Beybun Budak, wurdest du in Deutschland geboren?

von Cumali Yağmur

Interview von Cumali Yağmur im Namen von Framdenminfo.

F.I.: Beybun Budak, wurdest du in Deutschland geboren?
Beybun Budak: Ich wurde am 04.05.2004 in Mainz, Deutschland, als Kind kurdischer Eltern geboren. Zu Hause sprach ich Kurdisch und Deutsch und beherrsche beide Sprachen sehr gut. Als ich in den Kindergarten kam, hatte ich keine Schwierigkeiten mit Deutsch, im Gegenteil, ich sprach sehr gut Deutsch. Meine Eltern kamen 1991 nach Mainz, suchten Asyl und ihr Asylantrag wurde akzeptiert. Da ich aus einer politischen Familie stamme, lernte ich in meiner Kindheit von meiner Mutter und meinem Vater, dass ich Kurdin bin und dass Kurden in der Türkei nicht gut behandelt werden. Da zu Hause Kurdisch gesprochen wurde, konnte ich Türkisch nicht gut lernen.
Nach dem Kindergarten begann ich die Grundschule. In der Schule hatte ich keine Sprachschwierigkeiten und war sehr erfolgreich in meinen Fächern. Meine Familie half mir zu Hause bei den Hausaufgaben. Nach der Grundschule begann ich das Gymnasium. Neben Deutsch und Kurdisch begann ich Englisch zu lernen. In den Schulferien fuhr ich nach London und sprach mit den Kindern unserer Verwandten Englisch. Mein Englisch ist sehr gut.

F.I.: Hast du nach dem Gymnasium mit dem Studium begonnen?
Beybun Budak: Ich begann an der Universität Geschichte und Politik zu studieren. Während meiner Universitätsjahre begann ich mich bewusster mit kurdischen Problemen zu beschäftigen.
Durch meine Eltern war ich Teil der kurdischen Bewegung. Ich kämpfte, um die Unterdrückung und Verachtung kurdischer Frauen sowohl in unserer eigenen Gesellschaft als auch in der deutschen Gesellschaft zu verhindern.
Obwohl in der deutschen Gesellschaft alles diskutiert wird, möchte ich betonen, dass es in Bezug auf die Gleichstellung der Frauen immer noch viele Mängel gibt. Obwohl in der kurdischen Bewegung immer noch männliche Dominanz vorherrscht, kann ich sagen, dass es eine Sensibilität gegenüber Frauen gibt. Die kameradschaftlichen Beziehungen zu Frauen sollten politisch besser sein und müssen noch besser werden. Obwohl in organisierten Teilen der kurdischen Bewegung eine größere Sensibilität gegenüber Frauen besteht, ist die Stellung der Frau in anderen Teilen der Kurden immer noch sehr rückständig. Bei den alevitischen Kurden ist die Stellung der Frau im Vergleich zu sunnitischen Kurden viel weiter fortgeschritten. In der alevitischen Gesellschaft ist der Platz und der Wert der Frauen sehr hoch. In den alevitischen Prinzipien „Besitze deine Hand, deine Lende, deine Zunge“ sind Werte, die bewusst geachtet werden.

F.I.: Du sagst, die kameradschaftlichen Beziehungen der Frauen in der kurdischen Bewegung sind gut?
Beybun Budak: Obwohl die kurdische Bewegung eine feudale Struktur hat, bemühen sich Männer in Deutschland zumindest auf Basis der Gleichstellung der Frauen, sensibler zu sein und kameradschaftliche Beziehungen zu pflegen. Innerhalb der Bewegung gibt es an der Basis einen Widerstand der Frauen gegen die männliche Dominanz. Die organisierten Frauen innerhalb der kurdischen Bewegung sind bewusster und können Frauenprobleme innerhalb der Bewegung ansprechen. Es ist auch eine Tatsache, dass Frauen die Mehrheit der Guerillas der kurdischen Bewegung ausmachen. Unser Aufenthalt in Europa ist vorteilhafter für uns Frauen. In der deutschen Gesellschaft, in der wir leben, sind Migrantinnen wirtschaftlich nicht vom Mann abhängig. Daher haben Frauen die Möglichkeit, unabhängiger zu handeln.

