Mafia-Rhetorik als Staatsjargon in der Türkei

 
 
Innenminister Süleyman Soylu (r.) und Oppositionspolitiker Ümit Özdağ gehen nicht gerade zimperlich miteinander um. Collage: DTJ

„Junge, ich werde dich finden!“, „Du Operationskind, Du Soros-Kind!“, „Du bist kein Mann“. Diese Worte stammen aus den höchsten Reihen der türkischen Politik. Dieser niveaulose Jargon, der stark an die Mafia erinnert, ist mittlerweile in aller Munde. Und das ist vielleicht eine Erklärung dafür, warum so viele Figuren aus der Unterwelt in der türkischen Öffentlichkeit spielen. Treiber dieses Stilbruchs ist unter anderem der türkische Innenminister.

Sedat Peker ist zu einem der wichtigsten Gesichter der jüngeren türkischen Geschichte geworden. Wie ihm das gelungen ist? Der Mafia-Pate hat mit seinen Enthüllungen die gesamte innenpolitische Lage des Landes auf den Kopf gestellt. In 10 Youtube-Folgen hat Peker kurzerhand offengelegt, dass türkische Regierungsmitglieder in Drogengeschäfte verwickelt und sogar an Ermordungen beteiligt sind.

Mittlerweile ist es um den in Abu Dhabi im puren Luxus verweilenden Peker wieder still geworden. Auch seine alternativen bzw. indirekten Sprachrohre wie die Exil-Journalisten Erk Acarer und Cevheri Güven bringen keine echten Neuigkeiten mehr über Pekers Rachefeldzug. Doch das vergangene Jahr 2021 hat Peker dominiert und seine „Ruhe vor dem Sturm“ bereitet der türkischen Regierung nach wie vor Kopfzerbrechen.

Innenminister Soylu setzt fast nur noch auf Mafia-Rhetorik

Nichtsdestotrotz hat der gesamte Prozess rund um die Peker-Enthüllungen bislang einiges zutage gefördert. Zum Beispiel, dass der türkische Innenminister Süleyman Soylu zum einen leicht zu provozieren ist und zum anderen in seinen Formulierungen bei laufender Kamera gerne unter die Gürtellinie rutscht. Denn unmittelbar nach den ersten Peker-Videos begann Soylu mit seinen streng gemaßregelten Live-Interviews in diversen türkischen Sendern. Bis heute sinkt die Hemmschwelle des aktuell höchsten Verantwortlichen für die innere Sicherheit der Türkei immer weiter. Seine aggressive Wortwahl bezieht sich nicht mehr nur auf Mafiosis, sondern auch auf einfache Oppositionelle.

Zuletzt sprach Soylu in einem TV-Interview über den Oppositionspolitiker Ümit Özdağ. Soylu bezeichnete ihn als „Operationskind“. In der niederen türkischen Umgangsform gilt dieses Wort als indirekter Ausspruch des Fluches „Hurensohn“. Dass Soylu seinen Adressaten in gleichem Atemzug auch „Soros-Kind“ nannte, untermauert diesen Angriff auf die Eltern besagter Person.

„Junge, ich werde dich finden!“

Gleichzeitig meinen beide Begriffe, dass Ümit Özdağ ein Verräter auf dem Gehaltszettel des Milliardärs und Philanthropen George Soros sei. Wie in vielen anderen Ländern ist Soros auch in türkischen populistischen Kreisen ein verschwörungstheoretisches Feindbild.

Obwohl die verbalen Ausraster des türkischen Innenministers hinlänglich bekannt sind, hat sich der Oppositionspolitiker Özdağ hiervon verleiten lassen. „Da die Beleidigungen nicht nur meine eigene Person, sondern auch meine Familie tangieren, werde ich vor das Innenministerium gehen. Unbewaffnet. Süleyman, Junge, ich werde dich finden. Dann werden wir sehen, wer ein „Operationskind“ und ein „Soros-Kind“ ist und wer nicht“, erwiderte er als Antwort auf Soylus Angriff.

Und der Vorsitzende der Sieges-Partei ließ seinen Worten tatsächlich Taten folgen. Soylu hingegen ließ die Einladung zum Duell vor dem Innenministerium verstreichen. Deshalb habe die Türkei gesehen, dass Soylu Angst habe und nicht „Manns genug“ sei, so Özdağ. Dieser Streit werde nun so lange weitergehen, bis einer der beiden Personen sterbe.

Schlechte Aussichten auf bessere Zeiten in der Türkei

Angesichts der immer näher rückenden Wahlen 2023 ist aktuell davon auszugehen, dass sich die Eskalationsspirale weiter dreht. Ganz zum Leidwesen der von der Wirtschaftskrise gepeinigten türkischen Bevölkerung. Denn weder Regierung noch Opposition stricken an konstruktiven Plänen zur Stabilisierung der türkischen Wirtschaft. Lediglich die von Ali Babacan geführte DEVA-Partei macht das zum Thema Nummer eins. Für eine echte Verbesserung sei es wichtig, das Vertrauen ausländischer Investoren und Unternehmen wieder zu gewinnen.

Vertreter anderer Parteien hingegen spielen das Spiel anders und lassen sich in ihrer Rhetorik auf die Kampfansagen türkischer Regierungsmitglieder ein. Dazu zählen auch andere Hoffnungsträger wie Meral Akşener von der IYI-Partei oder auch gelegentlich Kemal Kılıçdaroğlu von der CHP. Die Zeichen stehen schlecht. Ein weiterer Wahlkampf unter der Gürtellinie kommt auf die Menschen in der Türkei zu.