Der Aktivist Can Taylan Tapar ist einer von Tausenden, die für ihre oppositionelle Haltung in der Türkei den Preis des Exils zahlen mussten. In Deutschland, wo er Asyl beantragt hat, beantwortete er die Fragen von Cumali Yağmur von Fremdeninfo. Tapar erzählt offen seine Geschichte, die von staatlicher Repression bis zu seinem Weg ins Exil reicht.
Fremden Info: Sie waren viele Jahre lang politisch in der Türkei aktiv. Können Sie uns die Umstände schildern, die Sie gezwungen haben, Ihr Land zu verlassen, und wie dieser Entscheidungsprozess verlief?
Can Taylan Tapar: Ich war lange Zeit in der türkischen Politik aktiv. Das gegenwärtige politische Klima lässt oppositionellen Stimmen jedoch keinen Raum zum Atmen. Die AKP-MHP-Regierung hat unter Einsatz aller staatlichen Mittel eine regelrechte Überwachungsgesellschaft geschaffen. Jede Demonstration, an der man teilnimmt, jede Versammlung wird mit Kameras aufgezeichnet. Zivilpolizisten sind einem ständig auf den Fersen; mit wem man spricht, welche Kontakte man pflegt – jeder Schritt wird verfolgt. Man fühlt sich permanent in die Zange genommen.
Diese Politik der Unterdrückung und Einschüchterung war für mich kein abstraktes Konzept, sondern gelebte Realität. Ich wurde unter verschiedensten Vorwänden mehrfach festgenommen und dabei unverhohlen eingeschüchtert. Die Erfahrung, dass der eigene Staat einen nicht wie einen Bürger, sondern wie einen Feind behandelt, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Trotz alledem habe ich meinen politischen Kampf fortgesetzt, ohne von meinen Überzeugungen abzuweichen. Doch diese Hartnäckigkeit brachte den Druck auf mich an einen Punkt, an dem ich meine Arbeit nicht mehr fortsetzen konnte.
Fremden Info: Die AKP-Regierung regiert die Türkei im Bündnis mit der MHP seit über zwanzig Jahren. Was sind Ihrer Meinung nach die grundlegenden Dynamiken hinter dieser langen Machtperiode?
Can Taylan Tapar: Das Fundament dieser langanhaltenden Macht ist die systematische Ausschaltung der Opposition. So wurden beispielsweise die politischen Führer der kurdischen Bewegung und ihre gewählten Bürgermeister verhaftet und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt. Das ist eine faktische Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts von Millionen von Menschen.
In ähnlicher Weise werden potenzielle Konkurrenten der Regierung ständig durch die Justiz unter Druck gesetzt. Selahattin Demirtaş, einer der wichtigsten Gegner Erdoğans bei der letzten Wahl, und Ekrem İmamoğlu, der als sein stärkster potenzieller Herausforderer bei der nächsten Wahl gilt, befinden sich immer noch im Gefängnis. İmamoğlus Universitätsdiplom wurde sogar gerichtlich annulliert, und er ist von einem Politikverbot bedroht. Dieses Gesamtbild erzeugt natürlich ein Klima der Angst in der Gesellschaft. Die Menschen denken unweigerlich: „Wenn das den prominentesten Oppositionellen angetan wird, was kann dann erst einem einfachen Bürger wie mir passieren?“
Dazu kommt die Lage der Medien. Von unabhängigen Medien kann man in der Türkei kaum noch sprechen. Die Mainstream-Medien stehen vollständig unter der Kontrolle der Regierung und sind zu einer reinen Propagandamaschine verkommen. Diese jahrelange Desinformation hat Erdoğan vor allem in konservativen Kreisen eine verfestigte Wählerbasis geschaffen.
Trotz all dieser Repressionen schwindet Erdoğans Zustimmung jedoch. Da er weiß, dass er eine faire Wahl nicht gewinnen kann, basiert seine Strategie darauf, die Justiz als Knüppel einzusetzen, um die Opposition zu spalten und lahmzulegen. Oppositionelle aus allen Lagern – Demokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Kurden –, die sich dem Druck nicht beugen, sehen sich der ständigen Gefahr einer unrechtmäßigen Verhaftung ausgesetzt.
