Werde verletzt, aber verletze nicht selbst
Suzan SAKA
Es wurden alle möglichen Ränke geschmiedet, um die Aleviten dazu zu bringen, sich in ihren eigenen Henker zu verlieben. Nun versucht man dies über die offiziellen staatlichen Institutionen. Dabei sagen sie: „Seht her, wir haben euch die Friedenspfeife gereicht, eine Behörde gegründet, wir werden euren Dedes Gehälter zahlen.“
In der alevitischen Lehre wird keinem Lebewesen Schaden zugefügt. Die Lehre „Werde verletzt, aber verletze nicht selbst“ wird von Generation zu Generation weitergegeben.
Die Hacı-Bektaş-Veli-Gedenkfeierlichkeiten werden seit Jahren vom 15. bis 17. August in Partnerschaft von den alevitischen Organisationen in der Türkei und der Gemeinde Hacıbektaş veranstaltet. Die Veranstaltungen finden in der Form statt, wie es der alevitische Weg und die Lehre vorsehen: mit Cem-Zeremonien, Semah-Tänzen, kulturellen und künstlerischen Aktivitäten sowie Podiumsdiskussionen. Jedes Jahr strömen türkische, kurdische und Roma-Aleviten in Scharen nach Hacıbektaş, zur Stätte des Pir. Sie kommen dorthin, um sich zu reinigen und in der Gegenwart des Pir geläutert zu werden.
Als Alternative zu den diesjährigen Gedenkfeierlichkeiten organisierte die dem Kulturministerium unterstellte „Präsidentschaft der Alevi-Bektaschi-Cemevis“ eine Veranstaltung am 12. und 13. August. Der Zweck dieser Organisation ist ganz offensichtlich: die Aleviten zur Unterwerfung zu bringen, sie in eine Konfession innerhalb eines staatlich geförderten Islam zu verwandeln und sie so auszulöschen.
Mit dieser und ähnlichen Methoden – also mit augenwischenden Ansätzen wie der Zahlung von Gehältern an Dedes und Anas (spirituelle Führer und Führerinnen), dem Streichen der Cemevis, dem Kauf einiger Plastikstühle und Tische – versucht man jene auf seine Seite zu ziehen, die nicht zu ihrem Weg (Yol) und ihrem Pir stehen. Dadurch soll die Einheit und Organisiertheit der Aleviten, die sich besonders nach dem Massaker von Sivas-Madımak formiert hat, untergraben werden.
Der Staat ignoriert die Forderungen der Aleviten.
Wenn er wirklich Frieden mit den Aleviten schließen will, muss er zuallererst anerkennen, dass das Alevitentum ein eigenständiger Glaube und die Cemevis Gebetsstätten sind. Dies kann geschehen, indem die Dergahs (alevitische Ordenshäuser) der Aleviten an sie zurückgegeben werden; indem die Aleviten als gleichberechtigte Bürger anerkannt und nicht ausgegrenzt werden; indem man von der Verunglimpfung ihres Glaubens und dem Hass und Groll, der auf diesem Glauben basiert, absieht. Die Abschaffung des obligatorischen Religionsunterrichts an Schulen und das Aufgeben der Haltung, in Medien, Büchern und im sozialen und kulturellen Leben so zu tun, als gäbe es nur eine Art von Muslim, sind ebenfalls unerlässlich.
Es ist notwendig, sich den Massakern an Aleviten zu stellen, die Täter zu benennen, Dienste zur Heilung des gesellschaftlichen Traumas anzubieten, das nach den Massakern entstanden ist, und die Aleviten und ihre repräsentativen Organisationen in all diese Arbeiten einzubeziehen. Andernfalls müssen sie verstehen, dass sie das Alevitentum nicht innerhalb der von ihnen gezogenen Grenzen auslöschen können, wie sie es seit Jahrhunderten durch Verbrennungen, Massaker, die Leugnung ihres Glaubens und ihrer Identität und durch Assimilation versucht haben.
Denn die Aleviten stammen von Halladsch-i Mansur ab, der sagte: „Ene’l Hakk“ (Ich bin die Wahrheit). Sie sind die Kinder von Pir Sultan Abdal, der sich der Tyrannei des Unterdrückers widersetzte. Mit den Worten „Werde verletzt, aber verletze nicht selbst“ und der Lehre von Pir Hünkâr Hacı Bektaş betrachten sie alle 72 Völker mit dem gleichen Blick. Sie definieren sich weder durch Krieg, noch durch Massaker, noch durch die Verunglimpfung eines anderen Glaubens oder einer anderen Ethnie.
Das Problem wird nicht gelöst, indem man die Ehre und den Glauben der Aleviten in der Gesellschaft verunglimpft und sagt: „Man isst kein Essen, das von Aleviten zubereitet wurde“, „Aleviten löschen Kerzen mit Mutter, Schwester, Bruder“ (eine Verleumdung, die Inzest unterstellt), „Man heiratet keine Aleviten“. Genauso verhält es sich, wenn man im Freundeskreis erfährt, dass jemand alevitisch ist, und dann gesagt bekommt: „Aber du bist doch ein so guter Mensch“, als kämen Aleviten von einem anderen Planeten, ohne dass die darin liegende Herabwürdigung bemerkt wird.
Diejenigen, die sagen: „Wir hatten viele alevitische Nachbarn, zwischen uns gab es nie ein Du-und-Ich, sie haben auch mit uns gefastet“, wissen nicht oder tun so, als wüssten sie nicht, dass die Vorfahren der Aleviten aus Angst vor Massakern gezwungen waren, sich zu verstecken, und ihre Kinder vor den Augen des Staates fernhalten mussten, um sie zu schützen.
Und diejenigen, die sagen: „Gab es früher Aleviten und Sunniten? Wir waren doch alle eins“, verstehen nicht, dass die massakrierten Aleviten keine andere Wahl hatten, als sich zu verstecken und zu schweigen. Sich selbst im Zeitalter der Technologie immer noch naiv unwissend zu stellen, erscheint mir als nichts anderes als Heuchelei.
Und dann gibt es natürlich noch die Parteien, insbesondere die der Opposition, die jahrelang Stimmen auf dem Rücken der Aleviten gewonnen haben, indem sie sagten: „Oh weh, die Republik ist in Gefahr, ohne die Aleviten würde dieses Land von der Scharia regiert.“
Es wurden alle möglichen Ränke geschmiedet, um die Aleviten dazu zu bringen, sich in ihren eigenen Henker zu verlieben. Nun versucht man dies über die offiziellen staatlichen Institutionen. Dabei sagen sie: „Seht her, wir haben euch die Friedenspfeife gereicht, eine Behörde gegründet, wir werden euren Dedes Gehälter zahlen.“
Mit anderen Worten sagen die Machthaber: „Begnüge dich mit dem, was ich dir gebe, und tu, was ich sage.“ Wahrer Frieden ist jedoch nur durch Respekt vor dem Glauben, gleichberechtigte Bürgerschaft und eine mutige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit möglich; nicht durch Ignorieren.
Deshalb sollten die Aleviten, ohne selbst zu verletzen, aber auch ohne sich weiter verletzen zu lassen, an den von den alevitischen Organisationen veranstalteten Hacı-Bektaş-Veli-Gedenkfeierlichkeiten am 15., 16. und 17. August teilnehmen, um ihren Weg (Yol), ihre Dergahs und ihre Pirs zu verteidigen.