Demokratie gilt nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheiten, die im Land leben

von Cumali Yağmur

Cumali Yagmur

Angesichts der Tatsache, dass demokratische Völker für alle Menschen ohne Unterschied da sind, sollten alle gleichermaßen davon profitieren.

Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Migration. Migration bedeutet die langfristige Umsiedlung von Menschen von einem Ort zum anderen, die aus freiem Willen oder aus Notwendigkeit erfolgen kann; der rechtliche Rahmen variiert entsprechend. Da Demokratie eine Form der Regierung und Verwaltung ist, die auf den Prinzipien der menschlichen Gleichheit und Freiheit basiert, sollten alle Menschen davon profitieren. Die Demokratien der Staaten werden in erster Linie durch Wahlen geregelt: Parlament und Regierung werden durch freie und gleiche Wahlen legitimiert.

Im Zusammenspiel von Migration und Demokratie entsteht eine Spannung: Erstens wegen der Bedeutung einer dauerhaften Präsenz im Land. Zweitens wird sie im Hinblick auf die Frage beurteilt, ob und wie die Migrationsregeln selbst demokratisch sein können. In demokratischen Staaten erfordert die Demokratie eine gemeinsame, durch Wahlen legitimierte und kontrollierte Regierung. Daher basiert sie auf Verfahren und Regelungen, wer das Recht zur Teilnahme hat, das heißt, wer von den demokratischen Völkern profitiert.

Artikel 20 des Grundgesetzes besagt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Damit wird betont, dass „alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und die Regierung ihre Pflichten mit dem Volk, der Mehrheit und der Minderheit, erfüllt.“ Grundsätzlich zielt die Idee der Demokratie darauf ab, dass diejenigen, die dauerhaft der Regierung unterliegen, von der Regierung gleichmäßig profitieren, indem sie die Legitimität und Kontrolle der Regierung in ihren Händen halten.

Die Entwicklung demokratischer Institutionen im Rahmen des regionalen Staates bildet den Anwendungsbereich der Regierung und gleichzeitig den Rahmen der demokratischen Staatsbürgerschaft. Auch wenn die Regelungen zum Erwerb von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht andere Faktoren umfassen, sind sie ein wichtiger Bezugspunkt für politische Gleichheit. Jeder, der sich auf dem Staatsgebiet befindet, sollte nach einer bestimmten Zeit das Recht haben, ein vollwertiges politisches Mitglied zu werden, indem er zusätzliche Bedingungen wie Sprachkenntnisse erfüllt. Diese Rolle als Rahmen für politische Gleichheit im Land sollte das Demokratiebewusstsein stärken, um die im Land lebenden Migrantenminderheiten für einen demokratischen Staat so wichtig zu machen. Ohne ein erhöhtes Demokratiebewusstsein wird Widerstand geleistet, um der Minderheit nicht alle demokratischen Rechte zu gewähren.

Da es bei einem halben Jahrhundert Migration nicht nur um die Existenz, nicht nur um Rechte, sondern potenziell auch um politische Gleichheit geht, konzentriert sich die Forderung nach Kontrolle oft auf den ersten Zugang zum Land. Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrechte sind komplex, und da viele Migranten dauerhaft bleiben möchten, sollten alle demokratischen Rechte bedingungslos gewährt werden. Allerdings beeinflusst die Migrantenminderheit immer auch den Kreis zukünftiger Mitentscheider, das heißt die Zusammensetzung des demokratischen Volkes.

Zweitens steht die Migration im Spannungsverhältnis zur Demokratie hinsichtlich der Legitimität von Grenzen. Wenn Demokratie den Anspruch beinhaltet, dass diejenigen, die Regeln und der Regierung unterliegen, auch Einfluss darauf haben müssen, dann ist das Recht auf gleiche Staatsbürgerschaft Teil demokratischer Entscheidungen; so sollte die Staatsbürgerschaft der im Land lebenden Migrantenminderheit nicht nach dem Blutsverwandtschaftsprinzip, sondern nach dem Akzeptanzprinzip angeboten werden. Während die Staatsbürgerschaftsdebatte von reaktionären Kreisen lange nach dem Blutsverwandtschaftsprinzip geführt wurde, hat sie heute das Akzeptanzprinzip akzeptiert. Auch wenn die Staatsbürgerschaft nach dem Akzeptanzprinzip erworben wird, sollten sie als vollwertige Bürger akzeptiert werden, ohne dass sie stiefmütterlich behandelt werden.

