Schweige nicht zu den Geschehnissen in der AABF, mach dich nicht mitschuldig!

von Fremdeninfo

Von: Hüseyin Şenol


Die Erklärungen der weiblichen Führungskräfte, der Vereine und des Disziplinarausschusses in der AABF sind keine Dinge, zu denen man schweigen sollte, sondern Stimmen, die gehört werden müssen. Für institutionelle Gerechtigkeit und gesellschaftliche Gleichheit darf man vor dieser Stimme nicht die Ohren verschließen, sondern muss ihr Kraft verleihen.


In alevitischen Institutionen gibt es seit Jahren einen Kampf, vor allem für Geschlechtergerechtigkeit und Gleichheit im Allgemeinen. Jeder Moment, in dem dieser Kampf sichtbar gemacht wird, ist gleichzeitig von historischer Bedeutung für Demokratisierung und Rechenschaftspflicht. Wenn heute in der Föderation der Alevitischen Gemeinden in Deutschland (AABF) 9 weibliche Führungskräfte, 57 Vereine und der zentrale Disziplinarausschuss eine Erklärung abgeben, dann ist dies kein Schweigen mehr, sondern eine offene, öffentliche und kollektive Haltung.

Die Geschehnisse können weder als eine „innere Angelegenheit“ abgetan noch als Polemik trivialisiert werden. Es liegt eine sehr klare Realität vor: Der Prozess, der innerhalb der Institution stattfindet, hat selbst Nachrichtenwert. Die geteilten Artikel, Interviews und Nachrichten sind keine Polemik, sondern die Wahrheit selbst.

Man darf es nicht ignorieren, man muss antworten

Wenn es eine abweichende Meinung zu den Erklärungen der Frauen, der Führungskader und der Vereinsvertreter gibt, kann diese natürlich geäußert werden. Aber das kann nicht bedeuten, ihr Schweigen zu fordern oder es mit Stille zu übergehen. Wenn es eine Diskussion gibt, ist Transparenz erforderlich. Gerade wenn diejenigen, die ins Abseits gedrängt wurden, selbst Gegenstand der Nachricht sind, ist die Aussage „diese Angelegenheit sollte nicht öffentlich sein“ eine Flucht vor der Realität.

Leider aktivieren einige linke, sozialistische Institutionen und Individuen bei jeder Kritik ein auswendig gelerntes Klischee: „Solche Vorstöße dienen dem Feind.“ Dabei ist das wahre Dienen am Feind, angesichts von Ungerechtigkeit zu schweigen und bei Unterdrückung still zu bleiben. Eine gesellschaftsorientierte Linie und eine freiheitliche Haltung erfordern dies.

Dieser Ansatz ist weder mit Ethik noch mit sozialistischen Prinzipien vereinbar. Gruppenzwang („Mahalle baskısı“) auszuüben, den Kritiker zum Feind zu erklären und Fehler mit dem Reflex „einer von uns“ zu vertuschen, ist eine Haltung, die der sozialistischen Demokratie offen feindlich gegenübersteht. Erinnern wir uns: Sozialist zu sein ist keine Frage der Zugehörigkeit, sondern der Verantwortung.

Jeder Bereich ist politisch und keine Institution oder Einzelperson ist frei von Kritik. Das schließt sozialistische Institutionen ebenso ein wie Glaubensinstitutionen. Daher lautet mein Aufruf insbesondere an die „sozialistischen“ Freunde: Anstatt Kritik aus Interessenkalkül zu meiden, sollten sie sich dem Alevitentum und den Entwicklungen innerhalb dieser Institution nähern und dabei die Angst vor „Mitgliederverlust“ hinter sich lassen. Sich der Kritik zu entziehen, bedeutet, sich an der Ungerechtigkeit zu beteiligen.

Man muss Gewissen und linken Verstand besitzen.

Der Disziplinarausschuss hat die Justiz eingeschaltet

Der zentrale Disziplinarausschuss der Föderation der Alevitischen Gemeinden in Deutschland (AABF) hat in seiner öffentlichen Erklärung einen wichtigen Wendepunkt bekannt gegeben. Der Ausschuss erklärte, dass Informationsanfragen bezüglich der Erdbebenhilfen für die Türkei 2023 und der Ausgaben für die Madımak-Dokumentation unbeantwortet blieben und die institutionellen Kontrollprozesse systematisch behindert wurden. Aus diesen Gründen habe man den Prozess vor Gericht gebracht. In der Erklärung wurde zudem betont, dass der AABF-Vorstand seine „Rechenschaftspflicht systematisch verletzt“ habe und dass Strafanzeige gegen die Verantwortlichen erstattet wurde.

Diese Situation ist nun nicht mehr nur ein internes Verwaltungsproblem, sondern ist zu einem juristischen Prozess geworden, der eine öffentliche Verantwortung trägt. Dass die Forderung nach institutioneller Transparenz auch vom Disziplinarausschuss übernommen wurde, hat diese Diskussion von einer persönlichen in eine strukturelle Angelegenheit verwandelt.

