Über das reale Leben kurdischer Menschen: Autor stellt in Göttingen Roman vor

  von Thomas Kopietz  

Moderatorin Johanna Fischotter, Elena Dellmuth (GfbV-Team), Autor Halim Youssef und Dr. Kamal Sido (GfbV).

Moderatorin Johanna Fischotter, Elena Dellmuth (GfbV-Team), Autor Halim Youssef und Dr. Kamal Sido (GfbV). © GfbVV/nh
 

Lesung: „99 zerstreute Perlen“ heißt ein Roman, den der kurdische Schriftsteller Halim Youssef nun in Göttingen vorstellte.

Göttingen – In den Räumen der Göttinger Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) war am Mittwochabend (6. Dezember) der aus Nordsyrien stammende kurdische Schriftsteller Halim Youssef zu Gast. Er stellte seinen neuen Roman „99 zerstreute Perlen“ vor.

Organisiert wurde die Lesung vom GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido, der ebenfalls in Nordsyrien geboren wurde. Johanna Fischotter, leitende Redakteurin der GfbV-Zeitschrift „Für Vielfalt“, moderierte den Abend. Die Veranstaltung wurde auch online übertragen.

Kurdischer Autor Halim Youssef liest in Göttingen aus seinem neuen Roman

In seinem Roman widmet sich Youssef transnationalen Themen. Es gibt einige Parallelen im Leben des Autors und

seines Protagonisten Azado: Beide sind Kurden und wurden im Dreiländereck Syrien, Türkei und Irak geboren – also im Herzen Kurdistans, wie die Kurden ihr Siedlungsgebiet gerne bezeichnen. Beide mussten ihre Heimat verlassen und leben seither in Deutschland.

In einem der vier bei der Lesung besprochenen Textauszüge trifft Azado auf den Flüchtling Hamsa. An seinem Beispiel wird die Verfolgung aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit deutlich: Hamsa wurde in der Türkei geboren, dort als Kurde verfolgt und sein Dorf von der türkischen Armee zerstört.

Er musste nach Deutschland fliehen, doch wird er dort von Rechtsradikalen als „Türke“ beschimpft und bedroht. Aus dem Kapitel lässt sich ein Appell des Autors herauslesen: Jegliche Diskriminierung ist abzulehnen.

Roman „99 zerstreute Perlen“ erzählt das Leben kurdischer Menschen

In einem anderen Kapitel spiegelt Youssef das Schicksal vieler Kurden: Ihre Sprache wird von den Staaten, in denen sie leben, verboten. Der Autor machte diese Erfahrung auch selbst: „Ich habe in keiner Schule Kurdisch gelernt. Denn auch in Syrien war es streng verboten.“

Als Kind sei er von arabischen Lehrern misshandelt worden, weil er kein Arabisch sprach. Dass er heute Romane auf Kurdisch schreibt, sei für ihn wie die Aufarbeitung seines Kindheitstraumas.

Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert: Seit 2011 gibt es in Nordsyrien kurdische Schulen und Universitäten; doch ihre Abschlüsse werden vom syrischen Staat nicht anerkannt. Die Existenz der kurdischen Schulen, Universitäten und der regionalen Selbstverwaltung ist einer der Gründe, warum die Türkei die Region fast täglich angreift.

Autor wurde als Kind von Lehrern misshandelt, weil er kein Arabisch sprach

Halim Youssef wurde 1967 in Amuda im kurdischen Teil Syriens geboren. Er studierte Jura an der

Universität Aleppo und lebt seit 2000 in Deutschland. Er schreibt auf Kurdisch und Arabisch. 2015 erhielt er den kurdischen Literaturpreis in Sulaymaniyah, Irakisch-Kurdistan. Seine Werke sind auf Kurdisch, Arabisch, Türkisch, Persisch, Englisch und Deutsch erschienen. Der Roman „99 zerstreute Perlen“ wurde von Barbara Sträuli aus dem Kurdischen übersetzt und erschien dieses Jahres im Sujet Verlag.

Die Vorstellung des Buches und die Lesung durch den Autor in den Räumen der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen war eine spannende fiktive Darstellung und doch eine überaus wichtige Konfrontation mit den Bedingungen unter denen Menschen der kurdischen Minderheit zu leben haben, ob im Dreiländereck Syrien, Türkei und Irak – oder auch in den Staaten, in denen sie Zuflucht gefunden haben.

Wo es vielen Menschen aber häufig am Verständnis für die Lebensgeschichten und mehr als herausfordernden Realitäten fehlt, die geprägt sind von Verfolgung, Gewalt und kriegerischen Attacken. (Thomas Kopietz)