Von Cumali Yagmur
Diese Texte sind eine Zusammenstellung, die als Ergebnis einer langen Diskussion entstanden ist. Ich lege diese Zusammenstellung den Lesern zur Lektüre und Bewertung vor.
Da Aleviten über Jahre hinweg ständiger Unterdrückung ausgesetzt waren, haben sie sich stets auf die Seite der Unterdrückten gestellt. Da ihnen die Möglichkeit zum Handel verwehrt wurde, haben sie sich hauptsächlich mit der Kunst beschäftigt. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass Aleviten bei der Entwicklung von Kunst und humanistischem Denken in der Türkei ein bedeutendes gesellschaftliches Gewicht erlangt haben. Aleviten haben sich im Laufe der Geschichte gegen Massaker und Pogrome gestellt und häufig dagegen protestiert.
Auch in der 68er-Generation gab es zahlreiche linke Jugendliche aus alevitischen Familien. Es wird sogar eine Anekdote erzählt, wonach Deniz Gezmiş Hüseyin İnan gefragt haben soll: „Sie werden uns hängen, hast du keine Angst?“, woraufhin Hüseyin İnan geantwortet haben soll: „Die Angst haben wir in Kerbela zurückgelassen, Deniz.“
Aleviten haben mehrheitlich linke Bewegungen unterstützt. Nach 1980 gewährte Turgut Özal Aleviten staatliche Kredite, um sie zu ermutigen, sich im Handel zu betätigen. Obwohl die Aleviten diese Kredite annahmen, gaben sie bei Wahlen ihre Stimme mehrheitlich der CHP.
Aleviten haben mehrmals versucht, eine Partei zu gründen. Der von Mustafa Timisi geführten Partei der Einheit der Türkei (Türkiye Birlik Partisi) gelang der Einzug ins Parlament. Die von Ali Haydar Veziroğlu gegründete Partei konnte die Wahlhürde hingegen nicht überwinden.
Seitdem haben sich die Aleviten sowohl in Europa als auch in der Türkei organisiert. Diese organisierte Kraft hat im Allgemeinen eine linke Ausrichtung. In ähnlicher Weise hat auch die kurdische Bewegung die kurdischen Aleviten in ihren eigenen Reihen organisiert. Die Aleviten in Europa sind sehr gut organisiert, und die Cem-Häuser in den großen Städten befinden sich meist in ihrem eigenen Besitz. Heute sind Aleviten innerhalb der CHP, der DEM-Partei und anderer linker Parteien organisiert.
Wenn Aleviten heute ihre eigene Partei gründen, anstatt sich auf andere Parteien zu stützen, wird dies ihre Anerkennung als gesellschaftliche Kraft fördern und es ihnen ermöglichen, sich effektiver für ihre eigenen Anliegen einzusetzen. Sollten sie eine alternative Partei mit linker Ausrichtung gründen und ins Parlament einziehen, hätten sie die Möglichkeit, ihre Probleme direkt auf die Tagesordnung des Parlaments zu bringen.
So wie keine Gesellschaft homogen ist, ist auch die alevitische Gemeinschaft nicht homogen. Ich bin der Überzeugung, dass ein Problem, das in den hier geschriebenen Texten übersehen wird, die Vermischung von Ideologie und Glauben ist.
Innerhalb von Dev-Yol gab es viele Linke alevitischer Herkunft. Wir kamen unter der Ideologie von Dev-Yol zusammen und verteidigten diese. Eine zu gründende alevitische Partei mit linker Ausrichtung wird nicht nur das Alevitentum, sondern alle gesellschaftlichen Probleme in ihr Programm aufnehmen.
Eines Tages kam in Frankfurt ein alevitischer Mitbürger namens İsmail Elçioğlu zu mir und schlug vor, dass ich eine Satzung ausarbeiten sollte. Sie wollten alevitische Organisationen gründen. Sie diskutierten untereinander und kamen zu dem Schluss, dass der Name „Alevitisch“ nicht richtig sei. Sie gründeten die Organisation unter dem Namen „Bund der Patrioten“ (Yurtsevenler Birliği). Als die Organisation nicht weit kam, wurden schließlich „dem Kind ein Name gegeben“ und alevitische Vereine sowie eine alevitische Föderation gegründet. So organisierten sie sich in Europa und erwarben das Eigentum an ihren Vereinsgebäuden.