F.I.: Du lebst in der deutschen Gesellschaft, was hast du von ihnen gelernt?
Beybun Budak: Die deutsche Gesellschaft ist eine entwickelte kapitalistische Industriegesellschaft. Frauen sind im Vergleich zu Migrantinnen weiter fortgeschritten. In der deutschen Gesellschaft herrscht ein überhebliches Vorurteil gegenüber ausländischen Frauen. Da Migrantinnen in der deutschen Gesellschaft verachtet und unterdrückt werden, sind sie aufgrund ihres Frauseins und ihres Migrantenstatus einer doppelten Unterdrückung ausgesetzt. Im Alltag sind sie Rassismus, Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit ausgesetzt.
Während Migrantinnen ihr Leben mit den kulturellen Strukturen, aus denen sie stammen, fortsetzen, schließt die deutsche Gesellschaft sie aus. Ausgrenzung ist ein sehr schlechtes Phänomen, das auch Rassismus mit sich bringt.
Da wir in der deutschen Gesellschaft leben, beeinflussen uns die kulturellen Werturteile. Da der kulturelle Austausch mit Deutschen, auch wenn er freiwillig ist, sehr schwierig ist, geschieht er nicht wie gewünscht.

F.I.: Fühlen Sie sich als bewusste kurdische Frau in der deutschen Gesellschaft unterdrückt?
Beybun Budak: Die Deutschen fragen dich niemals „was bist du?“. Sie fragen „woher kommst du, woher bist du?“. In ihren Augen bist du eine Migrantin und eine Person niedrigeren Ranges. Wenn du anfängst zu sprechen, winden sie sich und sagen: „Sie sprechen sehr gut Deutsch, Sie sind anders und andere Migrantinnen sind anders.“ In ihren Köpfen sind Migranten auf den unteren Rängen, und sie selbst sehen sich als Oberschicht. Da sie Europäer sind, schauen sie auf alle herab und prahlen mit ihrer Eurozentrizität. Auch unter den Deutschen selbst gibt es im Umgang miteinander keinen Individualismus.
Individualismus verschlechtert die menschlichen Werte, daher werden die Werturteile in der Gesellschaft nicht bewahrt.

F.I.: Sie sagen, Sie waren auch außerhalb Deutschlands, in London und Paris. Wie ist die Situation dort?
Beybun Budak: In Deutschland, selbst in Berlin, wird man als Fremder angesehen. Berlin ist eine typisch deutsche Stadt und nicht weltoffen. In London fühlt man sich nicht fremd. London hat eine internationale Atmosphäre. Niemand fragt jemanden „woher kommst du?“. Niemand schaut jemanden als Fremden an. Wenn du sprichst, sagen sie nicht „du sprichst gut Englisch“. Sie fragen „was machst du und was ist dein Beruf?“. In Paris ist die Situation ähnlich wie in London. Paris ist auch keine typisch französische Stadt und international, sehr vielfältig. Sie sind toleranter und offener gegenüber Migranten. Die Deutschen suchen nach Bedingungen, um Migranten in ihre Gesellschaft zu integrieren und gemeinsam zu leben, aber man muss sich anpassen und Abstriche an der eigenen Kultur machen. Hier wird man gezwungen, viele Abstriche zu machen. Man wird gezwungen, alles an die deutsche Kultur anzupassen und Abstriche an der eigenen Kultur zu machen.
Man wird unbewusst unter Druck gesetzt und das erzeugt eine Reaktion.

