Dichterin Marie Luise Kaschnitz zugeordnet, sie wisse nicht, ob er wirklich von ihr stamme: „Der Dichter ist das Sprachrohr der Ratlosigkeit seiner Zeit.“

Die Jury beschreibt die „Holländerinnen“ zunächst knapp in ihrem Begründungstext:  „Eine Schriftstellerin berichtet von ihrer Reise in den südamerikanischen Urwald mit einer Theatergruppe auf den Spuren zweier Holländerinnen, die vor Jahren dort verschwunden sind. Auf dieser Wanderung erzählt sich die Gruppe verstörende Geschichten.“ Dann geht es darum, was das Erzählen für eine Wirkung hat: „Je tiefer sie sich im Dickicht und Morast verläuft, desto mehr reißt Elmiger die Leser:innen in einen Sog der Angst. Ihr Roman erzählt von Menschen, die in ihr ‚dunkelstes Gegenteil‘ verfallen.“ Schließlich preist die Jury die literarischen Mittel: „Indirekt ist dabei nicht nur Elmigers Sprache, sondern auch ihr Verweis auf unsere Gegenwart, die Schritt für Schritt in Selbstüberhebung versinkt. Elmigers Stil ist gleichzeitig distanziert und doch fesselnd. ,Die Holländerinnen‘ – ein faszinierender Trip ins Herz der Finsternis.“

Die Preisverleihung ist würdig und gelassen, sie wird im Livestream aus dem Römer zu Frankfurt am Main übertragen. In dieser Stadt wird nicht nur die weltgrößte Buchmesse ausgerichtet, hier arbeitet als Kulturdezernentin eine Literaturwissenschaftlerin mit langjähriger Erfahrung im Journalismus: Ines Hartwig begrüßte die Jury und Autoren, die Gäste und Zuschauer und richtete extra einen Dank an „die Literaturredakteurinnen und -redakteure, die sich dafür einsetzen, dass die Literaturkritik in ihren Medien weiterhin Platz hat, genug Platz hat, denn sie ist sehr wichtig“.

Dem Alphabet nach war Dorothee Elmiger die erste, die im kurzen filmischen Porträt vorgestellt wurde. Auf sie folgten die weiteren fünf Nominierten Kaleb Erdmann („Die Ausweichschule“), Jehona Kicaj („ë“), Thomas Melle („Haus zur Sonne“), Fiona Sironic („Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“) und Christine Wunnicke („Wachs“). Elmiger stand zum zweiten Mal auf der Shortlist, Thomas Melle war bereits zum dritten Mal nominiert.

229 seit Oktober 2024 erschienene deutschsprachige Romane sind in den vergangenen Monaten von der Jury gesichtet und diskutiert worden, 20 Bücher wurden auf die Longlist gewählt, im September blieben dann also sechs auf der Shortlist übrig. Insgesamt ist der Buchpreis mit 37.500 Euro dotiert, davon gehen 25.000 Euro an die Siegerin. Die Shortlist-Nominierten erhalten jeweils 2500 Euro – und natürlich die Aufmerksamkeit des Buchhandels und der Medien.

„Ein Thema zieht sich durch alle Bücher, das ist Gewalt“, sagte die Jury-Vorsitzende Laura de Weck im Gespräch auf der Bühne. In „Die Holländerinnen“ sind die Teilnehmer der Kultur-Expedition in den tiefen Regenwald einem Verbrechen auf der Spur, treffen auf bedrohliche Naturerscheinungen und erzählen sich gegenseitig düstere Geschichten. Es ist unsere Gegenwart, die so dunkel ist. Dorothee Elmiger bringt das auf außergewöhnliche Weise in einen Roman. Denn sie schreibt fast durchgängig im Konjunktiv. Sie lässt kurz nur eine Schriftstellerin auftreten und gibt dann wieder, was diese vor Publikum erzählt. Sie hält den Schrecken auf Abstand mit dieser Erzählweise, macht keine Identifikationsangebote, bezieht zugleich die Leser eng ein, verlangt immer ein Mitdenken, die stete Reflexion. Ihr Roman ist eine verblüffende, begeisternde Reise in Gedanken.

„Es war ein großes Glück und Vergnügen, mit euren Büchern unterwegs zu sein“, sagte Dorothee Elmiger noch in ihren Dankesworten am Ende der Veranstaltung, gewandt an die Kolleginnen und Kollegen auf der Shortlist. Und dann holte sie ein weiteres Zitat hervor, das ihr wichtig sei. Es stammt von Tocotronic: „dass das Unglück überall zurückgeschlagen werden muss“. Das habe auch mit ihrem Schreiben zu tun, sagte sie.

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