Fremden Info: Auf welche gesellschaftlichen Gruppen haben Sie sich in Ihrem politischen Kampf konzentriert, und welche Methoden haben Sie genutzt, um sie zu erreichen?
Can Taylan Tapar: Der Fokus meiner politischen Aktivitäten lag auf den Gruppen, die vom Regime unterdrückt werden: Aleviten, Kurden, andere Minderheiten und natürlich die arme, arbeitende Bevölkerung. Unser Ziel war es, gemeinsam mit meinen Parteigenossen diese Gruppen gegen das repressive und ausbeuterische Regime der AKP zu organisieren. Diese Aufgabe führte ich im Rahmen der mir von meiner Partei übertragenen Verantwortung aus.
Selbst in einem Umfeld, in dem jede Form von Organisation und politischer Betätigung von der Polizei erstickt wurde, fanden wir Wege, die Menschen zu erreichen. Insbesondere nutzten wir Wissenschaft und Philosophie als Werkzeuge der Aufklärung. Die Bildungsveranstaltungen und Diskussionen, die wir mit Studenten, Arbeitern und Anwohnern organisierten, stießen auf großes Interesse. Die Zahl der Teilnehmer wuchs von Tag zu Tag.
Diese Bemühungen um Aufklärung zogen jedoch auch die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich. Mit wachsendem Bewusstsein der Menschen nahm der Druck auf uns zu, und ich geriet selbst ins Visier des Regimes. Von diesem Zeitpunkt an musste ich meine Aktivitäten wesentlich vorsichtiger und umsichtiger durchführen.

Can Taylan Tapar erklärte: „Wir nutzten Wissenschaft und Philosophie als Werkzeuge der Aufklärung.“ Dieses Foto zeigt ihn bei einem öffentlichen Vortrag über die Evolutionstheorie in Istanbul.
Fremden Info: Unter dem Dach welcher Partei haben Sie Ihre politische Arbeit geleistet, und wie hat die Ideologie dieser Partei Ihren Kampf geprägt?
Can Taylan Tapar: Ich bin Mitglied der Emek Partisi (Partei der Arbeit). Die Emek Partisi ist eine sozialistische Partei der Arbeiterklasse. Sie stellt sich entschieden gegen das Ein-Mann-Regime, gegen antidemokratische Praktiken wie den Ausnahmezustand (OHAL) und die Einsetzung von Zwangsverwaltern in den Rathäusern. Ihre Grundphilosophie ist, dass Arbeiter, Frauen, Jugendliche, Aleviten, Kurden und alle unterdrückten Schichten durch ihre eigenen organisierten Strukturen eine Stimme haben und mitbestimmen sollen. Sie tritt für Arbeit, Demokratie, gleiche Rechte und Rechtsstaatlichkeit ein. Insbesondere im Kampf für Frauenrechte und gegen Gewalt an Frauen spielt sie eine Vorreiterrolle.
Meine Verbindung zu dieser Partei reicht bis in meine Kindheit zurück; ich bin mit ihrer Ideologie aufgewachsen. Deshalb war ich seit meiner Schulzeit aktiv auf Parteilinie tätig: Ich nahm an Versammlungen und Demonstrationen teil, unterstützte Arbeiterstreiks und verteilte die Flugblätter und die Zeitung unserer Partei. Teil dieses Kampfes zu sein, erfüllt mich mit Stolz.
Fremden Info: Können Sie die Repressionen der AKP-Regierung gegen Ihre Partei beschreiben, sowohl auf politischer Ebene als auch gezielt gegen einzelne Mitglieder? Wie hat dieses Klima der Unterdrückung zu Ihrer Entscheidung geführt, das Land zu verlassen?
