Migrantische Repräsentation, Staatsbürgerschaft und die Widersprüche der schwedischen Demokratie

von Fremdeninfo
İsa Turan

Von:  Isa Turan / Schweden

Die schwedische Demokratie definierte sich lange Zeit über das Ideal des Folkhemmet (Volksheim), den universalen Wohlfahrtsstaat und ein Modell des institutionellen Konsenses. Diesem Narrativ zufolge ließen sich Klassenkonflikte durch parlamentarische Repräsentation und gewerkschaftliche Aushandlungsprozesse steuern. In den letzten Jahrzehnten jedoch traten die gravierenden Grenzen dieses Modells immer deutlicher zutage. Während migrantische Arbeit eine zentrale Rolle für den schwedischen Kapitalismus und die Reproduktion des Wohlfahrtsstaates spielt, wird sie systematisch von der politischen Repräsentation ausgeschlossen. Das Problem ist hierbei kein individuelles „Integrationsdefizit“, sondern liegt in der klassenspezifischen und staatsbürgerlichen Strukturierung der Demokratie selbst begründet.

Die Politik behauptet nach wie vor, sich um Begriffe wie Gleichheit, Solidarität und Demokratie zu formieren. Betrachtet man jedoch die politische Repräsentation der Migranten, die einen erheblichen Teil der Arbeiterklasse ausmachen, so scheinen diese Begriffe weitgehend entleert. Es gibt Wahlurnen, es gibt Stimmen; doch das Wort und die Entscheidungsgewalt liegen nach wie vor in den Händen einer schmalen Schicht.

Heute machen im Ausland Geborene etwa 20 Prozent der schwedischen Bevölkerung aus. In der Industrie, im Pflegesektor, im Verkehrswesen und im Gesundheitswesen – also dort, wo die Räder des Landes am Laufen gehalten werden – stellen migrantische Arbeiter einen entscheidenden Anteil. In Stockholm steigt dieser Wert sogar auf bis zu 23 Prozent. Demgegenüber liegt der Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund in den Regionalparlamenten lediglich bei etwa 3 Prozent. Dieses Bild zeugt nicht von einer Frage der Anpassung, sondern offenbart ein eklatantes Klassen- und Repräsentationsproblem.

Auch wenn Migranten mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung auf lokaler und regionaler Ebene das aktive und passive Wahlrecht genießen, bleibt die nationale Politik weitgehend ein geschlossener Raum. Die Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für ein Abgeordnetenmandat schließt Hunderttausende Werktätige, die seit Jahren in diesem Land leben, arbeiten und gewerkschaftlich organisiert sind, von den nationalen Entscheidungsprozessen aus. Dieser Zustand ist kein Indikator für Demokratie, sondern für eine selektive Repräsentation.

Das Erfordernis der Staatsbürgerschaft fungiert hierbei nicht bloß als juristisches Kriterium, sondern als Mechanismus, der die klassenmäßige Repräsentation filtert. Während migrantische Arbeiter Teil des Produktionsprozesses sind und in Gewerkschaften sowie bestimmten Bereichen der Lokalpolitik ihren Platz finden, werden sie auf nationaler Ebene aus den Machtmechanismen herausgehalten. Um es mit Nicos Poulantzas zu sagen: Diese Situation pfercht die migrantische Arbeit in eine Position ein, die zwar „repräsentativ, aber machtlos“ ist. Während die Demokratie formal fortbesteht, verengt sich ihr klassenspezifischer Gehalt zusehends.

In einem politischen Klima, in dem die extreme Rechte aufsteigt und Migranten zur direkten Zielscheibe macht, gewinnt dieses Repräsentationsdefizit eine noch gefährlichere Dimension. Der Kampf gegen Rassismus lässt sich nicht nur auf der Straße führen; er ist nur möglich, wenn Migranten in den Parlamenten, in den Kommunen und in den Entscheidungsmechanismen stark vertreten sind. Nicht repräsentierte Arbeit ist stets ein leichtes Ziel.

An diesem Punkt ist die historische Verantwortung der Linken und der Gewerkschaftsbewegung entscheidend. Eine Politik, die sich der migrantischen Arbeiter nur bei Streiks, Kundgebungen oder zu Wahlzeiten erinnert, kann keinen Anspruch auf Gleichheit erheben. Gleichheit bedeutet, dass dort, wo Arbeit ist, auch das Recht auf Mitsprache und Entscheidung bestehen muss.

Es ist funktional, die Diskussion über migrantische Repräsentation in den Rahmen von „Integration“ und „kultureller Anpassung“ zu zwängen. Das Problem ist nicht das fehlende Erkanntwerden, sondern der Ausschluss von Entscheidungsprozessen. Solange Anerkennung sich nicht mit Umverteilung und politischer Repräsentation verbindet, erzeugt sie keine demokratische Gleichheit; im Gegenteil, sie legitimiert bestehende Ungleichheiten.

Diese Exklusion wird auch über den städtischen Raum reproduziert. Wie Henri Lefebvre betonte, ist der Raum ein Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse. Der Ausschluss migrantischer Arbeit aus politischen Prozessen befeuert die räumliche Segregation und faktische Gettoisierung, die sich außerhalb der Stadtzentren ballt. Die im Rahmen des Miljonprogrammet errichteten Vorstädte haben sich mit der Transformation des Wohlfahrtsstaates in Areale verwandelt, in die migrantische Arbeit politisch und ökonomisch an die Peripherie gedrängt wurde.

Dieser Zustand, den Loïc Wacquant als „fortgeschrittene Marginalität“ bezeichnet, wird von der extremen Rechten als Ursache gesellschaftlicher Probleme dargestellt, obwohl er deren Ergebnis ist. Noch frappierender ist, dass diese Sprache nicht auf die extreme Rechte beschränkt bleibt; selbst Akteure, die sich links verorten, lassen ihre Politik von Begriffen wie „Anpassung“, „Problemviertel“ und einem sicherheitszentrierten Diskurs prägen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die politische Repräsentation von Migranten ist weder eine sekundäre Integrationsfrage noch ein technisches Partizipationsproblem. Sie ist ein fundamentaler Indikator, der den Klassencharakter der schwedischen Demokratie, die Grenzen des Bürgerschaftsregimes und die Aporien des Konsensmodells sichtbar macht. Ein wirklicher Kampf gegen Faschismus und Rassismus setzt voraus, Migranten von der Rolle passiver Wähler zu befreien und sie zu Entscheidungsträgern zu machen. Andernfalls wird die schwedische Demokratie eine unvollständige Demokratie bleiben, die einen Teil der Werktätigen außerhalb des Systems hält.

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