Meine jahrelange Lebensreise in Deutschland

von Cumali Yağmur

Dieses Interview wurde im Namen von Fremdeninfo von Cumali Yagmur geführt.

F.I.: Herr  Fuat Kuyucu, wann sind Sie nach Deutschland gekommen?
Fuat Kalayci: Ich wurde 1940 in Istanbul geboren. 1959 ging ich zur Armee und leistete zwei Jahre Militärdienst. Nach dem Militärdienst meldete ich mich bei der Arbeitsagentur an. 1962 kam ich nach Dortmund, Deutschland, um in einem Bergwerk zu arbeiten.

F.I.: Welchen Eindruck hatten Sie, als Sie nach Deutschland kamen?
Fuat K.: Deutschland war gerade aus dem Krieg gekommen, überall sah es aus wie Ruinen. Auf den Straßen gingen Menschen mit einem Bein oder einem Arm. Ich war in ein Land gekommen, dessen Sprache und Bräuche ich nicht kannte. Das Wetter war sehr kalt und es regnete wochenlang. Man wurde depressiv. Im Bergwerk stieg ich in die Tiefen der Erde hinab, mein Gesicht war von Rauch pechschwarz. Mehrere Male wollte ich meinen Koffer packen und in die Türkei zurückkehren, aber meine Freunde ließen mich nicht gehen. Wir hatten keinen Kontakt zu den Deutschen, wir lebten mit unseren eigenen Freunden zusammen. Außer zu arbeiten, konnten wir nicht viel tun. Deutschland war damals nicht so entwickelt wie heute. In den letzten Jahren hat es sich schnell entwickelt, und die Arbeitsmigranten haben einen großen Anteil daran, dass es dieses Niveau erreicht hat.

Da mir die Arbeit im Bergwerk in Dortmund sehr schwerfiel, kam ich zu einem Freund nach Hannover und bekam eine Stelle bei der Volkswagen AG. Es war ganz anders als im Bergwerk, aber ich arbeitete immer noch 8 Stunden am Tag und kam abends müde nach Hause. Ich hatte nun beschlossen, in Deutschland zu bleiben. Einige Jahre später lernte ich meine Frau kennen und heiratete sie. Wir bekamen zwei Söhne und eine Tochter. Ich habe alle drei ausgebildet; ein Sohn arbeitet bei der Volkswagen AG, meine Tochter ist Zahnärztin und mein anderer Sohn ist Architekt.

Vor zwei Jahren habe ich meine Frau verloren. Wir haben sie auf dem muslimischen Friedhof in Stöcken beigesetzt. So musste ich mich, wenn auch unter Schwierigkeiten, an das Leben in Deutschland anpassen. Ob wir wollten oder nicht, wir haben dieses Land als zweite Heimat akzeptiert. Unsere Toten werden nun hier begraben. Ich glaube, dass die Erde keine Trennung kennt.

F.I.: Was hat Sie an den Deutschen gestört?
Fuat K.: Die Deutschen sind sehr kühl, und selbst wenn man sehr gut Deutsch spricht, kann man keinen engen Kontakt zu ihnen aufbauen. Man arbeitet zusammen im Büro, aber draußen kennen sie einen nicht. Sie sind nicht gastfreundlich und sehr egoistisch. Auch untereinander gibt es wenig Herzlichkeit, und sie bevorzugen ein individuelles Leben. Es gibt Menschen, die im selben Haus wohnen und sich nicht kennen oder grüßen. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt und musste mich genauso verhalten.

F.I.: Mit wem haben Sie im Alltag Kontakt?
Fuat K.: Ich habe türkische Freunde, aber die meisten sind gestorben, es sind nur noch sehr wenige Freunde übrig. Auch ich warte auf den Tag, an dem ich gehen werde.

F.I.: Wenn Sie in Ihre Vergangenheit zurückblicken, was würden Sie sagen wollen?
Fuat K.: Deutschland war früher ganz anders. Die neuen Generationen sind heute nicht mehr so verschlossen wie die alten Deutschen. Sie beginnen sich der Welt zu öffnen und reisen in verschiedene Länder. So lernen sie die Welt kennen und ändern ihre Ansichten. In Deutschland gibt es in jedem Dorf türkische Cafés, Dönerläden und große Supermärkte. Es lässt die Türkei überhaupt nicht vermissen.

F.I.: Sie sagen, die Deutschen haben sich verändert. Können Sie Kontakt zu ihnen aufnehmen?
Fuat K.: In dieser Hinsicht haben sie sich nicht viel verändert. Obwohl sie gegenüber Ausländern anders erscheinen mögen, können sie ihre Vorurteile innerlich immer noch nicht überwinden. Die Herabwürdigung, Verachtung, rassistische und nationalistische Verhaltensweisen gegenüber Ausländern dauern, wenn auch nicht offen, so doch verdeckt an.

F.I.: Sie sagen, es gibt Ausländerfeindlichkeit in Deutschland?
Fuat K.: Auch wenn es vielleicht nicht mehr so offen ist wie früher, so dauern heute Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Nationalismus verdeckt an.

F.I.: Können Sie das im Alltag sehen?
Fuat K.: Ich bin jetzt alt und kann nicht mehr an die Orte gehen, an die die Deutschen gehen, daher begegne ich dem nicht direkt, aber ich verfolge aus den Medien, dass Rassismus und Nationalismus in diesem Land nicht verschwunden sind. Junge Menschen erzählen, dass Ausländer bei der Suche nach Arbeit, Wohnung und Ausbildungsplätzen wie zweit- oder drittklassige behandelt werden.

F.I.: Stört Sie der Aufstieg der AfD?
Fuat K.: Die AfD ist ausländerfeindlich, und wenn sie „Ausländer raus“ sagt, sieht sich jeder Migrant davon betroffen. In Deutschland und Europa sind Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Nationalismus in den letzten Jahren salonfähig geworden. Ich denke, die AfD ist eine Partei, die verboten werden sollte. Migranten stellen keine Gefahr für die demokratische Ordnung in Deutschland dar. Es müssen Maßnahmen gegen die Gefahr ergriffen und gehandelt werden, bevor es zu spät ist.

F.I.: Glauben Sie, dass der Aufstieg der AfD beängstigend ist?
Fuat K.: Ich bin jetzt 85 Jahre alt und werde vielleicht noch ein paar Jahre leben. Ein Bein stehe ich schon im Grab. Zukünftige Generationen könnten sehr stark davon betroffen sein. Man muss die Demokratie verteidigen und gegen Kräfte kämpfen, die gegen die Demokratie sind. Deutschland sollte sich sehr gut an seine Vergangenheit erinnern und Vorkehrungen treffen, damit sich die Vergangenheit in Zukunft nicht wiederholt. Wenn man zu spät handelt, ist es zu spät, und im Namen der Menschlichkeit werden neue Verbrechen begangen.

F.I.: Was möchten Sie abschließend sagen?
Fuat K.: Mögen nie wieder Kriege stattfinden, mögen unschuldige Kinder und Frauen nicht umsonst sterben. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Auslöschung der Palästinenser durch Israel dürfen nicht geduldet werden. Es muss berücksichtigt werden, dass die aggressive Politik Israels eine Gefahr im Nahen Osten darstellt. Niemand ist gegen Israels Recht, ein Staat zu sein, aber Israel sollte seinen Staat nicht durch Kriege gefährden.

F.I.: Ich sehe diesen Text als eine berührende Geschichte, die sowohl persönliche Erfahrungen als auch gesellschaftliche Beobachtungen aus der Sicht eines türkischen Staatsbürgers, der in Deutschland gelebt hat, wiedergibt.

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