Vorbild für Deutschland? In Dänemark funktionieren Quoten für Migranten
Artikel von Julian Stai/ Faz
Jugendliche im Kopenhagener Stadtviertel Tingbjerg © Julian Staib
Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) hat kürzlich eine Obergrenze für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an Schulen als ein „denkbares Modell“ bezeichnet. Gefragt worden war sie da zu dem Beispiel Dänemark. Prien sagte dazu: „Ich finde, da macht es immer Sinn, sich die Erfahrungen aus anderen Ländern anzugucken, ob das 30 Prozent oder 40 Prozent dann am Ende sind.
Allerdings gibt es in Dänemark keine derartige Quote für Migranten an Schulen, sondern eine für ganze Stadtviertel. Dem Land gelingen derzeit in Sachen Bildung und Migration erstaunliche Erfolge, auch wenn die oft auf harten Maßnahmen beruhen.
Sollte Prien sich diese einmal ansehen wollen, empfiehlt sich ein Besuch in Tingbjerg, im Norden Kopenhagens gelegen. 1950 am Rande der dänischen Hauptstadt errichtet, abgeschnitten vom Rest der Stadt und geprägt von Sozialbauten, war das Viertel lange Zeit das wohl härteste des Landes. Banden terrorisierten die Anwohner, die Kriminalitätsrate war hoch, die Rate der Schulabbrecher ebenso. Doch zuletzt hat sich vieles zum Besseren verändert. Immer noch leben hier überwiegend Menschen mit Migrationsgeschichte. Doch die Kriminalitätszahlen sinken, der Anteil der Einwohner mit Jobs steigt und viel mehr Kinder als früher besuchen nun eine weiterführende Schule.
Der Grund: die für Dänemark typische Mischung aus harten Maßnahmen und massiven Investition. „Ein Dänemark ohne Parallelgesellschaften“, lautet die Strategie der Regierung. 2018 wurde sie vom Parlament verabschiedet. Dazu wurden „Ghetto“-Listen veröffentlicht. Die heißen nun anders, die Viertel werden nun „Transformationsgebiete“ oder „gefährdete Wohngebiete“ genannt, aber sonst hat sich wenig verändert. Aufgenommen werden Gegenden, die mindestens drei von vier Kriterien erfüllen: mindestens 40 Prozent der Bewohner weder in Arbeit noch in Ausbildung, mindestens 50 Prozent „nichtwestliche“ Migranten, hohe Kriminalitätsrate, geringe Schulausbildung.
Keine „Ghetto-Viertel“ bis 2030
Werden diese Voraussetzungen erfüllt, drohen harte Maßnahmen. Um die Bevölkerungsstruktur zu verändern, werden mancherorts Häuser abgerissen und Menschen zwangsumgesiedelt, wie etwa in Gellerup, einem Stadtteil von Aarhus. Andernorts wird, wie derzeit in Tingbjerg, massiv nachverdichtet und aufgewertet, unzählige neue private Häuser entstehen zwischen den alten Sozialbauten. Menschen aus Fluchtherkunftsstaaten dürfen in das Viertel nicht mehr ziehen. Rein darf nur, wer seit mehreren Jahren einen Job hat und nicht vorbestraft ist. Bis 2030 soll es so keine „Ghetto-Viertel“ in Dänemark mehr geben.
Das hat starke Auswirkungen auf die Schulen in den Problemvierteln. Zugleich wird massiv in Sozialarbeit und in die örtlichen Schulen investiert. Schulbauten wurden renoviert, neue Bibliotheken sind entstanden und viele neue Sportangebote. Hinzu kommen landesweite Vorgaben, die den Bildungserfolg sicherstellen sollen, wie der in Dänemark verpflichtende Besuch eines Vorschuljahrs („Klasse 0“). Danach kommen alle für neun bis zehn Jahre auf die Gemeinschaftsschule. Die ist zudem eine Ganztagsschule, das hilft beim Lernen und hält die Kinder in den Problemvierteln weg von der Straße. Befreit von der Ganztagspflicht wird nur, wer etwa einen Sportverein besucht. In Tingbjerg zahlt sich all das aus: Wechselten 2016 nur 62 Prozent der Schüler nach dem Abschluss auf eine weiterführende Schule, sind es mittlerweile 100 Prozent.
Allerdings sind die dänischen Erfahrungen nur begrenzt übertragbar. Das gezielte Aufbrechen und Fördern von Problemvierteln ist auch dadurch möglich, dass es landesweit nur wenige davon gibt und diese nicht sehr groß sind. Das Migrationsgeschehen ist seit Jahren ein sehr anderes als etwa in Deutschland. Dänemark ist aufgrund eines Sonderstatus nicht an die EU-Asyl- und Migrationsregeln gebunden und zum Entsetzen von Flüchtlingshelfern vollzieht es seit Jahren eine sehr restriktive Asylpolitik – mit der es mittlerweile für die anderen nordischen Staaten, aber zunehmend auch für viele in Deutschland zum Vorbild geworden ist.
Als Folge kommen seit Jahren kaum noch Asylbewerber nach Dänemark. So stellten im vergangenen Jahr nur 2300 Personen einen Asylantrag, in Deutschland waren es mehr als 250.000 Personen. Diskutiert über Migration wird derzeit in Dänemark trotzdem viel. Schließlich leben in Städten wie Kopenhagen mittlerweile sehr viele Migranten, dem Wirtschaftsboom sei dank. Doch ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund mit rund 16 Prozent landesweit immer noch relativ gering. In Deutschland beträgt die Zahl knapp 28 Prozent. In deutschen Großstädten bietet sich noch einmal ein sehr anderes Bild. Prien hatte zur möglichen Obergrenze für Menschen mit Migrationshintergrund an Schulen die Zahlen von 30 Prozent oder 40 Prozent genannt. Beides ist mittlerweile teils weit weg von der Lebensrealität in vielen Stadtvierteln. Selbst in Hamburg-Blankenese, Priens Wohnort, haben mittlerweile laut Statistikamt-Nord 29,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund und damit befindet sich das Viertel weit unten auf der stadtweiten Skala. In Hamburg insgesamt sind es 57 Prozent. In manchen Vierteln, wie etwa der Veddel, gar 92,5 Prozent. Schüler ohne Migrationshintergrund sind somit in der Stadt insgesamt in der Minderheit.