Demokratie basiert einerseits auf dem Prinzip der menschlichen Gleichheit und Freiheit und andererseits auf der Notwendigkeit konkreter Institutionen. Gleiche Freiheit erfordert, dass Menschen gleichermaßen mitbestimmen können und sich politisch als gleich anerkennen. In diesem Sinne führen nur konkrete Institutionen zu einer sehr guten Verinnerlichung der Demokratie, um der Idee der gleichen Freiheit Wirksamkeit zu verleihen. Gleichzeitig sollten diese Institutionen, solange sie dem Prinzip der gleichen Freiheit verpflichtet sind, keine ungleiche Behandlung gegenüber den später eingebürgerten Personen mit sich bringen.

In einem halben Jahrhundert Migrationsprozess werden diese Unterscheidungen im Migrationskontext besonders sichtbar. Zum Beispiel werden diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht erhalten, in undemokratischer Weise von allen politischen Beteiligungen ausgeschlossen. Undemokratische Praktiken werden gegen sie angewandt, indem ihnen alle demokratischen Rechte entzogen werden. Wenn den Menschen selbst das natürlichste Recht, das Wahlrecht, entzogen wird, welchen Zusammenhang kann dies mit dem Namen Demokratie haben? Niemand kann dies als institutionalisierte Demokratie im Land und als ungleiche Anwendung der Demokratie auf alle im Land lebenden beschreiben. Kann es auch in institutionellen Demokratien wirklich Demokratie genannt werden, wenn zum Beispiel das Wahlrecht nur dem Deutschen gegeben wird? Nach einem halben Jahrhundert Leben werden Migrantenminderheiten, die seit Jahren in Deutschland leben, vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Demokratien müssen durch Institutionen ständig neu formuliert werden, und es muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass alle davon profitieren, um keine Feinde zu schaffen. Auch bei der Neuformulierung der Demokratie sollte diese Spannung zwischen Institutionen und Inklusivität nicht durch die Einschränkung der Rechte der Migrantenminderheit, sondern nach dem Prinzip der gleichen Rechte neu umgesetzt werden. So sollte die Beteiligung der im Land lebenden Migrantenminderheit und der Mehrheit am politischen Prozess zu gleichen Bedingungen gewährleistet werden.

Zur Demokratie gehören zum Beispiel auch öffentliche Demonstrationen, bei denen Menschen an der Politik teilnehmen und ihre Meinungen äußern können. Diese Dimension der Demokratie, das institutionalisierte politische Mitspracherecht, sollte allen gegeben werden. Da es viele Grautöne demokratischer Beteiligung gibt, ist die Entscheidung über Grenzen und Zugang kein demokratisches Paradoxon, sondern unterliegt einer demokratischen Asymmetrie.

Das Recht spielt auch eine wichtige schützende oder einschränkende Rolle für nicht-institutionalisierte Formen der Politik in Gesellschaften. Insbesondere die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie die besondere Regelung des Versammlungs- und Vereinsrechts sind dafür von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus wird die Spannung zwischen Institutionalisierung und Inklusivität an verschiedenen Türen des demokratischen Staates diskutiert: Wahlrechte, Staatsbürgerschaftsbedingungen. Zum Beispiel gab es lange Zeit wichtige Debatten über das „Ausländerwahlrecht“, d.h. das langfristige Wahlrecht für Migranten ohne deutschen Pass. In Deutschland haben nur Bürger und hier lebende Bürger anderer EU-Mitgliedstaaten (Unionsbürger) nur auf kommunaler Ebene das Wahlrecht. 1990 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 83, 37), dass die Bundesländer keine Wahlrechte regeln dürfen, die über diese Rechte hinausgehen. Die Entscheidung betraf ein Gesetz aus Schleswig-Holstein. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass das „Volk“, von dem nach Artikel 20 des Grundgesetzes alle Staatsgewalt ausgeht, nur deutsche Staatsbürger sein können.

Diese Entscheidung wurde getroffen, bevor das Unionsrecht das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger eingeführt hatte. Gegen diese Auslegung des „Volkes“ wird zu Recht der Einwand erhoben, dass es mit der Idee der Demokratie kaum vereinbar ist, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung an einem Ort kein demokratisches Mitspracherecht hat.

Wie Migration und Demokratie miteinander in Beziehung stehen, ist daher eine vielschichtige Frage: Migration prägt und verändert die Gesellschaft, was sich auch in den kollektiven Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen der Demokratie widerspiegelt. Umgekehrt bildet die Demokratie die zentrale Legitimitätsquelle des Rechts: Wie Migration gestaltet wird, hängt letztendlich von demokratischen Entscheidungen ab. Solange die Demokratie die im Land lebenden Minderheiten nicht einbezieht und ihnen nicht die Möglichkeit gibt, zu gleichen Bedingungen davon zu profitieren, kann dies nicht Demokratie genannt werden.

 

 

 

 

 

 

 

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