Ausschreitungen in der Türkei: Hunderte Festnahmen nach Angriffen auf Syrer

   Von:dpa

 
Der stellvertretende Bürgermeister von Melikgazi, Rechtsanwalt Gökhan Ülke, beteiligte sich unter der Leitung des Kayseri-Gouverneurs Gökmen Çiçek an einer Sitzung, die sich den Sicherheitsmaßnahmen und der Beruhigung der Lage nach den Ausschreitungen widmete. Foto: Melikgazi Belediyesi
 
 
In der Türkei kommt es wieder zu Ausschreitungen gegen die syrischen Flüchtlinge im Land. Die Kritik an den Übergriffen ist verhalten.

Die zweite Nacht in Folge haben Menschen in der Türkei syrische Geschäfte angegriffen und Autos angezündet. In Gaziantep wurden Syrer mit Messern angegriffen, wie Augenzeugen der Deutschen Presse-Agentur berichteten. Die Zeitung Cumhuriyet schrieb von einem Verletzten. Berichten zufolge gingen Menschen auch in weiteren Städten wie Istanbul, Antalya und Bursa auf die Straße, legten Feuer und warfen Scheiben ein.

Zu ersten Ausschreitungen war es bereits in der Nacht zum Montag im zentraltürkischen Kayseri gekommen. Zuvor war ein Syrer wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch an seiner sieben Jahre alten Cousine in der Stadt verhaftet worden, wie die staatliche Nachrichenagentur Anadolu berichtete. Ein Video von der Tat breitete sich schnell aus und sorgte dafür, dass die Menschen auf die Straßen gingen. In Zusammenhang mit den Ausschreitungen wurden bisher 474 Menschen festgenommen, schrieb der türkische Innenminister Ali Yerlikaya auf X. Zugleich wurde auch eine Nachrichtensperre verhängt.

Erdoğan beschuldigt die Opposition

Die regierende AKP und Präsident Recep Tayyip Erdoğan verurteilten die Angriffe scharf. Erdoğan warf der Opposition vor, die Ausschreitungen provoziert zu haben. Die größte Oppositionspartei CHP wiederum machte Erdoğan und seine verfehlte Flüchtlingspolitik verantwortlich. Die CHP hatte vor der Präsidentschaftswahl mit dem Versprechen für sich geworben, die 3,6 Millionen Syrer im Land „zurückzuschicken“. Öffentlich verurteilt hat die Partei die rassistisch motivierten Ausschreitungen bisher nicht. Andere Oppositionsparteien verurteilten die Angriffe. Der regierungsnahe Gouverneur der Provinz Kayseri drückte gar Verständnis für die Angreifer aus.

 

Präsident Erdoğan zielte mit seiner Kritik wahrscheinlich auf Ümit Özdağ, den Vorsitzenden der Zafer-Partei. Özdağ äußerte sich ebenfalls zu den Unruhen und erklärte gegenüber Sözcü, dass die zeitgleich stattfindenden Unruhen im Norden Syriens, wo laut unbestätigten Videoaufnahmen türkische Fahnen verbrannt wurden, nicht durch die Vorfälle in Kayseri ausgelöst worden seien. Vielmehr seien sie das Ergebnis jüngster Gespräche und Handelsabkommen zwischen der Türkei und dem Assad-Regime, die von Russland unterstützt werden. Özdağ betonte, dass die Öffnung des Abu Al Zendin-Grenzübergangs und die Bemühungen, die Straße von Azaz nach Aleppo zu öffnen, die Freie Syrische Armee und die lokale Bevölkerung verärgert hätten. Er vermutet, dass ausländische Kräfte im Norden Syriens die Provokationen fördern, um die türkisch-syrischen Verhandlungen zu stören und das Staatsprojekt in der Region voranzutreiben.

Regierungsnaher Kolumnist spricht von „Provokation“

Abdulkadir Selvi, ein regierungsnaher Kolumnist der Hürriyet, warnte ebenfalls vor gezielten Provokationen nach den Angriffen in Kayseri. Er verglich die Vorfälle mit den Ereignissen in Ankara-Altındağ, wo vor einigen Jahren ebenfalls syrische Geschäfte und Häuser attackiert wurden. „Jemand versucht, Kayseri zu destabilisieren“, so Selvi.

Auf sozialen Medien verbreitet sich derweil der Hashtag „Ich will keine Flüchtlinge in meinem Land“, der bis gestern Nachmittag mehr als 3,5 Millionen Mal geteilt wurde und auch auf der Plattform X trendete. In Verbindung mit der wirtschaftlich angespannten Lage im Land ist die Situation in einigen Teilen der Türkei augenblicklich explosiv.

dpa/dtj