Die Türkei aus der Sicht einer deutschen Frau: Liebe, Kritik und Hoffnung aus Istanbul

von Fremdeninfo

Von: Steffi Bozoglu

„Ich verfolge Ihre Artikel über Migranten in Deutschland seit Jahren. Ich schätze Ihren Kampf in diesem Bereich sehr und möchte mich herzlich bei Ihnen bedanken.

Ich bin eine deutsche Frau, die seit 25 Jahren in Istanbul lebt. Da mein Mann und meine zwei Kinder Türken sind, leben wir hier. Niemand kann leugnen, dass jeder Migrant, der sein eigenes Land verlässt, in dem Land, in dem er sich niederlässt, Schwierigkeiten erlebt. Istanbul ist für mich eine der schönsten Städte der Welt, die ich je bereist und in denen ich gelebt habe.

In der Türkei sind die Menschen im Vergleich zu europäischen Ländern fröhlicher und hilfsbereiter. Dennoch kann es vorkommen, dass man befremdlich reagiert, weil man Ausländer ist und anders aussieht. Man kann eine Art von Fremdheit verspüren, die es in europäischen Ländern so nicht gibt. Wenn man das Türkische nicht so gut beherrscht wie sie, machen sie sich über einen lustig und versuchen, das Türkisch zu korrigieren. In solchen Momenten kann man sich fremd fühlen und das Gefühl bekommen, herabgesetzt zu werden.

Wichtig ist, dass man sich dessen bewusster wird und erkennt, dass man ein Recht darauf hat, in der Stadt zu leben, in der man wohnt, auch wenn man nicht ursprünglich von dort stammt. Man muss wissen, dass Istanbul nicht das Privateigentum von irgendjemandem ist; man muss verstehen, dass hier neben Türken auch andere Menschen leben. In Istanbul wacht man morgens auf eine ganz besondere Weise auf: Auf der einen Seite die Rufe der Simit-Verkäufer, auf der anderen die Schreie der Möwen und der Klang des Gebetsrufs – so beginnt der Tag. Am Anfang hat mich das sehr gestört, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.

Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles und akzeptiert das Leben in diesem Land. Ich lebe hier nicht mehr wie ein Gast, sondern wie eine Einheimische Istanbuls. Andererseits ist das Leben in der Türkei völlig anders; manchmal spürt man eine voreingenommene und rassistische Haltung gegenüber anderen Nationen. Minderheiten in der Türkei, wie zum Beispiel Kurden und andere Gruppen, werden manchmal nicht gut behandelt.

Die aktuelle AKP-MHP-Regierung schränkt die Menschen sehr ein, und die Leute können ihre Gedanken nicht offen äußern. Journalisten, Autoren und all jene, die nicht wie die Regierung denken, werden sofort festgenommen und inhaftiert. Wir befinden uns in einer politisch schwierigen Phase. Die jungen Menschen haben es völlig satt; zwei von drei Jugendlichen möchten ins Ausland gehen.

Dabei ist die Türkei ein so schönes Land, in dem man vier Jahreszeiten gleichzeitig erleben kann. Mit seinen Meeren und seiner Natur ist es ein einzigartiges Land. Wenn dieser Regierungsstil nicht wäre, könnte alles ganz anders sein.

Ich sende Ihnen herzliche Grüße aus Istanbul und wünsche Ihnen viel Erfolg.“

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