Ich weiß, dass die Freunde hier an die Dialektik glauben. Auch die Lösung der Alevitenfrage wird durch einen dialektischen Wandel erfolgen, und dieses Problem wird in Zukunft gelöst werden. In diesen Prozess wird man eingreifen, indem man sich organisiert und eine Partei bildet.
Ich glaube, dass wir für neue Ideen und Gedanken offen sein müssen. Wir können morgen die Richtigkeit eines Gedankens erkennen, den wir heute ablehnen, und daran glauben. Galilei, der sagte, dass sich die Erde dreht, wurde verurteilt. Wer kann heute noch behaupten, dass die Erde sich nicht dreht?
Die alevitischen Organisationen durchlaufen heute einen Prozess der Parteibildung. Wenn sie sich in diesem Prozess nicht organisieren können, werden sie liquidiert und verschwinden.
In der Türkei leben über 25 Millionen Menschen alevitischen Glaubens. Obwohl sie dem Staat ihre Steuern zahlen, haben sie keinerlei Rechte. Der Staatsapparat hat den sunnitischen Glauben institutionalisiert.
Also, wie soll dieses Problem gelöst werden? Sollen wir den Aleviten sagen: „Wartet nur, wir wollten eigentlich eine Revolution machen, aber es hat nicht geklappt; wartet noch ein bisschen“?
Auch in Russland rebellierten einst die Militärkadetten und gingen zu den Menschewiki. Sie fragten: „Wir haben rebelliert, was sollen wir tun?“ Die Menschewiki schlugen die Bücher von Lenin, Marx und Engels auf, fanden aber nichts zu diesem Thema und sagten: „Seht selbst, wie ihr zurechtkommt.“ Engels, Marx und Lenin haben auch für die Aleviten nichts gesagt. Müssen die Aleviten also warten?
Alle Parteivorsitzenden in der Türkei sind sunnitischen Glaubens. Niemals wurde über sie gesagt, sie seien „sunnitischen Glaubens“. Aber wurde nicht Druck auf Kılıçdaroğlu ausgeübt, nachdem er Vorsitzender der CHP wurde, mit den Worten: „Dieser Mann ist Alevit, er verbirgt sein Alevitentum, er soll es sagen“?
Solange wir nicht in der Lage sind, eigene Gedanken und Ideen für die bestehenden gesellschaftlichen Probleme zu entwickeln, können wir die Probleme nicht lösen, indem wir mit blumigen Worten aus Marx, Engels und Lenin zitieren. Heute erschaffen die AKP und die MHP ihre „eigenen“ Aleviten und lassen sie eine neue Partei gründen. Auch für deren Parteigründung haben Marx, Engels und Lenin nichts geschrieben.
Auch ich hätte hier versuchen können, mir mit Zitaten von Marx, Engels und Lenin und blumigen Worten eine Perspektive zu schaffen. Da dies jedoch nicht zur konkreten Lösung des Problems beiträgt, muss ich davon absehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Solange sich die Aleviten nicht organisieren und eine Partei bilden, werden die bestehenden Regierungen ihre Probleme nicht lösen. Und die Aleviten werden weiterhin verachtet, gedemütigt und ohne jegliche demokratische Rechte bleiben.
Glaube und Ideologie sind getrennte Konzepte
Bei der Diskussion über die Gründung einer linken alevitischen Partei muss man zuallererst Glaube und Ideologie auseinanderhalten. So wie Birnen und Äpfel unterschiedliche Früchte sind, sind auch diese beiden Konzepte verschieden. Der Glaube ist eine besondere Bindung zwischen dem Einzelnen und dem Schöpfer, und dies gilt für alle Glaubensrichtungen wie das Alevitentum, den Sunnitismus oder das orthodoxe Christentum. Die Ideologie hingegen ist ein völlig anderes Phänomen. Daher ist es natürlich, dass es auch innerhalb der alevitischen Gemeinschaft Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten gibt, seien sie rechts, links oder sozialdemokratisch.
Wie sollten Programm und Ziele der Partei aussehen?
