Dieses Interview wurde von Cumali Yağmur geführt.
Cumali Yağmur: Herr Bahattin Görgülü, Sie sind einer der ersten Gastarbeiter, die 1961 nach Deutschland kamen. Können Sie uns ein wenig darüber erzählen? Welche Schwierigkeiten gab es damals?
Bahattin Görgülü: Ich meldete mich beim Arbeitsamt an und sagte: „Ich werde nach Deutschland gehen.“ Drei Tage später schickten sie mir einen Brief und luden mich zur Untersuchung ein. Ich ging zur Untersuchung. Die Ärzte untersuchten mich; ein Zahn war kariös. Ich zahlte 100 TL, ließ den Zahn richten und bekam mein Gesundheitszeugnis. Sie setzten uns in den Zug. Nach drei Tagen Reise kamen wir in München an. Dort wurden wir verteilt und ich kam nach Hannover. Von Hannover aus kamen wir nach Wolfsburg, um bei Volkswagen zu arbeiten. Vor uns waren bereits Italiener gekommen und hatten angefangen, bei Volkswagen zu arbeiten.
Man zeigte uns das „Heim“, in dem wir wohnen sollten; wir sollten zu viert in einem Zimmer bleiben. Sie verteilten uns auf die Wohnheime. Morgens fingen wir an zu arbeiten, der Vorarbeiter kam und verteilte uns an die Maschinen. Dort zeigten sie uns mit den Händen, wie die Maschine funktioniert und worauf wir achten müssen. Wir konnten kein Deutsch und verständigten uns mit Zeichensprache.
Damals schickten sie uns nicht einmal zu Kursen, um Deutsch zu lernen. Da wir draußen kaum Kontakt zur Bevölkerung hatten, lernten wir ein „Tarzan-Deutsch“ – also ein bisschen etwas vom Hörensagen, von Arbeitskollegen oder beim Einkaufen.
Die Arbeitsbedingungen waren ziemlich hart, man musste im Akkord arbeiten. Anfangs hatten wir große Schwierigkeiten. Wir hatten Probleme, bis wir uns an die Arbeitsbedingungen und das Tempo gewöhnt hatten. Man hatte uns erzählt, dass wir in Deutschland leicht Geld verdienen würden. Wir lernten, dass das Geld nicht leicht verdient wird.
Cumali Yağmur: Haben Sie später Ihre Familie nachgeholt?
Bahattin Görgülü: Ich arbeitete ein Jahr, nahm meinen Jahresurlaub und fuhr in die Türkei. Mein Sohn war inzwischen 6 Jahre alt geworden. Er erkannte mich natürlich nicht und ich hatte Schwierigkeiten, Kontakt zu ihm aufzubauen. Ich blieb einen Monat in der Türkei, verließ meine Familie wieder und kam zurück nach Deutschland, nach Wolfsburg. Ein Jahr später holte ich meine Frau und meinen Sohn zu mir nach Deutschland. Ich mietete eine Wohnung, verließ das Wohnheim und zog in die Wohnung.
Als mein Sohn ankam, war er 8 Jahre alt und schulpflichtig. Er konnte kein Deutsch, aber meine Nachbarn haben ihm – Gott sei Dank – geholfen, Deutsch zu lernen. Damals gab es in Deutschland nicht viele Ausländer und unsere Beziehungen liefen anders ab.
C.Y.: Waren Ihre Beziehungen zu Ihren deutschen Nachbarn damals gut?
B.G.: Als ich kam, gab es in Deutschland nur sehr wenige Ausländer; es gab Italiener, Spanier, Portugiesen und uns Türken. Die Beziehungen zu unseren Arbeitskollegen und den Deutschen draußen, soweit wir uns verständigen konnten, waren anders als heute. Da die Nachbarschaftsbeziehungen bei den Deutschen anders sind und wir auch nicht viel Deutsch konnten, vergingen die Jahre.
C.Y.: Waren die Deutschen damals sehr anders?
B.G.: Damals kam Deutschland gerade aus dem Krieg und war nicht so weit entwickelt wie heute. Die Menschen waren auch nicht besonders reich und nicht wie heute. Jetzt hat sich alles geändert, sowohl bei uns als auch bei ihnen. Ich bin alt geworden; ich gehe kaum noch aus dem Haus, vielleicht ein bisschen in den Park und dann wieder nach Hause. Ich liebe meine Enkelkinder, verbringe so meine Tage und warte darauf, in die andere Welt zu gehen.
Die heutigen Bedingungen haben sich sehr verändert. Es kamen viele Arbeiter nach Deutschland und ihre Kinder wurden hier geboren. Sie gingen in Kindergärten und Schulen; sie haben ständigen Kontakt zu Deutschen. Durch diesen Kontakt entstanden Widersprüche und mittlerweile hat ein Wettstreit untereinander begonnen.
Aufgrund von Kriegen, schlechten klimatischen Bedingungen und der politischen Lage in ihren Heimatländern kamen viele Flüchtlinge nach Deutschland.
C.Y.: Stört Sie deren Ankunft?
B.G.: Nein, ich sage, dass es so etwas [eine Störung] keinesfalls gibt. Jeder isst sein eigenes Brot [Rızık] und es ist das Recht eines jeden, hier zu arbeiten und für den Unterhalt seiner Kinder zu sorgen. Es ist nicht wichtig, unter welchen Umständen jemand hier ist. Wichtig ist, dass sie sensibler miteinander umgehen und das Zusammenleben nicht beschädigen.
Meine Rente wird wegen der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, weder weniger noch mehr. Ich bekomme dieselbe Rente und die anderen sollen auch von jedem Recht profitieren.
C.Y.: Beunruhigt Sie der Aufstieg der AfD in Deutschland nicht?
B.G.: Natürlich stören uns reaktionäre und fremdenfeindliche Parteien wie die AfD. Welchen Ausländer stört es nicht, wenn sie „Ausländer raus“ rufen? Mein Alter ist fortgeschritten, aber die Zukunft der neuen Generationen sieht nicht sehr rosig aus. Sie müssen die Gesellschaft und die Welt, in der sie leben werden, selbst aufbauen und friedlich mit den Deutschen zusammenleben.
C.Y.: Möchten Sie nach Ihrem Tod hier beerdigt werden?
B.G.: Ich denke, dass Erde gleich Erde ist (dass es bei der Erde keinen Unterschied gibt). Hier sind meine Kinder, meine Enkel; in der Türkei ist niemand mehr übrig. Wenn ich sterbe, können meine Kinder und Enkel an mein Grab kommen und beten, und sie werden sich daran erinnern, dass das Grab ihres Vaters und Großvaters hier ist.
Da mir der politische Verlauf in der Türkei nicht zusagt, möchte ich mich nicht einmal dorthin wenden, um zu ruhen.
Wenn ich in der Türkei begraben würde, könnten sie keine Blumen auf meinem Grab pflanzen. Die Friedhöfe hier sind sehr sauber und werden gut gepflegt.
Cumali Yağmur: Herr Bahattin Görgülü, ich danke Ihnen für diese ausführlichen Informationen.