Gerechtigkeitsaufruf von weiblichen Führungskräften

Nur wenige Tage nach der Erklärung des Disziplinarausschusses wandten sich diesmal weibliche Führungskräfte, die seit vielen Jahren in der AABF tätig sind, unter dem Titel „Aufruf zur Gerechtigkeit gegen die Gesetzlosigkeit und den Druck in der AABF“ an die Öffentlichkeit. In der Erklärung wurde sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Institution den Interessen einer kleinen Gruppe ausgeliefert sei. Darüber hinaus wurde betont, dass Praktiken wie Beleidigung, Ausgrenzung, Druck und Einschüchterung gegenüber oppositionellen Frauen, die an der Diskussion teilnehmen, zur Normalität geworden seien.

Die Frauen sagten offen: „Ihr habt geglaubt, die AABF sei euer Privateigentum.“ Dieser Satz ist nicht nur eine Reaktion; er offenbart die Tiefe der institutionellen Krise in der AABF und das Ausmaß, das die zentralisierte Willkür erreicht hat.

Eines der markantesten Beispiele dieses Prozesses ereignete sich auf der Generalversammlung in Frankfurt. Die Delegierte Özlem Kılıç Mirwald äußerte in ihrer öffentlichen Erklärung Folgendes:

„Der physische Angriff, den ich auf der Generalversammlung in Frankfurt erlitten habe, und die Verhinderung meines Rederechts sind ein Versuch, Kritik zum Schweigen zu bringen; diese Haltung ist eine offene Verletzung der Meinungsfreiheit und demokratischer Werte.“

Diese Erklärung zeigt, dass sich die Geschehnisse nicht auf Meinungsverschiedenheiten beschränken, sondern sich in Form von direkter physischer Intervention und institutionellem Mobbing manifestieren. Zudem sind diese Eingriffe als individuelles Beispiel für die systematische Ausgrenzung von Frauen in das öffentliche Bewusstsein gedrungen.

Nach diesen Entwicklungen sollte sorgfältig notiert werden, dass ein Name, der zu den Gründungsmitgliedern der AABF gehört und derzeit das Amt des Ehrenvorsitzenden innehat, offene Kritik an dem Prozess und den öffentlich gewordenen Entwicklungen geübt hat – allerdings in die falsche Richtung. Diese Kritik, die sich insbesondere gegen die Medien richtet, die den Stimmen der weiblichen Führungskräfte, des Disziplinarausschusses und Dutzender Vereine Gehör verschaffen, muss als Versuch gelesen werden, das institutionelle Schweigen wiederherzustellen. Dabei ist der Titel „Ehrenvorsitzender“ nicht dazu da, die Arbeit der Vergangenheit zu heiligen, sondern um angesichts heutiger Ungerechtigkeit mehr Verantwortung zu übernehmen.

Diese Erklärung, kombiniert mit dem Vorstoß des Disziplinarausschusses, deutet darauf hin, dass es sich nicht um individuelle Beschwerden handelt, sondern um eine strukturelle Fäulnis. Zu dieser Stimme nun zu schweigen, ist nicht mehr nur eine Wahl, sondern eine Flucht vor der Verantwortung.

An diesem Punkt muss gefragt werden: Hieß es nicht, die Aussage der Frau sei essenziell?

Warum wird dieses Prinzip, das in alevitischen Institutionen, linken Kreisen und der demokratischen Öffentlichkeit oft geäußert wird, ausgesetzt, sobald es um oppositionelle Frauen geht? Ist es nicht Prinzipienlosigkeit, diese Aussagen zu ignorieren in einer Phase, in der Frauen offen erklären, dass sie Druck, Beleidigung und Ausgrenzung ausgesetzt sind? Ist Solidarität nur auf bestimmte Frauen beschränkt?

Die Stimme der Frauen zu hören, bedeutet nicht, Partei zu ergreifen, sondern gerecht zu sein. Und diese Gerechtigkeit beginnt erst damit, dass man die Aussagen als Grundlage nimmt.

Medien anzugreifen kann nicht über soziale Medien fortgesetzt werden

Den Stimmen der weiblichen Führungskräfte, der Vereinsvertreter und des AABF-Disziplinarausschusses, die heute Erklärungen abgeben, Raum zu geben, ist echte journalistische Arbeit. Diejenigen, die davor die Ohren verschließen und diejenigen angreifen, die mutig gegen Ungerechtigkeit vorgehen sowie die Medienorgane, die diese Stimme furchtlos auf ihren Seiten verbreiten, befinden sich in einem schweren Irrtum.

