Neuer EU-Plan zu Migrationszahlen: Selbst die Grünen schwenken plötzlich um

von Cumali Yağmur

Artikel von Stephanie Munk / Markur

Die EU hat Länder ausgemacht, die Hilfe bei der Bewältigung der Asylzahlen brauchen. Deutschland ist in der Risikogruppe und könnte den Stopp von Migranten beantragen.

Brüssel – Die Europäische Union schlägt neue Solidaritätsregeln zur Verteilung von Asylbewerbern vor, die auch Folgen für die Migration in Deutschland hätten. Das EU-Parlament berät am Mittwoch (12. November) über den Plan. Er soll Länder mit hohem Migrationsdruck entlasten und andere stärker in die Pflicht nehmen. Deutschland kann nicht ohne weiteres darauf hoffen, keine zusätzlichen Asylbewerber aufnehmen zu müssen – könnte dies aber beantragen.

Menschen aus Afghanistan verstauen in Hannover ihr Gepäck in einem Anhänger. Die EU verhandelt über neue Solidaritätsregeln für Asyl. © Moritz Frankenberg/dpa

Für Deutschland sieht die EU-Kommission laut einem Bericht der Welt das „Risiko für Migrationsdruck“ im kommenden Jahr. Laut Brüssel könne ein „bestimmter Druck auf das Asyl,- Migrations- und Aufnahmesystem entstehen“, dieser sei jetzt aber noch nicht gegeben, hieß es.

Dies widerspricht auf den ersten Blick der Rechtfertigung der Merz-Regierung für die Zurückweisungen an den Grenzen, bei denen sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf eine Notlage-Klausel der EU beruft. Danach sind EU-Staaten Zurückweisungen an den Grenzen ausnahmsweise gestattet zur „die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“.

Deutschland muss womöglich keine neuen Flüchtlinge aufnehmen – neues EU-Asylsystem

Laut einer Analyse von EU-Innenkommissar Magnus Brunner kann Deutschland allerdings beantragen, bis Ende 2026 keine zusätzlichen Migranten aus anderen EU-Staaten aufnehmen zu müssen. Die Begründung: Die Bundesrepublik hat bereits eine große Zahl von Asylbewerbern aufgenommen, für die eigentlich andere EU-Länder zuständig wären. Zudem kann Deutschland bei der Bewältigung von Migration technische, personelle und finanzielle Hilfen aus Brüssel beantragen, berichtet Welt.

Die detaillierten Zahlen wurden von der EU-Kommission nicht öffentlich gemacht. Die EU-Kommission listete jedoch Länder mit besonders schwerem Migrationsdruck. Darunter fallen die EU-Außenstaaten Griechenland, Zypern. Spanien und Italien. Sie sollen laut BR24 jährlich mindestens 30.000 Menschen auf andere Staaten verteilen können. Dahinter kommen Länder mit „ausgeprägter Migrationslage“. Dann folgen EU-Staaten mit einem Risiko für hohen Migrationsdruck in 2026, zu denen auch Deutschland zählt.

Länder mit Anrecht auf Solidarität anderer EU-Staaten wegen hohem Migrationsdruck Griechenland, Zypern, Spanien, Italien
Länder mit ausgeprägter Migrationslage Österreich, Polen, Bulgarien, Tschechien, Estland, Kroatien
Länder, die 2026 in Gefahr laufen, unter hohen Migrationsdruck zu kommen Deutschland, Belgien, Frankreich, Niederlande

Deutschland bei Zahl der Asylbewerber in Risikogruppe – sogar Grüne fordern weniger Flüchtlinge

Der Grünen-Europapolitiker Erik Marquardt kritisierte im ZDF-Morgenmagazin die aktuelle Situation in den EU-Außengrenzstaaten scharf. Er vertrat sogar eine für die Grünen untypische Position: In „Staaten wie Deutschland“ würden aktuell viel mehr Menschen ankommen, „als eigentlich notwendig wäre bei einem fairen Verteilungsschlüssel“. Das Problem sieht Marquardt darin, dass Geflüchtete in EU-Außengrenzstaaten schlecht behandelt würden. „Sie wollen die Menschen nicht registrieren, sie wollen ihnen keine Perspektive bieten. Deswegen müssen die Menschen dann weiter fliehen.“ Mehr Menschen als nötig würden somit nach Deutschland weiterreisen.

Marquardt forderte im ZDF einen fairen Verteilungsschlüssel in der Europäischen Union und betonte, es brauche auf bestimmte Staaten mehr Druck wie finanzielle Sanktionen oder EU-Vertragsverletzungsverfahren: „Damit sie merken, es kostet mich mehr, als dass es mir etwas bringt, mich nicht am europäischen Asylsystem zu beteiligen.“

EU will mehr Solidarität in Asylpolitik und Weiterreise von Asylbewerbern nach Deutschland verhindern

Das übergeordnete Ziel des neuen EU-Solidaritätsmechanismus ist es, Flüchtlinge in dem Land zu halten, in dem sie ankommen, und eine Weiterreise, beispielsweise nach Deutschland, zu verhindern. Gleichzeitig sollen Staaten an den EU-Außengrenzen wie Griechenland oder Italien durch schnellere Asylverfahren entlastet werden. Diese Strategie soll zu einer gerechteren Verteilung innerhalb der EU führen. Der Druck auf einzelne Mitgliedsstaaten soll geringer werden.

Die Reform des europäischen Asylsystems (GEAS) sieht verschiedene Formen der Solidarität bei der gemeinsamen Bewältigung von Flüchtlingsströmen vor. Neben der Aufnahme von Migranten können Länder finanzielle Beiträge leisten oder Projekte gegen illegale Migration in Drittstaaten fördern. Insgesamt sollen jährlich Finanzbeiträge in Höhe von 600 Millionen Euro fließen.

Neue EU-Strategie zu Asyl: Migranten nach Grenzübertritt festhalten – Kritik aus SPD

Teil der neuen EU-Asylstrategie ist auch ein Grenzverfahren, bei dem bestimmte Migranten nach einem EU-Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen könnten. Das soll schnellere Entscheidungen über Asylanträge ermöglichen und die unkontrollierte Weiterreise innerhalb der EU verhindern.

Innerhalb Deutschlands kommt allerdings Widerstand aus der SPD gegen die Umsetzung der EU-Asylreform in deutsches Recht. Die Bundesregierung habe sich „für eine maximal restriktive Umsetzung entschieden“, sagte Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD der Welt. Einige SPD-Abgeordnete wollen dem Vernehmen nach ihre Zustimmung verweigern. Konkret gehe es um Verbesserungen für Familien und Kinder.

Das EU-Parlament will heute über den neuen EU-Solidaritätsmechanismus beim Asyl beraten. Wer sich nicht beteiligt, dem drohen Strafzahlungen. Einige Mitgliedsländer haben bereits erklärt, die Reform nicht mitzutragen. (Quellen: Welt, ZDF, dpa, Deutschlandfunk, BR24, ARD) (smu)

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