Artikel von Nicolas Kurzawa/ Faz
Die Bilder von 2015 dürfte kaum jemand vergessen haben. Sie wurden so oft gezeigt und diskutiert, dass sie sich eingebrannt haben – selbst jenen, die damals nicht zugegen waren: Zehntausende Geflüchtete, vor allem Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, kamen in kurzer Zeit an deutschen Bahnhöfen an. München wurde damals zum Symbol der „Willkommenskultur“ und der „Flüchtlingskrise“ per se. Angela Merkels „Wir schaffen das“, das der damaligen Bundeskanzlerin bei einer Pressekonferenz am 31. August 2015 über die Lippen ging, sollte der zentrale Satz ihrer Kanzlerschaft werden.
Dieses Zitat steht seither auf dem Prüfstand. An Bilanzen oder Analysen, die sich daran reiben, mangelt es nicht. Ein klares und insbesondere objektives Urteil bleiben sie schuldig. Das kann selbst die Wissenschaft nicht leisten, schließlich hätte man die „Erfolgskriterien“ einer so vielschichtigen Aussage damals erst einmal definieren müssen. Eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die am Montag veröffentlicht wurde, versucht dennoch, Licht ins Dunkel zu bringen. Sie fragt, wie gut die Flüchtlinge von 2015 heute im deutschen Arbeitsmarkt integriert sind – und überrascht mit einer positiven Antwort.
Dass mit einer so hohen Beschäftigungsquote eigentlich nicht zu rechnen war, liegt an den Nachteilen, die es Geflüchteten erschweren, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die Autoren der IAB-Studie nennen in diesem Zusammenhang drei große Ursachenkomplexe. So gebe es „Belastungen“ auf einer individuellen Ebene wie „traumatische Erfahrungen“ oder fehlende Sprachkenntnisse. Zudem seien Ausbildungs- und Bildungsabschlüsse nur schwer übertragbar. Eine dritte Herausforderung liege in institutionellen und „Kontextfaktoren“ der Zielländer: Die „Bleibeperspektiven“ seien oft unklar, hinzu kommen Beschäftigungsverbote in der Anfangsphase oder Wohnsitzauflagen.
Mit Blick auf diese Hürden überraschen die Zahlen tatsächlich. Aber es gibt auch ein Manko. Das wird offensichtlich, wenn man die Beschäftigungsquoten nach Geschlechtern unterteilt, denn zwischen Männern und Frauen gibt es ein großes Gefälle. Während die Quote bei Männern 2024 bei 76 Prozent lag, also sogar über dem Durchschnitt der Männer in Deutschland, waren nur 35 Prozent der Frauen beschäftigt. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Quote bei Frauen insgesamt 69 Prozent. Mit konservativen Werten oder einer traditionellen Weltanschauung unter den geflüchteten Frauen sei das nicht erklärbar, sagt Herbert Brücker: „85 Prozent wollen arbeiten, und die überwältigende Mehrheit findet, dass eine Erwerbstätigkeit wichtig für die Gleichberechtigung von Frauen ist.“
In puncto Verdienst hinken die Geflüchteten hinterher. Acht Jahre nach ihrer Ankunft erreichten die vollzeitbeschäftigten Geflüchteten im Schnitt nur 70 Prozent der mittleren Verdienste der Deutschen, heißt es in der Studie. Damit liegen die Gehälter nur knapp über der Niedriglohnschwelle. Die liegt bei 66 Prozent. Das sei problematisch: „Niedrige Einkommen erhöhen das Risiko der Abhängigkeit von (ergänzenden) Transferleistungen.“ Der Anteil der Leistungsbezieher sei zwar bis 2023 von nahezu 100 Prozent auf rund ein Drittel gesunken, liege aber weiter deutlich über dem deutschen Schnitt. Die Anerkennung von Berufsabschlüssen, Qualifizierungsmaßnahmen und berufliche Weiterbildung bleiben demnach weiter „zentrale Hebel für nachhaltige Arbeitsmarktintegration“, schreiben die Forscher.
Faz.Frankfurter Allgemeine