Von: Alper Altinörs/ Artigercek
Die Wahlergebnisse haben Ankara einmal mehr daran erinnert, dass die Türkei eine Garantiemacht der 1960 gegründeten Republik Zypern ist. Sie haben erneut gezeigt, dass Zypern keine Provinz der Türkei ist, sondern ein eigenständiges Land. Sie haben den Existenzkampf des türkisch-zypriotischen Volkes offengelegt.
Die Präsidentschaftswahlen in Nordzypern endeten trotz des massiven Drucks aus Ankara mit einem Debakel für Tatar und einem Sieg für Erhürman. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die Einmischung Ankaras in der Gefühls- und Gedankenwelt des türkisch-zypriotischen Volkes völlig nach hinten losgegangen ist.
Tatsächlich, während die türkischen Zyprioten lautstark gegen den Casino-Mafia-Kapitalismus protestierten, schickte Ankara Süleyman Soylu zur Propaganda auf die Insel! Während die türkischen Zyprioten Sensibilität für den Laizismus zeigten und sich über die zunehmenden Strukturen von religiösen Sekten und Gemeinschaften auf der Insel beschwerten, ließ Ankara Cübbeli Ahmet Hoca für Tatar Propaganda machen.
Wer reiste nicht alles für Tatar auf die Insel? Vom Vizepräsidenten Cevdet Yılmaz über den Fußballer Mesut Özil und den Sänger Yavuz Bingöl bis hin zum Hasspolitiker Ümit Özdağ. Sogar Erdoğan selbst rief Mesut Özil an und sagte: „Wir müssen diese Wahl unbedingt gewinnen.“ Diese Kampagne zeigte einmal mehr, dass Zypern aus der Sicht Ankaras nur ein Flugzeugträger und eine Erdgasreserve ist und das türkisch-zypriotische Volk missachtet wird. Wieder wurde ein „nationales Existenzproblem“ (beka sorunu) erfunden. Wenn der korrupte Politiker Ersin Tatar nicht gewählt würde, ginge das Türkentum verloren!
Dabei hatte das türkisch-zypriotische Volk die breiteste Allianz unter sich gebildet, um Tatar abzuwählen. Das Volk lehnte den ungelösten Zustand ab, der als „Zweistaatenlösung“ bezeichnet wird, aber in Wirklichkeit eine Ein-Staat-Lösung (Türkei) darstellt. Das Gefühl der zypriotischen Identität war im Aufwind. Der Widerstand gegen den bestehenden Status quo, bei dem die Türkei die Früchte erntet, während die türkischen Zyprioten unter der Isolation leiden, breitete sich wie eine starke Unterströmung aus. (Sozusagen erkennt die Türkei die TRNZ an, aber zum Beispiel würde kein türkischer Fußballverein auch nur ein Freundschaftsspiel gegen eine türkisch-zypriotische Mannschaft austragen. Wäre es so schlimm, wenn Çetinkaya und Fenerbahçe ein Freundschaftsspiel bestreiten würden? Aus Angst vor der FIFA trauen sie sich nicht. Dies ist nur ein kleines Beispiel.)
Während Nordzypern unter Isolation dem Mafia-Kapitalismus ausgeliefert ist, boomt die Wirtschaft Südzyperns. In Nordzypern muss zwangsläufig die türkische Lira verwendet werden (die TRNZ, ein sogenannter unabhängiger Staat, hat keine eigene Währung!). Der Wertverlust der Lira durch Erdoğans Politik „Zinsen sind die Ursache, Inflation ist die Folge“ hat Nordzypern extrem hart getroffen. In Nordzypern, wo sich die Marktpreise nach Devisen richten, die Gehälter und Löhne aber in TL ausgezahlt werden, ist die Inflation ein aus der Türkei importiertes Übel. Während der Euro 2021 noch 10 TL wert war, sind es heute 50 TL. Das bedeutet, dass allein auf Währungsbasis Südzypern in diesen 5 Jahren im Vergleich zum Norden 5-mal reicher geworden ist. Diese Wahlergebnisse sind ein Protest gegen den wirtschaftlichen Zusammenbruch der letzten fünf Jahre. Hinzu kommt der Statusverlust des türkischen Passes im Gegensatz zum Pass der Republik Zypern, der direkten Zugang zur EU ermöglicht.
