Artikel von Julia Naue / T-Online
Sichere Drittstaaten oder Rückkehrzentren: Die EU-Staaten haben sich auf strengere Asylregeln verständigt. Bei der konkreten Umsetzung gibt es jedoch noch erhebliche rechtliche und praktische Hürden.
Für Alexander Dobrindt war es gewiss ein guter Tag. Die EU-Staaten haben sich am Montag in Brüssel auf strengere Asylregelungen geeinigt. Der Bundesinnenminister (CSU) tritt seit Amtsantritt als Hardliner in der Migrationspolitik auf, hat eine „Migrationswende“ versprochen. Dass die EU-Innenminister sich nun auf eine Asylreform verständigt haben, nannte Dobrindt ein „europäisches Momentum einer neuen Migrationspolitik“.
Und dann konnte der CSU-Politiker am Abend noch einen weiteren Erfolg verkünden: Italien und Griechenland wollen dem Bundesinnenminister zufolge künftig wieder Asylbewerber aus Deutschland zurücknehmen. „Wir haben uns mit Griechenland und Italien darauf verständigt, dass sie Migranten wieder zurücknehmen, die über ihre Länder die Europäische Union betreten haben“, sagte er der „Bild“-Zeitung.
Was heißt all das für die deutsche Migrationspolitik? Und was sind die Knackpunkte der Beschlüsse, die das EU-Parlament noch final genehmigen muss? Zu klären gibt es einiges – das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. t-online gibt einen Überblick zu den wichtigsten Fragen.
Sichere Drittstaaten
Der Beschluss: Künftig soll es leichter sein, Menschen in sogenannte sichere Drittstaaten außerhalb der EU zu überstellen. Bisher mussten Asylsuchende eine enge Verbindung zu einem solchen Drittstaat haben, etwa durch Familie oder einen längeren Aufenthalt, ein sogenanntes „Verbindungselement“. Künftig könnte für eine Abschiebung schon ein Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und diesem Staat genügen. Dadurch wäre es möglich, Asylverfahren auch in Länder zu verlagern, zu denen Betroffene keinerlei Bezug haben.
Die Knackpunkte: Der Migrationsexperte Gerald Knaus lobt die Einigung in diesem Punkt. Sie sei ein „vielleicht historischer Schritt“, sagte er dem ZDF. Damit könnten deutlich weniger Menschen in die EU kommen. Wenn das sogenannte Verbindungselement wegfalle, werde das vieles erleichtern, argumentiert er. Er sieht die Herausforderung nun darin, Länder zu finden, in denen die menschenrechtlichen Standards eingehalten werden.
Als Negativbeispiel wird hier oft der britische Ruanda-Deal angeführt. Das Migrationsabkommen sah vor, dass Asylsuchende, die irregulär nach Großbritannien eingereist sind, nach Ruanda ausgeflogen werden. Dort sollten sie ihr Asylverfahren durchlaufen – nicht in Großbritannien. Anerkannte Flüchtlinge hätten nicht nach Großbritannien zurück gedurft. Der britische Premier Keir Starmer stoppte die Pläne einen Tag nach Amtsantritt, zuvor gab es auch rechtliche Hürden für die Umsetzung.
Der Vergleich greift aber nur begrenzt. Bisher ist nicht festgelegt, dass anerkannte Schutzberechtigte zwangsweise in dem entsprechenden Drittstaat verbleiben müssten. Ohnehin müssen nun erst einmal entsprechende Abkommen mit Nicht-EU-Ländern geschlossen werden. „Nicht-EU-Länder können nur dann als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, wenn sie hohe Sicherheitsstandards erfüllen“, so der Europäische Rat.
Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR mahnte die EU bereits im Sommer, dass „bei der Überstellung von Asylsuchenden in ein sicheres Drittland strenge Schutzvorkehrungen getroffen werden müssen“. Es ist davon auszugehen, dass gegen mögliche Drittstaaten-Modelle geklagt wird. Dabei dürfte auch die Einhaltung menschenrechtlicher Standards ganz genau überprüft werden. Die Herausforderung besteht also darin, rechtlich wasserdichte Abkommen mit Drittstaaten zu schließen. Italien hat bereits ein bilaterales Abkommen mit Albanien geschlossen, das aber rechtlich erfolgreich angefochten wurde.
Return Hubs
Der Beschluss: Die Einigung sieht vor, dass Rückführungszentren in Drittstaaten außerhalb der EU eingerichtet werden können. In solchen sogenannten Return Hubs sollen ausreisepflichtige Asylbewerber untergebracht werden, die nicht in ihre Herkunfts- oder Heimatländer zurückgebracht werden können. Hier geht es also um Menschen, die bereits einen negativen Asylbescheid in Europa erhalten haben.
Die Knackpunkte: An diesem Vorhaben gibt es viel Kritik. Die EU-Agentur für Grundrechte in Wien mahnte in der Vergangenheit „schwerwiegende Risiken für die Grundrechte“ beim Betrieb solcher Rückführungszentren an. Deshalb müssten „unabhängige und wirksame Mechanismen zur Überwachung der Menschenrechte“ in Abkommen mit Drittstaaten sichergestellt werden. Auch hier gibt es also wieder hohe Hürden, diese Abkommen rechtssicher zu machen.
