Flüchtlinge, Terrorismus – „Afghanistan wird Folgen für Deutschland haben“

 
 
 
 

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WELT: Herr Neumann, Sie sagten vor wenigen Tagen: „Meine Begründung von Sicherheitspolitik ist keine konservative, sondern eine liberale.“ Warum sind Sie dann im Zukunftsteam von CDU-Chef Armin Laschet?

Der Terrorismusexperte Peter Neumann Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT © Martin U. K. Lengemann/WELT Der Terrorismusexperte Peter Neumann Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

Peter Neumann: Weil die Union eine Volkspartei ist, sie hat verschiedene Wurzeln: die liberale, die eher konservative und die christlich-soziale. Man kann also in der CDU auch sehr gut ein eher liberal orientierter Mensch sein …

WELT: Sie besetzen die Themen Außen- und Sicherheitspolitik in diesem Zukunftsteam und haben gemeinsam mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Laschet Ihre sicherheitspolitische Agenda vorgestellt – was kann man sich darunter vorstellen?

Neumann: Deutschland wurde 16 Jahre lang ganz gut regiert, aber gerade in diesem Bereich hat sich viel gewandelt, es gibt noch viele Baustellen. Gerade was innere und äußere Sicherheit und die Verknüpfung beider angeht. Das sah man beispielsweise jetzt ganz deutlich in Afghanistan. Deutschland hat diesen Auslandseinsatz als vor allem als Militäreinsatz betrieben, dabei hätte man das von Anfang an enger mit Entwicklungshilfe, mit Wirtschaftspolitik und mit Diplomatie abstimmen müssen. Was in Afghanistan passiert ist, wird Folgen für Deutschland haben – sei es beim Thema Terrorismus oder beim Thema Flüchtlinge.

Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT © Martin U. K. Lengemann/WELT Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

Der Leitgedanke dieses Sicherheitspapiers ist also die verbesserte Vernetzung von innerer und äußerer Sicherheit, ist eine Sicherheitspolitik aus einem Guss. Das machen viele Länder bereits, aber Deutschland eben nicht: Zu oft stellen wir uns das Land nicht als eines vor, das Sicherheitspolitik betreibt. Diese Berührungsangst muss überwunden werden. Hierbei würde ein nationaler Sicherheitsrat helfen. Das ist ein zentraler Vorschlag in unserem Papier.

WELT: FDP-Vize Johannes Vogel sagte in einem WELT-Interview: „Wir erleben in Deutschland aber oft einen vulgär-pazifistischen Ausdruckstanz, wenn es um die Frage von Handlungsfähigkeit und Ausrüstung der Bundeswehr geht.“ Sie würden ihm wohl zustimmen, was die bessere Ausstattung der Bundeswehr angeht?

Neumann: Da sind wir als CDU ganz grundsätzlich dafür. Die linken Parteien dieses Landes äußern sich diesbezüglich oft zweideutig: Zwar sprechen sie sich für die Bundeswehr aus, gleichzeitig sind sie aber nicht bereit, die Mittel bereitzustellen, damit diese ihre Aufgaben auch tatsächlich erfüllen kann. Die CDU hingegen will eine schlagkräftige, gut ausgerüstete Armee, die in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen. Und wir wollen, dass unsere Leute geschützt werden, etwa durch bewaffnete Drohnen.

Zu oft wird das Thema Sicherheitspolitik ideologisch debattiert. Ein Beispiel: Inlandseinsätze. Es will ja niemand, dass die Bundeswehr pötzlich durch die Straßen patrouilliert. Aber gäbe es in Deutschland jetzt einen Anschlag wie den am 11. September 2001 in den USA, was nicht besonders wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen ist, sollte das Land in der Lage sein, sehr schnell sehr viele Menschen mobilisieren zu können, um das Land zu sichern. Das kann nur die Bundeswehr.

Sie hat zum Beispiel auch sehr spezifische Fähigkeiten, etwa im ABC-Bereich, den zivile Agenturen einfach nicht haben. In so besonderen Gefährdungslagen müssen wir auf die spezifischen Fähigkeiten der Bundeswehr im Innern unterstützend zurückgreifen können – natürlich unter Führung der Polizei und im Rahmen festgelegter Grenzen.

WELT: Was würde es für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik bedeuten, wenn sich im Herbst eine linke Regierung bildete – etwa Rot-Grün-Rot?