Die TRNZ ist eine Fortsetzung der 1960 gegründeten Republik Zypern. In Bezug auf politische Kultur, Sitten, Gebräuche und sogar die Verkehrsregeln unterscheidet sie sich stark von der Türkei. Innerhalb ihrer Grenzen ist sie im Vergleich zur Türkei weitaus demokratischer. In den letzten fünf Jahren wollte man aus Ankara nicht nur Casino-Kapitalismus und Inflation, sondern auch das autoritäre Präsidialregime auf die Insel exportieren. Der Präsident der TRNZ, dessen Exekutivbefugnisse begrenzt sind und der eher die Position eines Gemeinschaftsvertreters innehat, sollte nach türkischem Vorbild mit absoluter Macht ausgestattet werden. Zu diesem Zweck mischte sich Ankara sogar in die Kongresswahlen der UBP ein. Wäre Tatar für eine weitere Amtszeit gewählt worden, wäre dieses Modell erheblich vorangetrieben worden. Auch dagegen protestierte das türkisch-zypriotische Volk und verteidigte seine Demokratie. Das Modell, bei dem Tatar im Schaufenster steht, während die gesamte ausführende Gewalt bei der türkischen Botschaft liegt, hat bei diesen Wahlen verloren.
Die auf einer Föderation basierende Lösung mit zwei gleichberechtigten Gemeinschaften schien in den letzten fünf Jahren auf Zypern begraben worden zu sein. Obwohl die von den Griechen geführte Republik Zypern diese Lösung sowohl während des Annan-Plans als auch bei den Gesprächen in Crans Montana sabotiert hat, protestierte das Volk gegen die sogenannte „Zweistaatenpolitik“. Diese Politik führte dazu, dass der Preis (durch Isolation) immer vom türkisch-zypriotischen Volk gezahlt wurde und es so aussah, als ob die Nordseite keine Lösung wolle. Sie hat die Idee der Föderation wieder aus der Versenkung geholt. Dass Devlet Bahçeli noch in der Wahlnacht eine Annexion ins Gespräch brachte, bewies ebenfalls, dass die sogenannte „Zweistaatenpolitik“ in Wirklichkeit eine Ein-Staat-Politik (Türkei) ist. Die Wahlergebnisse haben Ankara einmal mehr daran erinnert, dass die Türkei eine Garantiemacht der 1960 gegründeten Republik Zypern ist. Sie haben erneut gezeigt, dass Zypern keine Provinz der Türkei ist, sondern ein eigenständiges Land. Sie haben den Existenzkampf des türkisch-zypriotischen Volkes offengelegt.
Natürlich wurde die Haltung des türkisch-zypriotischen Volkes auch durch den politischen Putsch, der seit dem 19. März in der Türkei stattfindet, und den Widerstand dagegen beeinflusst. Es sei daran erinnert, dass bei den türkischen Präsidentschaftswahlen 2023 die CHP aus den auf der Insel aufgestellten Wahlurnen als stärkste Partei hervorging. Dies konnte als Vorbote dafür gewertet werden, dass auch die türkischen Staatsbürger auf der Insel für Erhürman stimmen würden. Es war auch ein Signal dafür, dass die bei früheren Wahlen in der TRNZ zu beobachtende Trennung zwischen Türkeistämmigen und türkischen Zyprioten überwindbar ist. Tatsächlich gewann Erhürman in allen Wahlkreisen, einschließlich derer, die als „Hochburgen der Rechten“ bekannt sind. Natürlich spielte die Wirtschaftskrise bei dieser Annäherung eine große Rolle. In dieser Hinsicht können wir die Wahlen in der TRNZ dieses Mal als einen Vorboten für die kommenden Wahlen in der Türkei betrachten.