Türkei: Inhaftierter Demirtaş will sich aus der Politik zurückziehen
Der Politiker Selahattin Demirtaş hat etwas überraschend angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen. Seit 2016 inhaftiert, hatte er dennoch großen Einfluss auf die prokurdische Bewegung.
Drei Tage nach der Stichwahl in der Türkei hat sich der inhaftierte Ex-Chef der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtaş, aus der Politik zurückgezogen. „Während ich wie jeder meiner Weggefährten aus dem Gefängnis den Kampf mit Widerstand fortsetze, gebe ich an dieser Stelle die aktive Politik auf“, schrieb Demirtaş am Mittwoch auf Twitter unter Verweis auf ein heute erschienenes Interview mit ihm. „Ich entschuldige mich in eigenem Namen aufrichtig dafür, dass wir nicht in der Lage waren, eine unserem Volk würdige Politik zu schaffen.“ Ein Tag zuvor hatte er die Schwächen der HDP-Politik aufgelistet.
Demirtaş ist seit 2016 wegen Terrorvorwürfen inhaftiert, übte aber aus dem Gefängnis heraus noch großen Einfluss auf seine Partei und Anhänger aus. Immer wieder meldete er sich zu aktuellen politischen Themen über Twitter zu Wort. Er hatte, wie seine Partei, vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zur Unterstützung des Oppositionsführers Kemal Kılıçdaroğlu aufgerufen. Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt am Sonntag unterlag Kılıçdaroğlu Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan.
Gerichte fordern Freilassung
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte zuletzt 2020 die Freilassung des Politikers angeordnet. So auch das türkische Verfassungsgericht, Erdoğan ignorierte das Urteil aber. Nach seinem Wahlsieg am Sonntag hatte der Präsident zum wiederholten Male betont, Demirtaş komme nicht aus dem Gefängnis frei, solange er an der Macht sei. Seine Anhänger forderten daraufhin die Todesstrafe für Demirtaş, die es in der Türkei nicht gibt.
Erdoğan macht Demirtaş für einen Vorfall im Jahr 2014 verantwortlich, bei dem in Diyarbakır dutzende Menschen ums Leben kamen. Der HDP wirft er vor, der verlängerte Arm der Terrororganisation PKK zu sein. Die HDP weist das zurück, verzichtet aber auch darauf, sich eindeutig zu distanzieren. Schon im Wahlkampf hatte Erdoğan Demirtaş sowie weite Teile der Opposition immer wieder verbal angegriffen und sie als „Terroristen“ bezeichnet.
Ob Demirtaş seine politische Karriere tatsächlich beendet, scheint noch nicht abschließend sicher zu sein. Mehrere ehemalige Weggefährten melden sich seit gestern zu Wort und betonen, dass er weitermachen müsse, seine Erklärung hänge mit der Enttäuschung bei den Wahlen zusammen und sei daher nachvollziehbar. Die HDP hatte bei der Parlamentswahl einen Stimmenrückgang verzeichnet.
dpa/dtj
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