Nach Kalifats-Demos - Passen Deutschland und der Islam zusammen? Vier Muslime erklären, wie es klappen kann
Empörung nach der Kalifats-Demo in Hamburg. Doch wie passen Deutschland und der Islam zusammen? FOCUS online hat liberale Muslime gebeten, ihre Sicht auf die Frage zu offenbaren.
In Hamburg sind viel Hunderte Menschen zu einer Demonstration von Islamisten zusammengekommen. Sie warben offen für verfassungsfeindliche Organisationen und die Bildung eines Kalifats in Deutschland. Viele Politiker haben sich scharf davon distanziert und für Verbote ausgesprochen. Klar ist, dass auch viele Muslime mit den Islamisten nichts zu tun haben will. Doch wie passen Deutschland und der Islam zusammen? Auf FOCUS online erklären liberale Muslime, wie das gelingen kann.
Zana Ramadani: "Erträume mir einen Islam, der beide Hände offen allen Menschen ausstreckt"
Zana Ramadani ist Autorin mehrerer Bücher über die Struktur und die Probleme von muslimischen Communitys in Deutschland. Sie war als Flüchtlingskind aus Mazedonien nach Deutschland gekommen und wuchs mit einer strenggläubigen muslimischen Mutter auf.
"Wenn man mich fragt, wie ich mir den Islam in Deutschland vorstelle, fehlt mir ehrlich gesagt angesichts dessen, was nicht erst seit dem widerwärtigen Hamas-Terror-Überfall auf Israel vom 7. Oktober als großes, blutiges Schockbild über aller Vorstellungskraft schwebt, jegliche Vision für einen Islam ihn unserer Gesellschaft, der seine (Gleich)-Berechtigung hat. Ich habe bereits 2017 in meinem Buch „Die verschleierte Gefahr“ eindringlich vor den Gefahren gewarnt, die sich aus dem Islam entwickeln. Ich habe deutlich darauf hingewiesen, dass der Islam erst zu unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gehören kann, wenn er sich reformiert. Wie das Christentum auch. Diese Reformierung kann aber ausschließlich von innen Erfolg haben.
Da sehe ich aber jetzt, mehr noch als vor knapp sieben Jahren, schwarz. Warum? Weil selbst diejenigen unter den Moslems, die sich als Liberale verstehen, entlarvend laut schweigen: zu dem Hamas-Massaker. Zu den wahnsinnigen Auswüchsen, die wir mit diesen unheiligen Judenhass-Schulterschluss-Demos auf unseren Straßen, an unseren Universitäten ertragen müssen. Zum Kopftuch-Boom bei sogar unter 12-jährigen Mädchen.
Als Realistin sehe ich in einer Jetzt-Aufnahme keinen Platz für den Islam in Deutschland. Als Träumerin … da erträume ich mir einen Islam, der beide Hände offen allen Menschen ausstreckt. Da wünsche ich mir einen Islam, der akzeptiert, dass Frauen, Andersgläubige, Nichtgläubige, Andersdenkende, Homosexuelle, Konvertiten gleichwertige Menschen sind, dass unser Grundgesetz und unsere Grundwerte nicht verhandelbar sind. Aber, wie das so mit Träumen ist. Dann wacht man auf …
Ich schätze als Deutsche mit Migrationshintergrund unser Land, weil es hier das wohl wertvollste Gut gibt, das eine Gesellschaft haben kann: Freiheit. Da meine ich besonders die Meinungs- und Redefreiheit. Entfaltungsfreiheit. Ich werde als Muslima bezeichnet. Dabei wird vergessen, dass ich in diese Religion hineingeboren wurde; ich konnte sie mir nicht aussuchen. Wäre ich in Deutschland, nicht in Mazedonien geboren worden, wäre ich vielleicht heute Buddhistin. Oder Atheistin. Oder Christin.
Wie in diesem Jahr auch meine beiden Töchter. Sie erhalten das Sakrament der Taufe. Sie werden damit zu Kindern Gottes. Es ist die Zusage, dass sie wertvoll und wichtig sind. Es begleitet sie dabei, den Nächsten zu lieben. Wer seinen Nächsten liebt, massakriert ihn nicht.“
Ahmad Mansour: "Deutschland kann von einem liberalen Islam profitieren"
Ahmad Mansour ist Namensgeber und Geschäftsführer der Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention. Als junger Palästinenser in Israel ist Ahmad Mansour beinahe radikaler Islamist geworden. Heute zählt er zu den wichtigsten Islamismus-Experten Deutschlands.
Der Islam passt zu Deutschland, indem Muslime mündiger mit der Religion umgehen, indem man als Muslim nicht blind allem folgt, was in heiligen Schriften steht oder was irgendwelche Imame sagen. Muslime müssen einen Kompass in sich haben, der sich an den Menschenrechten orientiert, an den Grundwerten dieser Gesellschaft.
Wer Spiritualität möchte, kann seine Religion in diesem Land freier leben als woanders, sogar als in so manchen arabischen, stark muslimisch geprägten Ländern. Hier haben wir die Freiheit, dafür sollten wir dankbar sein. Wer aber seiner Religion eine politische Agenda gibt und vor allem versucht, mit der Religion die Grundwerte dieser Gesellschaft zu verändern, wer ein Kalifat gründen möchte, wer sozusagen im Namen der Religion Gewalt betreiben möchte, der kann nicht zu diesem Land gehören und der muss seine Fantasien woanders leben.