Es müssen außerdem Länder gefunden werden, die überhaupt bereit sind, ausreisepflichtige Menschen aus der EU aufzunehmen. Entsprechende Abkommen können auch kippen, wenn es zu Regierungswechseln oder Krisen kommt. Außerdem muss vor Ort sichergestellt werden, dass die Vorgaben eingehalten werden. Als Land, das für solche Return Hubs infrage kommen könnte, wird von EU-Seite zum Beispiel Uganda genannt.
Nicht alle EU-Mitgliedsstaaten sind überzeugt von dem Konzept der Return Hubs. So zweifelte Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska daran, ob die Abschieberegelung mit internationalem und humanitärem Recht vereinbar sei. Auch die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel übt Kritik an den Plänen. Es sei völlig offen, wie es mit den Menschen dort weiterginge, sagte sie im Deutschlandfunk. Sie fragte, ob die Menschen dann in dem Land bleiben sollten oder ob man hoffe, dass ihre Herkunftsstaaten sie aufnehmen würden. „Alles sehr, sehr vage und völlig ungeklärt“, sagte sie.
Solidaritätsmechanismus
Der Beschluss: Im Rahmen des sogenannten Solidaritätsmechanismus haben sich die EU-Länder darauf verständigt, innerhalb der Europäischen Union im Jahr 2026 21.000 Schutzsuchende umzusiedeln. So sollen besonders unter Druck stehende EU-Staaten entlastet werden. Im Rahmen dieses Mechanismus sollen weniger belastete EU-Länder zudem 420 Millionen Euro bereitstellen, auch Sachleistungen können verrechnet werden. Deutschland nimmt unter dem Solidaritätsmechanismus nach Angaben der Bundesregierung keine zusätzlichen Asylbewerber auf.
Die Knackpunkte: Die Europäische Kommission stuft Zypern, Griechenland, Italien und Spanien als Staaten ein, die unter Migrationsdruck stehen – also die Länder an den EU-Außengrenzen. Diese Länder können von den Solidaritätsmaßnahmen des Solidaritätspools profitieren. Wer bisher besonders viele Schutzsuchende aufgenommen hat, kann sich seinen bisherigen Beitrag anrechnen lassen. Das gilt voraussichtlich für Deutschland, muss aber final noch bestätigt werden.
Begeistert sind von diesem neuen Mechanismus aber bei Weitem nicht alle EU-Länder. Ungarn zum Beispiel will sich daran nicht beteiligen. Der EU-Kommissar für Inneres, Magnus Brunner, bedauert das. Das System würde für alle Vorteile mit sich bringen, sagte der Österreicher im ZDF-„Morgenmagazin“. Es gehe um eine Balance zwischen Solidarität und Verantwortung. „Jeder, der teilnehmen will an der Europäischen Union, muss sich natürlich auch daran halten, selbstverständlich.“ Möglicherweise kann eine Verweigerungshaltung Strafzahlungen für Budapest bedeuten.
Unklar ist auch, wie sich die weiteren Länder verhalten werden, die nach den neuen Regeln wahrscheinlich Zuwanderer aus anderen EU-Staaten aufnehmen oder Zahlungen leisten müssten. Dazu zählen neben Ungarn Schweden, Portugal, Rumänien und Luxemburg.
Die SPD-Europaabgeordnete Sippel sieht auch den Solidaritätsmechanismus kritisch. „Ehrlich gesagt, ich wundere mich, worüber wir uns aufregen, wenn es um 21.000 Umsiedlungen geht“, sagte sie. Es handle sich um einen „Treppenwitz“.
Sichere Herkunftsländer
Der Beschluss: Es soll eine gemeinsame EU-Liste sicherer Herkunftsländer eingeführt werden. Darauf sollen die Länder Marokko, Tunesien und Ägypten, Kosovo, Kolumbien sowie Indien und Bangladesch gelistet werden. Grundsätzlich sollen auch Länder, die Kandidaten für einen EU-Beitritt sind, als sicher gelten. Dazu würden dann etwa Albanien, Montenegro oder die Türkei gehören. Prinzipiell soll auch bei diesen Ländern der Einzelfall geprüft werden. Das bedeutet, dass nicht automatisch abgeschoben wird. Stattdessen ist ein beschleunigtes Asylverfahren vorgesehen.
Die Knackpunkte: Die Liste soll EU-weit bindend sein. Generell gilt auch bei so einer pauschalen Liste, dass rechtlich strenge Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ein Staat als sicher eingestuft werden kann. Viele EU-Staaten, auch Deutschland, haben eigene Listen und eigene Kriterien. Der Bundestag hat gerade erst beschlossen, dass Staaten
Verwendete Quellen:
- ZDF-Interview mit Migrationsforscher Knaus: „Vielleicht historischer Schritt“
- DLF-Interview mit Birgit Sippel: EU-Abgeordnete fürchtet Abschaffung des Asylrechts in Europa
- ZDF-Interview mit Brunner: „Sind inmitten der größten Migrationswende“
- Pressemitteilung des Europäischen Rats: Migration and asylum: Member states agree on solidarity pool (englisch)
- Pressemitteilung des Europäischen Rats: Asylum policy: Council pushes ahead with EU laws on safe countries of origin and safe third countries (englisch)
- Pressemitteilung des Eupoäischen Rats: Council clinches deal on EU law about returns of illegally staying third-country nationals (englisch)
- Materialen der Nachrichtenagenturen
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