Kamil Taylan
Erdogan hat das Spiel längst perfektioniert. Andere handeln mit Gas, Öl oder seltenen Erden – er handelt mit Menschen. Vier Millionen Flüchtlinge, fein säuberlich katalogisiert nach Herkunft, Verzweiflungsgrad und politischem Nutzen. Ein Vorrat an Leid, abrufbar für jede diplomatische Krise. Und Europa kauft. Immer. Teuer, verlässlich, moralisch entsetzt – und politisch gefügig.
Man nennt es in Brüssel „Migrationskooperation“, in Berlin „pragmatische Außenpolitik“, in Ankara schlicht „Hahn auf – Hahn zu“. Ein simpler Mechanismus: Wenn Europa nicht spurt, fließen keine Rückführungen. Wenn es zahlt – oder besser noch: Kampfjets liefert – versiegt der Strom Richtung Ägäis. Die Türkei ist zum Türsteher Europas geworden, mit der Lizenz zum moralischen Spagat.
2020 ließ Erdogan die Busse anrollen – Tausende Menschen an die griechische Grenze, eine Prozession der Hoffnungslosigkeit. Die Kameras liefen, die Drohung war verstanden: „Es werden noch mehr kommen!“ Und sie kamen. Nicht, weil sie wollten, sondern weil sie mussten. Ein geopolitisches Schauspiel, Regie: Recep Tayyip Erdogan. Statisten: die Entrechteten.
Jetzt, fünf Jahre später, 2025, wird das Stück fortgesetzt – mit neuen Kulissen, neuen Requisiten. Statt Drohungen gibt es Deals.
Deutschland liefert Eurofighter, Erdogan liefert Zustimmung zur Rücknahme abgelehnter Asylbewerber. Waffen gegen Menschen, Technik gegen Schweigen. Das Ganze nennt sich „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Und Kanzler Merz spricht in Ankara von einem „strategischen Dialog“. Erdogan lächelt – der Mann weiß, wann er gewonnen hat.
Manche nennen es Erpressung. Andere Realpolitik. Der Unterschied ist nur eine diplomatische Floskel weit. Denn im Kern bleibt es ein Tauschgeschäft mit menschlichem Material. 22.000 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland – Figuren auf Erdogans Schachbrett. Jede Bewegung eine Botschaft: „Willst du sie zurück? Dann gib mir, was ich will.“
Und Europa nickt, weil es Angst hat, dass das Spiel sonst ohne Regeln weitergeht.
Die EU überweist Milliarden, baut Zäune, nennt sie „Hotspots“ und diskutiert ernsthaft über „sichere Drittstaaten“. Sichere Drittstaaten – in einem Land, in dem Journalisten verhaftet, Richter ausgetauscht und Menschenrechtler als Terroristen angeklagt werden. Aber die Genfer Flüchtlingskonvention, mit Erdogans geografischem Vorbehalt, bleibt ein hübsches Feigenblatt.
Man kann sich schließlich nicht um jedes Schicksal kümmern, wenn man gleichzeitig Eurofighter liefern muss.
Die eigentliche Tragödie spielt sich indes leise ab: auf den Gesichtern jener, die weder Erpressung noch Diplomatie heißen – die einfach nur Menschen sind.
Kurden, Oppositionelle, Deserteure, die in Deutschland Zuflucht suchen und nun erfahren, dass ihr Wert in Tonnen von Rüstungsgütern bemessen wird. Ihre Angst wird zu Verhandlungsmasse, ihre Rückführung zu politischer Geste. Man nennt das: „ordnungspolitische Notwendigkeit“.
Ein schöner Euphemismus für Verrat.
Erdogan versteht das alles meisterlich. Er ist kein Zyniker, er ist Realist. Er weiß, dass Europa keine Feinde hasst, sondern Unruhe fürchtet.
Und nichts stört den europäischen Traum vom „geordneten Rückführungsabkommen“ mehr als der Gedanke, dass jemand das Chaos kontrolliert, das man selbst verdrängt hat.
Also bekommt Erdogan, was er will – Eurofighter, EU-Programme, diplomatische Anerkennung.
Und Europa bekommt, was es braucht: Ruhe.
Moral ist schließlich kein Wirtschaftsgu