Deutschland kann von einem liberalen Islam profitieren, indem wir die Muslime integrieren, die in ihrem Religionsverständnis ohne Wenn und Aber hinter Demokratie und Menschenrechten stehen.
Der ideologische Islam ist und war übrigens auch nie der Islam meiner Mutter, die noch immer in dem kleinen arabischen Ort in Israel lebt, in dem ich geboren bin. Und es ist nicht mein Islam. Mein Islam ist ein anderer als der Islam der Hassprediger. Er ist auch ein anderer Islam als der von Imamen, die das ganze Leben in "halal" und "haram", in "erlaubt" und "verboten", teilen, die denjenigen mit der Hölle drohen, die ihren Auslegungen des Koran widersprechen oder sich nicht vollends nach dem von ihnen vorgegebenen Verhaltenskodex richten. In meinem Islam wartet keine Bestrafung, wenn ich hin und wieder ein Glas Wein trinke.
In meinem Islam ist Sexualität nichts, das man unterdrücken muss. Mein Islam ist offen für Kritik. Er bereitet mir keine Angst, und er bereitet sie auch anderen nicht. Wo hört Glaube auf, wo fängt Islamismus an? Die Grenzen sind fließend. Deshalb ist es umso wichtiger zu differenzieren. Genauso wie wir da differenzieren müssen, wo es darum geht, dass Glaube Gewalt nach sich zieht.
Seyran Ateş: "Wir sind dankbar, dass wir in Deutschland einen liberalen Islam leben können"
Seyran Ateş ist Menschenrechtlerin und hat die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin gegründet. Wegen massiver Drohungen von Islamisten war sie zeitweise geschlossen worden.
In Deutschland und ganz Europa leben Muslime schon seit Jahrhunderten einen Islam, den man als europäischen Islam bezeichnen kann. Sie praktizieren einen Islam, der sich am Menschenbild Aristoteles, dem Humanismus und der Aufklärung orientiert. Zudem schätzen diese Muslime die Demokratie nicht nur als ein gutes Regierungssystem, sondern verteidigen es gegen jeden Angriff. Dieser Islam existiert in Deutschland, seit Muslime in Deutschland leben. Und nur dieser Islam kann eine Existenzberechtigung in Deutschland haben. Alle Muslime, die etwas anderes wollen, sollten in Länder ziehen, in denen sie mit ihrem Islam glücklicher werden können. Mit Gewalt und Aggression versuchen Islamisten die friedliche Gruppe der deutschen demokratischen Muslime auszulöschen.
Wir, die Gemeinde der Ibn Rushd-Goethe Moschee, lehnen jeglichen Hass und Gewalt ab. Wir markieren Menschen weder als „Ungläubige“, noch wünschen wir uns eine Herrschaft des Islam in Deutschland. Wir lieben Deutschland für die Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Religionsfreiheit für alle Menschen. Wir sind dankbar, dass wir in Deutschland einen liberalen Islam leben können.
Serap Güler: "Wir Muslime und der Staat sind jetzt gefordert"
Serap Güler ist CDU-Bundestagsabgeordnete und Mitglied des CDU-Bundesvorstands. Zuvor war sie von 2017 bis 2021 Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in NRW.
Als Muslimin sage ich ganz klar: Es gibt Strömungen oder Interpretationen des Islams, mit denen ich ganz klar ein Problem habe. Szenen, wie wir sie zuletzt in Hamburg gesehen haben, gehören ganz klar dazu. Diese Islamisten sind nicht nur Feinde der Demokratie und einer liberalen Weltordnung, sie sind auch die Feinde der hiesigen Muslime, die genauso wenig mit ihrer Ideologie anfangen können, wie ich es tue. Dank ihnen, ihrer Rufe nach einem Kalifat und ihrer sonstigen Parolen diskutieren wir wieder intensiv über den Islam und ob er zu Deutschland gehört.
Deshalb ist es wichtig hier deutlich zu machen, dass ein Islam, den Islamisten definieren, definitiv nicht zu uns gehören kann - gerade wir Muslime müssen das tun. Wir müssen nicht nur Flagge zeigen gegen einen Rechtsextremismus und jene, die Moscheen angreifen, sondern auch gegen jene, die den Islam für ihre politischen Zwecke missbrauchen - auch, wenn sie selbst Muslime sind. Sie sind nicht weniger gefährlich als die, die irgendwelche Remigrationspläne verfassen.
Aber auch der Staat ist hier gefordert. Ich wundere mich über Appelle oder Forderungen der Bundesinnenministerin. Sie muss nichts fordern, sie kann handeln. Sie kann diese Vereine verbieten, sie kann dafür sogar, dass die Demonstrationen verboten werden. Wenn der Rechtsstaat und unsere Verfassung angegriffen werden, muss die zuständige Ministerin diesen mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, schützen. Sie würde damit auch viele Muslime schützen, die genauso wie ich sagen: „Wenn ihr ein Kalifat wollt, dann geht in ein solches. Hier zumindest habt ihr nichts verloren. Niemand braucht euch in diesem Land.“