Can Taylan Tapar: Die AKP, oder genauer gesagt das Erdoğan-Regime, lässt keinen Raum für irgendeine andere politische Bewegung oder Idee außer der eigenen. Es ist eine Mentalität, die es ablehnt, Macht zu teilen, und nach absoluter Kontrolle strebt. Da die sozialistische Ideologie unserer Partei im völligen Gegensatz zu Erdoğans Weltanschauung steht, steht meine Partei unter ständigem Druck und wird permanent versucht, sie zu kriminalisieren. Dieser Druck manifestiert sich in allen Lebensbereichen, von der politischen Arena bis ins Privatleben.
Da wir keine Massenpartei sind, können wir meist nur durch Wahlbündnisse mit der kurdischen Bewegung (derzeit die DEM-Partei) ins Parlament einziehen. Auch bei diesen Prozessen, einschließlich der letzten Wahlen, habe ich eine aktive Rolle gespielt: Ich habe die Massen im Sinne unserer Partei gegen die Regierung organisiert, während der Wahlperioden intensive politische Arbeit geleistet und am Wahltag persönlich in den Wahllokalen und bei der Stimmenauszählung mitgewirkt. Aufgrund all dieser Aktivitäten geriet ich ins Fadenkreuz der Regierung. Zivilpolizisten verfolgten mich, und ich stand unter ständiger Beobachtung.
Dieser Prozess der Unterdrückung und Einschüchterung gipfelte schließlich darin, dass ein Ermittlungsverfahren gegen mich eingeleitet und ich kriminalisiert wurde. Meine Verhaftung war nur noch eine Frage der Zeit. Deshalb beschloss ich, nicht auf meine Verhaftung zu warten und das Land auf illegalem Wege zu verlassen. Ich kam nach Deutschland, erreichte Hannover und stellte einen Asylantrag. Nach einiger Zeit wurde ich von Hannover in ein Lager in Osnabrück verlegt. Hier warte ich nun auf die Anerkennung meines Asylantrags. Ich muss sagen, das Lager ist sehr sauber und friedlich, und die Mitarbeiter sind sehr höflich. Währenddessen besuche ich einen Deutschkurs und warte auf den Ausgang meines Verfahrens.
Fremden Info: Obwohl es auch andere Länder in Europa gibt, warum haben Sie sich entschieden, Ihren Asylantrag speziell in Deutschland zu stellen?
Can Taylan Tapar: Dafür gibt es mehrere Hauptgründe.
Erstens, die Vorhersehbarkeit der rechtlichen Verfahren und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber politischem Druck in Deutschland. Die verfassungsmäßige Struktur Deutschlands bietet für politische Flüchtlinge eine solidere und verlässlichere rechtliche Grundlage als viele andere Länder. Das war der Hauptgrund für meine Entscheidung.
Zweitens, die Möglichkeit, meine politische Arbeit fortzusetzen. Die große Zahl von Menschen aus der Türkei, die in Deutschland leben, bietet eine Basis, um hier meine politischen Aktivitäten weiterzuführen. Insbesondere die Tatsache, dass die AKP bei Wahlen in Deutschland zur stärksten Partei wird, ist ein Thema, dem man sich widmen muss. Ich glaube, es ist notwendig, diesen Einfluss zu brechen und den Wählern hier das Bewusstsein zu vermitteln, dass sie ein aktiver Teil der Gesellschaft sind, in der sie leben.
Und schließlich ein Widerspruch, den ich in der deutschen Zivilgesellschaft sehe. In einem Land mit einer so starken zivilgesellschaftlichen Tradition organisiert die AKP-MHP-Mentalität die Massen mit einer antidemokratischen und reaktionären Ideologie. Dies steht in krassem Widerspruch zu den demokratischen Grundwerten des Landes. Deshalb sehe ich es als eine wichtige Aufgabe an, die türkischen, kurdischen und alevitischen Gemeinschaften hier über diesen reaktionären Einfluss aufzuklären und sie zu ermutigen, demokratische Parteien zu unterstützen.
Fremden Info: Herr Can Taylan Tapar, wir danken Ihnen herzlich für diesen wertvollen Austausch und die Zeit, die Sie sich für unser Interview genommen haben. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Weg.
Can Taylan Tapar: Ich danke Ihnen, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, meiner Stimme Gehör zu verschaffen. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.