Hohe Ausländerkriminalität – jetzt tobt der Streit über die Auslegung
Der hohe Anteil ausländischer Verdächtiger in der Kriminalstatistik beschäftigt den Bundestag. SPD und Grüne warnen vor falscher Einordnung der Zahlen. Die FDP warnt: Man könne Bürgern „ihre Alltagserfahrung nicht diktieren“. Die Union verweist auf den hohen Anteil von Verdächtigen einer Herkunftsgruppe.
Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag präsentierte, ziehen die Bundestagsparteien sehr unterschiedliche Schlüsse.
In der von der Union beantragten Aktuellen Stunde erklärte CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz im Bundestag, der starke Anstieg der Kriminalität liege, „man muss es so deutlich sagen, am Anstieg ausländischer Tatverdächtiger“. Wer zielgerichtet Kriminalität bekämpfen wolle, dürfe nicht ignorieren, dass bei einem Ausländeranteil von 15 Prozent an der Bevölkerung 34 Prozent der Tatverdächtigen Nichtdeutsche gewesen seien.
Die Ampel schaffe aber mehr Anreize für irreguläre Einwanderung, etwa „durch schnelle Bleiberechte und schnelle Einbürgerung“, wofür die Regierung sogar auf Arabisch im Internet geworben habe. Stattdessen benötige es mehr Staatsanwälte und Richter, damit die Justiz schneller Urteile fällen könne – was wegen der Überlastung häufig sehr lang dauere.
Peggy Schierenbeck von der SPD entgegnete: „Ich habe mir schon gedacht, dass Sie die PKS genauso darstellen, indem Sie Daten aus dem Zusammenhang reißen. Deswegen werde ich das nun für Sie richtig einordnen.“ Die PKS für das Jahr 2023 zeige zwar mehr Jugend- und auch mehr Ausländerkriminalität, so Schierenbeck. Dies hänge auch mit der „Migrationsdynamik“ zusammen. Dadurch steige der Bevölkerungsanteil der Nichtdeutschen, womit folglich ihr Anteil an der Kriminalität zunehme.
Um die PKS richtig auszuwerten, müsse man zentrale Faktoren verstehen, sagte Schierenbeck. So habe es „nach der Pandemie mehr Anlässe für Straftaten“ gegeben. Zudem belege die „gute Aufklärungsquote von 58 Prozent die konsequente Sicherheitspolitik der Regierung“.
AfD-Politiker Martin Hess sagte hingegen, dass der „Rekordstand bei den Gewaltdelikten“ und der hohe Anteil Nichtdeutscher „nur einen Schluss“ zulasse: „Nichts führt an einer sofortigen Korrektur der bisherigen Migrationspolitik vorbei.“ Die Innenministerin habe die Kontrolle über die innere Sicherheit verloren. Faesers Aussage während der PKS-Präsentation am Dienstag – „Wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen“ – sei „Heuchelei“. Die Aussage sei zwar richtig, aber es werde eben nicht „im großen Stil“ abgeschoben, wie es Kanzler Olaf Scholz (SPD) gefordert hatte.
Marcel Emmerich von den Grünen wies auf Schwächen der PKS hin. So sage sie nichts über das Dunkelfeld; laut ihm bekannten Studien melde sich etwa bei Sexualdelikten „nur ein Prozent der Betroffenen bei der Polizei“. Und auch „der Anstieg um 13 Prozent bei der Ausländerkriminalität ist nur die halbe Wahrheit“ – schließlich sei die ausländische Bevölkerung auch stark angewachsen. Zudem würden Ausländer häufiger angezeigt. Wenn die Union vorschlage, „die Leute abzuschieben oder Arbeitsaufnahme zu verunmöglichen, schaffen Sie, liebe Kollegen von der CDU/CSU, Push-Faktoren in die Kriminalität“.
Für FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle zeigt die PKS eindeutig, dass es jetzt mehr Gewaltkriminalität gebe. Dabei spielten die Zunahme der Gelegenheiten für solche Straftaten nach der Pandemie und wirtschaftliche Probleme eine Rolle. Aber eben auch, dass es bei „bestimmten Gruppen junger Männer mit Migrationshintergrund eine Gewaltgeneigtheit“ gebe, „über die wir offen sprechen müssen. Es nützt nichts, das kleinzureden. Wir können den Menschen ihre Alltagserfahrung nicht diktieren und müssen darüber sprechen, wie wir gerade in dieser Gruppe etwas machen können gegen Gewaltkriminalität.“ Kuhle betonte, bezüglich der Reduzierung von ausländischen Straftätern habe die Koalition schon einiges geleistet. So sei die Abschiebung von Intensivtätern nun leichter möglich, die von den Ländern hoffentlich streng umgesetzt werde.