F.I.: Würden Sie in Paris und London besser leben?
Beybun Budak: Wenn du in Paris und London Arbeit hast, lebst du besser als in Berlin, einer typisch deutschen Stadt. Du lebst, als wärst du ein Teil dieser Gesellschaft, ohne das Gefühl eines Migranten zu haben. In Deutschland akzeptieren sie dich nicht, selbst wenn du Teil der Gesellschaft bist. Dein Äußeres ist immer das eines Migranten, egal was du bist, du wirst nicht akzeptiert. Jeden Tag musst du sagen, woher du kommst. Die Frage „Was bist du, was machst du beruflich?“ wird nicht gestellt. Es wird noch viele Jahre dauern, bis die deutsche Gesellschaft das Niveau der französischen, englischen und amerikanischen Gesellschaft erreicht.

F.I.: Du warst ein Jahr als Gaststudentin an einer Universität in England, war die Situation dort besser?
Beybun Budak: Ich war ein Jahr als Gaststudentin an einer Universität in London. Ich fühlte mich dort nicht fremd. Vielleicht bin ich keine Engländerin, aber die Atmosphäre dort ist völlig anders. Man befindet sich nicht in einer englischen Kultur, sondern in einem internationalen Umfeld.
In Deutschland steckt man dir sofort das Migrantenkleid an und behält seine Ansichten unverändert bei. Tatsächlich haben die Deutschen auch große Schwierigkeiten, mit Menschen anderer Kulturen zusammenzuleben. Sie können sich nicht mit Menschen der französischen oder englischen Kultur verständigen. Leider können sie sich nicht von ihrer Krankheit befreien, sich überlegen zu fühlen.

F.I.: Planen Sie nach Abschluss der Schule in London zu arbeiten?
Beybun Budak: Wenn ich einen Job finde, möchte ich sehr gerne in London arbeiten und leben. Dort habe ich auch kurdische, englische und andere Freunde gefunden. Ich glaube, dass das Leben dort anders sein wird.

F.I.: Welcher Nation fühlen Sie sich am nächsten?
Beybun Budak: Als nationale Herkunft betrachte ich mich als Kurdin und als Weltanschauung als international. Ich spreche Englisch, Französisch, Deutsch und Kurdisch. Da ich auch die Kulturen der Sprachen kenne, die ich spreche, beschränke ich mich nicht auf eine. Deshalb sage ich, dass ich international und offen für jede Kultur bin.

F.I.: Was können Sie noch über Deutschland und die Deutschen sagen?
Beybun Budak: Basierend auf meinem Geschichtswissen möchte ich die mangelnde Entwicklung der bürgerlichen Demokratie in Deutschland hervorheben. Die deutsche Gesellschaft ist konservativ, nicht offen für Migranten. Sie sollten so schnell wie möglich ihre Überlegenheitsvorstellung gegenüber anderen Nationen aufgeben. Deshalb sind sie auch nicht offen für andere Kulturen und können sie nicht akzeptieren.
In den letzten Jahren hat sich die gesellschaftliche und politische Struktur stark zurückentwickelt, und der Aufstieg der AfD bereitet uns allen, insbesondere den Migranten, Sorgen. Obwohl in erster Linie die Migranten unter dieser Entwicklung leiden, werden auch die deutsche Gesellschaft und Demokratie Schaden nehmen. Die demokratischen, progressiven Sozialisten in Deutschland sollten schon jetzt gemeinsam gegen diese Entwicklung kämpfen. Ich bin der Meinung, dass man wachsam sein muss, damit sich die bitteren Ergebnisse der deutschen Geschichte nicht wiederholen.

Baybun bedeutet Gänseblümchen.
Ich danke Ihnen herzlich für dieses Interview.
Wir führen zweimal im Monat Interviews und veröffentlichen sie auf Fremdeninfo auf Deutsch. Wer Interesse an einem Interview zu diesem Thema hat, kann sich an uns wenden.
Der türkische Interviewtext wird auch unzensiert auf der Website Avrupa Demokrat veröffentlicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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