Von: Halit Yaşar Demirbağ
Wenn die Gewaltpraktiken gegen Aleviten in Syrien als bloßer oberflächlicher konfessioneller Konflikt betrachtet werden, entzieht man sie sowohl ihrem historischen Kontext als auch ihren politischen Entstehungsbedingungen. Vielmehr sind solche Angriffe nicht das Produkt spontan entstandener, glaubensbasierter Spannungen, sondern das Ergebnis imperialer und regionaler Machtverhältnisse, in denen konfessionelle Identitäten systematisch zu politischen Instrumenten umgewandelt werden. Daher ist ein Verständnis der Gewalt gegen Aleviten nicht auf der Ebene zwischenkonfessioneller Gegensätze, sondern nur im Rahmen der Machtmechanismen möglich, die den Konfessionalismus (Sektarismus) produzieren.
Während die Konfession historisch gesehen eine Differenz im Bereich des Glaubens darstellte, wurde sie in der modernen Politik des Nahen Ostens zu einem der Hauptdeterminanten des Machtkampfes erhoben. Diese Transformation hat die Konfession von einer essenziellen Konfliktursache in eine steuerbare politische Bruchlinie verwandelt. Auch die Angriffe auf Aleviten müssen in diesem Zusammenhang gelesen werden.
Entscheidend ist hierbei nicht der theologische Inhalt des Alevitentums, sondern die historische Distanz alevitischer Gemeinschaften zu zentralen Machtstrukturen, der offiziellen Ideologie und einem monistischen Religionsverständnis. Diese Distanz hat die Aleviten nicht nur kulturell, sondern auch politisch zur Zielscheibe gemacht.
Im Falle Syriens ist die Gewalt gegen Aleviten weder spontaner Volkszorn noch der Ausdruck einer „uralten Feindschaft zwischen zwei Konfessionen“. Im Gegenteil: Sie steht in engem Zusammenhang mit der jahrelangen direkten oder indirekten Unterstützung salafistisch-dschihadistischer Strukturen, der Ausstattung dieser Gruppen mit einer konfessionell geprägten Hassrede und der Konstruktion der Regimegegnerschaft über die konfessionelle Identität.
An diesem Punkt ist konfessionalistische Gewalt zu einem lokalen Instrument imperialer Strategien geworden. Sobald die Sprache der Konfessionen aktiviert wird, verschwimmt die politische Verantwortung; interventionistische Mächte und regionalstaatliche Akteure werden unsichtbar.