Der Türkei laufen die Ärzte davon
Begehrte Fachkräfte: Hunderte Mediziner verlassen jährlich die Türkei. Ihr Ziel: Europa und die USA. Indes herrscht im Land Ärzte-Mangel, obwohl Staatspräsident Erdoğan die Krankenhäuser modernisieren lässt. Woran das liegt.
Miese Bezahlung, Gewalt und Druck aus der Politik: Viele junge türkische Ärzt:innen sehen in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. Hunderte der begehrten Fachkräfte suchen ihr Glück jährlich im Ausland. Allein im Jahr 2021 verließen laut türkischer Ärztekammer mehr als 1.500 Mediziner:innen das Land.
Der Grund? Druck aus der Politik – allen voran von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Viele der weltoffenen Doktor:innen sahen sich erst nach dem Putschversuch von 2016 unter Generalverdacht gestellt. Dann kam Corona. Und in der Pandemie erhöhte sich der Druck aus Ankara noch einmal.
Druck aus der Politik, Angriffe von Patienten
Erdoğan warf einigen Mediziner:innen vor, schuld an der Ausbreitung des Virus zu sein. Und wer seine Corona-Politik oder die offiziellen Infektionszahlen infrage stellte, musste harte Konsequenzen fürchten. Die Folge: Körperliche Angriffe durch unzufriedene Patient:innen häuften, die Arbeitsbedingungen in türkischen Krankenhäusern verschlechterten sich.
Dabei brüstet sich gerade der allmächtige Präsident gern mit den Krankenhäusern des Landes. In den vergangenen Jahren hatte er in der gesamten Türkei riesige städtische Spitäler bauen lassen. Ausgestattet mit neuester Technologie und Tausenden von Betten, sollten sie das Gesundheitswesen des Landes nach vorn bringen.
Gehälter gering, Preise steigen
Bei den Wähler:innen sorgte das für Popularität. Doch der Betrieb der Krankenhäuser ist in Zeiten von Flucht und Ärztemangel keinesfalls gesichert. Das liegt auch an der schlechten Bezahlung der Mediziner:innen im internationalen Vergleich. Eine Fachärztin verdient in der Türkei rund 20.000 Lira – umgerechnet circa 1.270 Euro.
Wegen der derzeitigen Hyperinflation und der schwierigen Lage der türkischen Wirtschaft ist das nicht besonders viel. Zumal die Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnen in den vergangenen Monaten regelrecht explodierten (DTJ-Online berichtete). Hinzu kommt: Türkische Ärzt:innen erhalten nur geringe Rentenbeiträge. Klar, dass das Ausland mit höheren Löhnen lockt.
Besonders beliebt: Deutschland
Mittlerweile werben sogar internationale Agenturen um türkische Ärzt:innen und bieten an, sie nach Europa, in die USA oder nach Kanada zu vermitteln. An den besten Medizinfakultäten des Landes finden regelmäßig entsprechende Infoveranstaltungen statt. Besonders hoch im Kurs: Deutschland, wo ebenfalls viele Angestellte im Gesundheitswesen selbst das Weite suchen.
Eine große türkische Community, gute Perspektiven auf dem Jobmarkt, wirtschaftliche Sicherheit: Klar, dass Deutschland als beliebtes Auswanderungsland für türkische Mediziner:innen gilt. Und weil hierzulande Ärzte-Mangel herrscht, kommen die bestens ausgebildeten Doktor:innen vom Bosporus wie gerufen.
Für das Gesundheitssystem in der Türkei verheißt das indes nichts Gutes. Schließlich betreiben sich die modernen Kliniken des Landes nicht von selbst.