„Selbstverständlich auch nach Syrien und Afghanistan“
Armin Schuster (CDU), der von der Unionsfraktion in den Bundestag eingeladene Innenminister Sachsens, forderte „ein Sofortprogramm für Mehrfach- und Intensivtäter. Ein Prozent der nicht deutschen Tatverdächtigen in Sachsen begeht 50 Prozent der Straftaten.“ Dieses eine Prozent der ausländischen Tatverdächtigen würde er dem Bund „gerne zuliefern“; seine sächsische Polizeieinheit für diese Intensivtäter würde sie gerne in zentrale Ausreisezentren des Bundes an den Großflughäfen bringen, wenn diese geschaffen würden.
Sebastian Fiedler, SPD-Innenexperte, kritisierte generell die Fokussierung auf die Kriminalstatistik; in „diesem Arbeitsnachweis der Polizei“ fehlten nämlich zentrale Gefahren für die Sicherheit. Diese seien etwa „Terrorismus, Rechtsextremismus und die Unterwanderung durch fremde Staaten“, was auch „die fünfte Kolonne hier auf meiner rechten Seite betrifft“, sagte er mit Blick auf die AfD und deren Nähe zu Russland. „Das sind die großen Herausforderungen im Bereich der Sicherheit, die wir gerade zu besprechen haben.“ All dies „steht das da gar nicht drin, in diesem Arbeitsnachweis“, monierte Fiedler. Und zwar, weil die Daten der PKS zu 95 Prozent von den Landespolizeien stammten und nichts über das Dunkelfeld aussagten.
So seien etwa „sinkende Zahlen der Wirtschaftskriminalität, der Korruption, der Rauschgiftkriminalität“ oft gar kein Ausdruck positiver Entwicklungen, sondern darauf zurückzuführen, dass die Polizei weniger zutage gefördert habe. Deswegen, so Fiedler, bedürfe es anstelle der Fokussierung auf die PKS „dringend eine andere Analyse, nämlich einen periodischen Sicherheitsbericht, der die Grundlage einer anderen Debatte, einer breiteren Debatte, in der Zukunft liefern soll“. Dies sei „kein statistisches Spiel“. Trotzdem müsse man auch über nicht-deutsche Tatverdächtige reden. Hier gebe es schon lange Auffälligkeiten, doch Präventionsprojekte seien in den meisten deutschen Städten zu unkoordiniert und würden kaum evaluiert. Deshalb werde derzeit eine zentrale Bundesakademie aufgebaut, die den Erfolg solcher Präventionsprojekte auswerten solle.
Grünen-Politikerin Misbah Khan beklagte, dass die Zahlen der PKS „verdreht dargestellt“ würden. Mit Blick auf die rechte Seite des Bundestages, wo Union und AfD sitzen, sagte sie: „Weil Sie vorschnell interpretieren und weil Sie immer wieder gegen Ausländer hetzten und nach Abschiebungen rufen, muss ich heute darauf Zeit verwenden, anstatt mich mit den eigentlichen Faktoren zu beschäftigen.“ Sinnvoller wäre es, über Kriminalitätsprävention zu sprechen – die Faktoren seien „soziale Teilhabe, Armut und individuelle Gewalterfahrung“ und nicht die Verkürzung auf einen Pass oder eine Herkunft, so Khan.
Wer die PKS richtig interpretieren wolle, müsse anerkennen, dass sie sich nur auf Tatverdächtige und nicht auf Verurteilte beziehe. Wenn die Zahlen stiegen, könne es daran liegen, dass die Bürger mehr Anzeigen erstatteten, „weil es online“ möglich ist. Es könne auch sein, dass es tatsächlich mehr Straftaten gibt oder einfach daran, dass die Polizei besser geworden ist und „das Hellfeld erweitert“ habe. „Wir wissen es einfach nicht“, sagte Khan.
Der innenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Alexander Throm (CDU), warf der Regierung vor, durch „ihren Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik, die Schleusen für die illegale Migration geöffnet“ zu haben. Und jetzt sei die Ampel seit einer Woche unterwegs, um die Zahlen der Ausländerkriminalität zu relativieren. Zwar seien „sozioökonomische Faktoren eine Erklärung für die Kriminalität, aber keine Rechtfertigung und Entschuldigung“. So seien „hundert Prozent der Asylzuwanderung auch Armutszuwanderung“. Dadurch gebe es in Deutschland mehr Arme, und es steige die Kriminalität, weswegen man die illegale Zuwanderung begrenzen müsse.
Die Kriminalitätshäufigkeit liege bei deutschen Staatsbürgern bei 1,8 Straftätern pro 100 Personen und bei Ausländern bei 7,5 je 100 Personen. Und unter jenen zwölf Herkunftsländern mit der höchsten Kriminalitätshäufigkeit, bei denen mehr als zehn Tatverdächtige auf 100 Personen kämen, seien neben Georgien und Nigeria „alle anderen zehn Länder in der arabischen Welt“.