Zudem bleiben diese Angriffe nicht auf individuelle Reaktionen beschränkt; sie werden auch in den sozialen Medien systematisch fortgesetzt. In einer solchen Situation kann die Aussage „das ist unsere interne Angelegenheit, das soll nicht nach außen getragen werden“ keine Verteidigung mehr sein. Es darf nicht vergessen werden, dass auch soziale Medien ein öffentlicher Raum sind. Menschen äußern hier ihre Ansichten, und die Medien berichten über diese öffentlich zugänglichen Ansichten. Wenn Erklärungen direkt über soziale Medien abgegeben werden, ist der Vorwurf an die Medien „warum habt ihr darüber berichtet“ unangebracht und grundlos.

Dagegen verstoßen Diskurse wie „Die AABF sollte intern diskutieren, die Angelegenheit sollte nicht von außen angeheizt werden“ oder „solche Kritik spaltet die alevitische demokratische Bewegung“, die uns selbst in einigen Kreisen oft begegnen, gegen das grundlegendste Prinzip demokratischer Legitimität: die öffentliche Kontrolle. Auch wenn sie auf den ersten Blick gut gemeint erscheinen mögen. Denn Probleme in einer Institution, die öffentlich arbeitet und Tausende von Menschen vertritt, sind nicht nur eine „interne Angelegenheit“, sondern Themen, die die gesamte Gesellschaft betreffen und Verantwortung erfordern. Linker Verstand erfordert nicht Schweigen, sondern verantwortungsvolles und mutiges Sprechen. Solche Diskurse sind oft die politische Tarnung für Sorge und Feigheit…

Zudem sollte man nicht über die Kritiker sprechen, sondern über die Gründe der Kritik. Der Versuch, berechtigte Kritik mit Verallgemeinerungen wie „auf das Spiel der AKP hereinfallen“ zum Schweigen zu bringen, ist nicht das Produkt einer freiheitlichen und fortschrittlichen Linie, sondern von Reflexen, die in Krisenzeiten Schweigen erzwingen.

Es gibt auch unglückliche Erklärungen gegen die Berichterstattung in Zeitungen und sozialen Medien wie: „Die AABF sollte ihre internen Probleme durch interne Diskussionen lösen. Einmischungen von außen sind nicht objektiv.“ Was diese Freunde vergessen, oder besser gesagt nicht sehen wollen, ist die Situation: Es ist keine „Einmischung von außen“, sondern der Schrei von Hunderten, ja Tausenden von innen. Solche Diskurse dienen, besonders wenn sie dazu benutzt werden, das Schweigen gegenüber offenen Erklärungen und öffentlich gewordenen Entwicklungen zu legitimieren, im Wesentlichen dazu, die Meinungsfreiheit und die demokratische Rechenschaftspflicht zu unterdrücken.

Wir geben den Pluralismus nicht auf

Natürlich gab es Reaktionen darauf, dass wir diesen Entwicklungen auf unseren Seiten Platz eingeräumt haben. Das ist natürlich. Aber die Zahl derer, die uns mit ihren Artikeln, Kommentaren, Direktnachrichten und Erklärungen unterstützen, ist nicht zu unterschätzen. Um es offen zu sagen: Wir können ruhigen Gewissens sagen, dass die Zahl dieser Unterstützungsbekundungen die Reaktionen gegen unser ethisches Presseverständnis um ein Vielfaches übersteigt.

Insbesondere das Schweigen der „alevitischen Medien“ und der „sozialistischen Medien und des Umfelds“ setzt sich auch bei dieser Entwicklung fort. Die Zeitung Avrupa Demokrat, bei der ich einer der Autoren bin, ist eines der wenigen, vielleicht nur drei oder vier Medienorgane, die diesen Prozess mutig verfolgen. Avrupa Demokrat, das auch den Erklärungen des AABF-Vorstands und der Mitgliedsvereine Platz einräumt, wird auch weiterhin die Stimme der Oppositionellen hörbar machen. Denn das erfordert die Presseethik. Pluralismus und Kritik sind die Grundlage unserer öffentlichen Verantwortung.

Selbst dieses Bild ist an sich schon ein Indikator. Die Menschen stellen sich auf die Seite des Gerechten, des Offenen, der Wahrheit. Dieses Eintreten muss als eine gemeinsame Stimme gegen diejenigen verstanden werden, die das Wort der Oppositionellen, insbesondere der Frauen, unterdrücken wollen.

Das ist keine persönliche Angelegenheit. Das ist eine historische und gesellschaftliche Prüfung. Und bei dieser Prüfung gilt es nicht zu schweigen, sondern zu sprechen.


Hüseyin Şenol – 05.12.2025
Tags: AABF (Föderation der Alevitischen Gemeinden in Deutschland), Alevitentum, AABK (Konföderation der Alevitischen Gemeinden in Europa), Avrupa Demokrat, Religion, Hüseyin Şenol, Medien, Polemik, sozialistische Demokratie, Diskussion

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