
Es ist ein vertrautes Bild im deutsch-türkischen Fußballkosmos: Ein junges Talent, aufgewachsen in Deutschland, mit familiären Wurzeln in der Türkei – und die Frage, welche Nationalmannschaft er wählen wird. Warum es bei Yunus Ünal mehr als um ein 17-jähriges Talent geht.
Wie schon Can Uzun und Kenan Yıldız vor ihm steht auch Yunus Ünal an einem Scheideweg. Er ist 17, Linksverteidiger bei der U19 von Hertha BSC und könnte demnächst auch in der Profimannschaft in 2. Bundesliga auftauchen. Der türkische Fußballverband wirbt um ihn, der DFB möchte ihn halten. Und wieder geht es um mehr als nur Fußball – es geht um Identität, Zugehörigkeit und die emotionale Verbindung zweier Länder, die seit Jahrzehnten durch Migration und Fußball eng miteinander verwoben sind.
Und auch der frühere Bundesliga-Profi und Türkei-Star Yıldıray Baştürk spielt in dieser Geschichte eine zentrale Rolle. Als Talentscout des türkischen Verbands kennt er die Situation junger Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft genau: „Ich zeige den Jungs ohne Druck ihre Möglichkeiten. Am Ende ist es eine Herzensentscheidung – keine politische“, sagte er der Frankfurter Rundschau.
Zwischen Vereinsalltag und Nationalstolz
Diese Herzensentscheidung ist für viele in der deutsch-türkischen Community eine Herausforderung. Während der DFB mit professionellen Strukturen und internationalen Erfolgen lockt, steht die Türkei für emotionale Nähe, kulturelle Identität und familiäre Bindungen.
Ünal, der beim DFB bereits in der U17 spielte, ließ zuletzt einen Lehrgang der Nationalmannschaft ausfallen – offiziell, weil er bei Hertha gebraucht wurde. Doch in Berlin und Istanbul wird spekuliert, ob der junge Berliner längst über einen Verbandswechsel nachdenkt.
Mehr als eine Personalie
Seine sportliche Entwicklung spricht jedenfalls für sich: In der laufenden Saison traf er in der U19 schon viermal und bereitete zwei Tore vor, auch in der U23 sammelte er bereits vier Scorerpunkte in der Regionalliga. Ein aufstrebender offensivstarker Linksverteidiger mit feinem Spielverständnis – ein Typ, den beide Länder dringend brauchen könnten.
Der Fall Ünal ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren Trends. Immer wieder entscheiden sich deutsch-türkische Spieler, den Adler des DFB gegen den Halbmond auf rotem Grund zu tauschen: Uzun und Yıldız sind die jüngsten Beispiele. Für die einen ein Verlust an sportlichem Potenzial, für die anderen ein Gewinn an nationaler Symbolkraft.
Während in Deutschland Diskussionen über „Talentabwanderung“ aufkommen, sehen viele in der Türkei in diesen Spielern ein Zeichen des Erfolgs einer globalen, vernetzten Diaspora. Fußball wird hier zur Bühne für Fragen, die sonst selten offen gestellt werden: Was heißt es, in Deutschland aufzuwachsen, aber sich türkisch zu fühlen? Wie viel Identität steckt in einer Nationalhymne? Und kann man in zwei Heimaten gleichzeitig leben – auf und neben dem Platz?
Entscheidung mit Signalwirkung
Für Ünal steht in den kommenden Monaten viel auf dem Spiel. Sein Vertrag bei Hertha läuft bald aus, Bundesligisten zeigen Interesse, und der Druck wächst. Entscheidet er sich für die Türkei, könnte er zum nächsten Symbol einer selbstbewussten, neuen Generation deutsch-türkischer Fußballer werden. Bleibt er beim DFB, wäre er ein Beispiel für gelungene Integration auf höchstem sportlichem Niveau.
Welche Flagge er eines Tages auf seiner Brust tragen wird, bleibt offen – doch eines ist sicher: Jede seiner Entscheidungen wird nicht nur sportlich, sondern auch gesellschaftlich gelesen werden.