Eine zu gründende, links ausgerichtete Partei sollte ihr Programm auf universellen Werten aufbauen. In diesem Programm sollten grundlegende Themen wie Demokratie, Menschenrechte, Umweltschutz sowie Frauen- und Jugendfragen Platz finden. Die Partei muss aus einer linken Perspektive konkrete Lösungsvorschläge für diese Probleme anbieten. Darüber hinaus müssen die rechtliche Anerkennung der Cem-Häuser und die Möglichkeit für alevitische Bürger, in den Cem-Häusern frei nach ihrem Glauben zu praktizieren, zu den Hauptzielen des Programms gehören.
Eine solche Partei muss ihre Sichtweise auf das Weltgeschehen klar darlegen und ihre Haltung gegen Kriege und Ausbeutung in ihrem Programm deutlich deklarieren. Als Vorbild kann hier das Parteiprogramm dienen, das Ali Haydar Veziroğlu in der Vergangenheit vorbereitet hat und das ich für sehr gelungen halte.
Beispiele aus Europa und das Recht auf Organisation
Auch die Arbeit der in Europa gegründeten alevitischen Vereine ist wegweisend. Diese Vereine kümmern sich um die Probleme der Aleviten und aller anderen Migranten in Europa und fordern, dass an Schulen neben dem sunnitisch-islamischen Unterricht auch alevitischer Religionsunterricht erteilt wird. Sogar Aktivitäten wie der Einsatz von alevitischen Dedés zur seelsorgerischen Betreuung junger alevitischer Häftlinge werden vom deutschen Staat finanziert. In den Vereinen werden Themen der alevitischen Kultur und des Glaubens behandelt.
An dieser Stelle muss man die Frage stellen: Sollen Menschen alevitischen Glaubens keine Parteien, Vereine oder zivilgesellschaftlichen Organisationen gründen dürfen? Während es in Europa und in der Türkei alevitische Föderationen gibt, was für eine Haltung ist es, zu sagen: „Gründet keine Föderationen!“? Lassen Sie uns nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und diese Themen mit gesundem Menschenverstand bewerten.
Antwort auf die Chauvinismus-Kritik
Die Idee der Gründung einer alevitischen Partei stieß in einigen linken Kreisen auf Kritik mit Begründungen wie Chauvinismus, Separatismus und der Gründung einer religionsbasierten Partei. Jedoch hatte keine dieser Kritiken einen stichhaltigen Inhalt.
Chauvinismus ist eine Ideologie, die an die Überlegenheit einer Gruppe oder Nation gegenüber anderen glaubt. Dieser Begriff wird im Allgemeinen als eine Form der Gruppenloyalität definiert, die in extremen und aggressiven Formen wie Nationalismus, Rassismus oder Sexismus auftritt. Chauvinismus kann zu negativen Verhaltensweisen wie Intoleranz, Diskriminierung und sogar Gewalt gegenüber anderen Gruppen führen.
Aleviten sagen: „Wir betrachten alle 72 Völker mit denselben Augen.“ Hacı Bektaş-ı Veli sagt: „Auch wenn du verletzt wirst, verletze nicht. Was auch immer du suchst, suche es in dir selbst.“ Im alevitischen Glauben ist zudem der Grundsatz „Beherrsche deine Hand, deine Lende, deine Zunge“ (Eline, beline, diline sahip ol) von zentraler Bedeutung.
Sehr geehrter Hüseyin, ist die Gründung einer Partei Chauvinismus? Die Vorsitzenden aller bestehenden Parteien in der Türkei gehören dem sunnitischen Glauben an. Ist das Chauvinismus? Wenn man bestimmte Wörter verwendet, muss man sich bewusst sein, was sie bedeuten und wo und wann sie angebracht sind.
Ich weiß, dass es in Berlin, Bremen und Mainz alevitische Friedhöfe gibt. Der alevitische Glaube ist in einigen deutschen Bundesländern als „Religionsgemeinschaft“ anerkannt, und in den meisten Bundesländern wird alevitischer Religionsunterricht erteilt.
Sehr geehrter Hüseyin, die Kurden haben ihre eigenen Parteien gegründet; sind sie Chauvinisten? Auch die Türken haben ihre eigenen Parteien gegründet; sind sie etwa Chauvinisten?
Ich habe die Definition von Chauvinismus oben dargelegt. Ihrem Verständnis von Chauvinismus stimme ich absolut nicht zu.