EURO2024
Wolfsgruß in aller Munde: Droht Merih Demiral wirklich der Ausschluss von der EM?
Am gestrigen Abend erzielte der türkische Innenverteidiger Merih Demiral vom saudi-arabischen Club Al Ahli im EM-Spiel gegen Österreich zwei Treffer, die der Türkei einen 2:1-Sieg und das Viertelfinal-Ticket sicherten. Doch der Jubel nach dem Abpfiff löste eine heftige Kontroverse aus: Demiral zeigte mit beiden Händen den Wolfsgruß – ein Symbol, das tief in der Symbolik der türkischen Rechten verwurzelt ist. Doch nicht nur.
Der Wolfsgruß (Bozkurt) ist das Symbol der türkischen Grauen Wölfe, einer ultranationalistischen Organisation, und wird häufig mit der rechtsextremen Partei MHP in Verbindung gebracht. Diese Geste ist in der Türkei ein Symbol der rassistischen und nationalistischen Bewegung, die von vielen Minderheiten im Land mit Angst und Schrecken betrachtet wird. Der Wolfsgruß wurde in der Vergangenheit von Tätern politisch motivierter Gewalt verwendet, was seine Assoziation mit Extremismus und Gewalt weiter verstärkt.
Besonders problematischer Zeitpunkt: Jahrestag vom Brandanschlag von Madımak
Der Zeitpunkt von Demirals Geste machte die Situation noch heikler: Das Spiel fand am Jahrestag des Brandanschlags von Sivas am 2. Juli 1993 statt, bei dem türkische Nationalisten und Islamisten das Madımak-Hotel in Brand setzten und 37 Menschen, hauptsächlich Intellektuelle und Künstler der alevitischen Minderheit, ums Leben kamen. Dieser Jahrestag ist für viele Türken, insbesondere für Minderheiten wie Aleviten und Kurden, ein Tag der Trauer und des Gedenkens.
Reaktionen und Forderungen nach Sanktionen
Nach dem Vorfall forderten viele Minderheitenorganisationen und Persönlichkeiten Konsequenzen für Demiral. Die UEFA leitete eine Untersuchung wegen „unangemessenen Verhaltens“ ein. Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser von der SPD äußerte sich via X (ehemals Twitter) und forderte die UEFA zu Sanktionen auf: „Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel. Wir erwarten, dass die UEFA den Fall untersucht und Sanktionen prüft.“ Übrigens: Auch österreichische Fans stimmten rassistische Gesänge an, darunter das bekannte „Sylt“-Lied („Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“).
Die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal, die zur türkisch-kurdischen Minderheit der Jesiden gehört, schrieb ebenfalls auf X: „Ich will uns den Spaß nicht verderben. Ich kann und werde hierzu nicht
schweigen. Seit Jahren bekomme ich von Anhängern der #GrauenWölfe, einer der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland Morddrohungen. Dass Merih Demiral hier den rechtsextremen Wolfsgruß zeigt, ist eine Verhöhnung der Opfer. So bitter für die Türkei-Fans.“
Auch der Exil-Journalist Can Dündar kritisierte die Geste scharf: „Mit einer Geste die Freude der 100% auf 5% reduziert. Bravo.“
Unterstützung für Demiral und nationalistische Strömungen
Dennoch gibt es auch Unterstützung für Demiral. Der bekannte türkische Sportjournalist Yagız Sabuncuoğlu machte die Geste von Demiral zu seinem Titelbild auf X und schrieb dazu den bekannten Slogan, dass „ein Türke für den Rest der Welt ausreicht“. Nationalistische Parolen finden in der Türkei derzeit vermehrt Anklang, was sich auch in den jüngsten rassistischen Ausschreitungen in Städten wie Kayseri, Konya und Gaziantep zeigt. Dort griffen türkische Nationalisten syrische Häuser und Geschäfte an und setzten sie in Brand, wobei ebenfalls der Wolfsgruß gezeigt wurde.
Ein komplexer Kontext
Der umstrittene deutsch-syrische Journalist Tarek Baé, der sich normalerweise zugunsten der Türken positioniert, kritisierte die Geste von Demiral ebenfalls: „Ich freue mich über das Weiterkommen der Türkei. Und dann so. Ich weiß, dass man argumentieren kann, dass es zu plump ist, zu sagen, damit müsse automatisch eine rechtsextreme Position einhergehen. Ja, der Wolf ist ein weitverbreitetes nationales Symbol. Aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu philosophieren.“
Baé betonte, dass der aktuelle politische Kontext berücksichtigt werden müsse. Die Geste wirke angesichts der jüngsten Angriffe auf syrische Flüchtlinge in der Türkei wie eine Zustimmung zu den rechtsextremen Ausschreitungen. Dies sei mindestens ignorant oder unsensibel. Demiral selbst erklärte, dass hinter seiner Geste keine Botschaft stecke und er hoffe, sie im weiteren Turnierverlauf noch häufiger zeigen könne.
Was droht Demiral nun?
Die UEFA hat jedenfalls ein Ermittlungsverfahren gegen Demiral eingeleitet. Der Fall erinnert an die WM 2018, als albanisch-stämmige Schweizer Spieler nach einem Torjubel den albanischen Adlergruß zeigten. Damals verhängte die FIFA Geldstrafen in Höhe von 10.000 Schweizer Franken pro Spieler, ohne Sperren auszusprechen. Welche Sanktionen Demiral erwarten, bleibt abzuwarten. Doch die Zeichen stehen für den „Österreich-Besieger“ schlecht.
Denn die UEFA hatte in der Vorrunde bereits beim Spiel zwischen Albanien und Kroatien in Hamburg hart durchgegriffen. Dort hatte der Albaner Mirlind Daku nach dem viel umjubelten 2:2 in der Nachspielzeit die eigenen Fans mit nationalistischen Gesängen aufgestachelt. Daku belegte die UEFA mit einer Zwei-Spiele-Sperre und 25.000 Euro Strafe.
Der Vorfall von Demiral wirft ein Schlaglicht auf die politische Brisanz, die selbst im Sport nicht ignoriert werden kann. Die Fußball-Europameisterschaft, ein Ort der internationalen Begegnung und des sportlichen Wettkampfs, sollte nicht zur Plattform für Symbole des Hasses und der Spaltung werden.