Zwanzig Jahre nach dem „Ehrenmord“ an seiner Mutter tritt Can Sürücü erstmals selbst in die Öffentlichkeit. In Videos auf YouTube und TikTok spricht er ausführlich über seine Kindheit, den Verlust – und die überwältigende Resonanz auf seine Geschichte.
„Ich bin Can Sürücü.“ Der Mann, der das sagt, steht im Bärenpark in Berlin-Tempelhof. „Ich zeige euch meine Gegend, wo ich mit meiner Mutter gelebt habe“, sagt er in die Kamera. Zum ersten Mal erzählt der heute 26-Jährige auf YouTube seine Geschichte. Er ist der Sohn von Hatun Aynur Sürücü, die 2005 von ihrem jüngsten Bruder erschossen wurde.
Es war jener sogenannte „Ehrenmord“-Fall, der vor nunmehr 20 Jahren ganz Deutschland erschütterte – und zum Symbol für patriarchale Gewalt, Zwangsehen und das Versagen von Behörden wie Familien wurde. Die Geschichte seiner Mutter ist dokumentiert, vielfach erzählt, politisch aufgeladen. Hatun Sürücü, 1982 in Berlin geboren, wächst in einer türkisch-kurdischen Familie auf. Mit 16 wird sie gezwungen, ihren Cousin in Istanbul zu heiraten. Sie wird schwanger, verlässt ihn, kehrt nach Berlin zurück, bringt ihren Sohn Can zur Welt und beginnt eine Lehre. Sie legt das Kopftuch ab und nennt sich fortan „Aynur“ – auf Deutsch: Mondschein.
Am 7. Februar 2005 erschießt ihr jüngster Bruder Ayhan sie an einer Bushaltestelle in Tempelhof mit drei Schüssen in den Kopf. Das Berliner Landgericht verurteilt ihn später zu neun Jahren und drei Monaten Jugendstrafe. Für die Richter steht fest: Hatun Sürücü wurde wegen ihres „westlichen Lebensstils“ getötet – weil sie „ihr Leben lebte, so wie sie es für richtig hielt“.
Im Zentrum der öffentlichen Debatte standen damals Täter, Familie, Kulturkonflikt – wo Can aufwuchs, was aus ihm wurde, war bislang kaum bekannt. Nun meldet er sich selbst zu Wort, auf YouTube. Kein Kleinkind ist mehr zu sehen, sondern ein junger Mann, der seine Geschichte erstmals selbst und in eigener Regie erzählt.
In zwei YouTube-Videos mit dem Titel „Mein Name ist Can Sürücü, Teil 1“ und „Teil 2“ führt Can, der sich online „Cemo“ nennt, die Zuschauer durch seine frühere Wohngegend in Berlin-Tempelhof und nach Kreuzberg. Er zeigt die Orte seiner Kindheit, die Gedenkorte für seine Mutter und spricht über die Folgen der Gewalt, die seine Familie zerstört hat – aber auch über Unterstützung, öffentliche Aufmerksamkeit und seine Pläne, anderen Menschen Kraft zu geben.