Neumann: Linke Parteien sind nicht bereit, realistische Außenpolitik zu machen, die sich auch an Auslandseinsätzen beteiligt. Deutschland würde in diesen Politikbereichen schlicht und einfach nicht mehr ernst genommen werden. Zum Bereich der inneren Sicherheit habe ich bislang in diesem Wahlkampf noch fast gar nichts von diesen Parteien vernommen.

Ein liberaler Rechtsstaat braucht einen klaren Ordungsrahmen, um Freiheit zu sichern. Was wir als CDU versuchen, ist, eine möglichst liberale Ordnung bereitzustellen. Denn wenn der liberale Staat nicht mehr in der Lage ist, Ordnung herzustellen, dann machen es eben andere.

Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT © Martin U. K. Lengemann/WELT Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

WELT: Wo ziehen Sie dabei die Grenze zwischen der Freiheit des Einzelnen und der notwendigen Sicherheit für alle?

Neumann: Es geht uns darum, die Befugnisse und Instrumente der Kriminalitätsbekämpfung, die der Staat bereits hat, den digitalen Realitäten anzupassen. So etwa bei Online-Durchsuchungen oder intelligenter Videosicherheitstechnik. Schon jetzt kann eine Festnetzleitung abgehört werden, dort findet aber immer weniger Kommunikation statt. Entsprechend müssen die Möglichkeiten zur Kriminalitätsbekämpfung da geschaffen werden, wo sie heute benötigt werden, zum Beispiel bei verschlüsselten Nachrichten über Messenger-Dienste.

Beim Videoschutz bin ich dafür, dass wir an bestimmten Brennpunkten beziehungsweise Gefahrenorten Videosicherheitstechnik einsetzen, die die Polizei unterstützt – zum Beispiel an Bahnhöfen oder Flughäfen. Dabei geht es aber eben nicht um Massenüberwachung, und das ist der Punkt:

Der liberale Staat zeichnet sich dadurch aus, dass Freiheitsbeschränkungen grundrechtskonform und verhältnismäßig sein müssen und kontrolliert werden. Intelligente Videokameras, die durch moderne, effiziente und innovative Technik mehr Sicherheit bringen und zugleich zielgerichteter Datenschutzinteressen berücksichtigen, aus ideologischen Gründen abzulehnen, halte ich nicht für zielführend.

WELT: Warum setzt die CDU im Wahlkampf erst jetzt auf das Thema Sicherheit?

Neumann: Bislang waren die Parteien in diesem Wahlkampf die Getriebenen. Themen zwangen sich ihnen auf; von Corona über die Flut bis zur Afghanistan-Krise. Afghanistan sehe ich nun als Weckruf, der uns dazu bringen sollte, die Themen äußere und innere Sicherheit endlich ernsthaft zu diskutieren.

WELT: Welche Lehren sollte die nächste Bundesregierung aus dem Afghanistan-Debakel ziehen?

Neumann: Bei Auslandseinsätzen müssen die Ziele von Anfang an klar definiert sein – daher wäre eben auch ein nationaler Sicherheitsrat wünschenswert. Sobald man seine Ziele definiert hat, müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die diesen Zielen angemessen sind. Und das war in Afghanistan nicht der Fall.

WELT: Gehen Sie davon aus, dass Deutschland und Europa durch den Fall Afghanistans an die Taliban einer erhöhten Terrorgefahr ausgesetzt ist?

Neumann: Ich denke, das sich die unmittelbare Terrorgefahr erhöht hat. Nicht nur direkt aus Afghanistan, sondern weil in der dschihadistischen Szene nun nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder eine positive Stimmung herrscht. Es wird – auch in den sozialen Medien – versucht, eine Art Momentum zu schaffen, das Leute motivieren soll.

Mittelfristig muss man beobachten, ob in Afghanistan erneut eine chaotische Situation entsteht, wie es vor 20 Jahren schon einmal der Fall war – damals wurde das Land zum Rückzugsraum für international orientierte terroristische Gruppen.

WELT: Sprechen wir uns das nächste Mal, wenn Sie Innenminister in einem Kabinett Laschet sind?

Neumann: Es gibt keine Absprachen für das, was nach der Wahl passiert – aber ich wäre bereit, Verantwortung zu übernehmen.

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