Israels Botschafter Ron Prosor: „Türkei finanziert die Muslimbruderschaft seit Jahren“
© Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Israels Botschafter Ron Prosor nimmt sich Redaktionsbesuch der Berliner Zeitung viel Zeit für alle Fragen. Er will klarmachen, dass nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober für Israel eine neue Zeitrechnung begonnen habe. Das Land könne nach den Gräueltaten an seiner Zivilbevölkerung auf seinem eigenen Territorium nicht weitermachen. Prosor, der ruhig und dennoch bestimmt spricht, macht deutlich: Die bisherigen Konzepte können den Bürgern Israels ihre Sicherheit nicht mehr garantieren. Diese Erkenntnis ist ein Schock für die Juden auf der ganzen Welt. Zusammen mit einer neuen globalen Welle des Antisemitismus haben die Juden erstmals keinen sicheren Hafen mehr. Für einen dauerhaften Frieden brauchen Israel und die Palästinenser die Hilfe der internationalen Gemeinschaft.
Herr Prosor, Sie waren Staatssekretär, als sich Israel 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen hat. War der Rückzug ein Fehler?
Ich glaube nicht. Aber wir müssen daraus lernen, was wir danach falsch gemacht haben. Wir haben damals 22 Siedlungen aufgelöst. Die Idee war, dass wir Gaza in die Hände der Palästinenser geben. Wir haben den Gazastreifen verlassen, um nie wieder nach Gaza zurückzukehren. Seit 2005 gibt es keinen einzigen Siedler im Gazastreifen. Die Gleichung war damals ziemlich einfach: So, wie es in Israel ist, wird es auch in Gaza sein. Die Palästinenser hatten die Chance, den Gazastreifen selbst zu verwalten, aber was ist nach unserem Rückzug passiert? Die Hamas hat die Kontrolle übernommen. Sie haben die Vertreter der Fatah ermordet und allmählich Waffen, Rüstung und Raketen eingeschleust und Gaza zu einem Terrorstaat gemacht.
Was hätte Israel anders machen sollen?
Unser Fehler war, dass wir zu lange eine Politik der Eindämmung verfolgt haben. Wir haben die Ideologie der Hamas zu lange bagatellisiert – wir alle haben das. Wir waren auf diesem Auge blind. Die Hamas hat ihre Raketen sofort dafür genutzt, um uns direkt zu beschießen. Immer wieder. Und es wurde mit jedem weiteren Angriff schlimmer. Der Angriff im Oktober war der traurige Höhepunkt. Es hat sich gezeigt, dass die Hamas ihre Ideologie, Israel auszulöschen und die Juden ins Meer zu werfen, ernster nimmt, als wir alle uns das eingestanden haben. Wenn die Hamas davon gesprochen hat, dass es ihre Pflicht sei, Juden zu ermorden, dann haben wir das alle verharmlost. Wir haben einfach nicht verstanden, wie tief dieser Hass geht, und das muss sich ändern. Diese Verharmlosung der Gewalt gegen Juden können wir nicht mehr zulassen. Das muss sich ändern. Man sagt, dass man den Frieden schließt mit seinen Feinden, aber das glaube ich nicht! Man schließt Frieden mit seinen ehemaligen Feinden. Das sehen wir auch hier: Deutschland und Frankreich haben erst einen Frieden geschlossen, als Deutschland kein Feind mehr war.
Ministerpräsident Benjamin Nethanjahu hat angedeutet, dass es auf absehbare Zeit keinen vollständigen Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen geben wird. Es soll dort dauerhaft eine Sicherheits-Präsenz eingeführt werden. Stimmt das?
Wir werden Gaza niemals politisch kontrollieren. Aber sicherheitstechnisch müssen wir eine neue Formel finden, die Israels Sicherheit garantiert und Gaza den Zugang zu Waffen nimmt.
Israel wird also versuchen den Gazastreifen stärker zu kontrollieren. Richtig?
Nochmals: Wir haben kein Interesse an Gaza, aber wir müssen alles dafür tun, dass die Sicherheit der israelischen Bürger gewährleistet ist.
Glauben Sie, es reicht, die Hamas zu eliminieren? Was muss passieren, damit es wirklich zu einem Frieden kommt?
Wenn die Hamas besiegt und deren Infrastruktur und Führung zerstört wurden, haben wir immer noch Teile der Bevölkerung, die sich mit der Terrororganisation identifizieren. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele, aber große Teile der Bevölkerung identifizieren sich mit der Hamas und stehen auch hinter den Massakern vom 7. Oktober. Um die zu überzeugen, brauchen wir die internationale Gemeinschaft, Europa, die USA und vielleicht auch die arabische Welt.
Macht Europa dafür genug?
Noch nicht, aber ich sehe, dass da derzeit viel passiert. Allein, dass man uns in Europa jetzt fragt, was wir uns vorstellen und was wir darüber denken, welche Strukturen dort aufgebaut werden müssen, stimmt mich positiv. Alle verstehen jetzt, dass es so nicht weitergehen kann. Ein echter Paradigmenwechsel ist notwendig.
Wir sehen, dass in den sozialen Netzwerken die Stimmen gegen Israel sehr laut sind. Woran liegt das aus Ihrer Sicht und was kann dagegen unternommen werden?
Zunächst muss ich eines ganz klar sagen: Diejenigen, die jetzt dieses Massaker feiern, das können keine Ansprechpartner für einen demokratischen Staat sein. Damit ist eine Linie überschritten, mit der man alle demokratischen Werte hinter sich lässt. Diese Menschen kennen keine demokratischen Werte, keine demokratischen Strukturen. Sie sind nicht nur eine Gefahr für uns, sie sind eine Gefahr für alle Demokratien. Wir Juden stehen nur in der ersten Reihe. Das ist eine weltweite Bedrohung. Und diejenigen, die diese Gefahr nicht erkennen und bekämpfen, die werden die Nächsten sein.
Es gibt die Gleichung: Mehr Bildung gleich weniger Antisemitismus. Geht die überhaupt noch auf?
Ich bin ein großer Befürworter von Bildung, aber das genügt nicht. Es gibt Menschen, die verweigern sich allen Fakten und jeder Wahrheit. Sie glauben, dass diese Massaker nie stattgefunden haben, egal wie viele Beweise man ihnen präsentiert. Diese Faktenresistenz ist eine direkte Gefahr für demokratische Staaten. So kann das nicht weitergehen. Bildung ist also sehr wichtig, ebenso wichtig aber ist es, die geltenden Gesetze ohne Wenn und Aber durchzusetzen.
Wie haben Sie denn den Besuch erlebt von Herrn Erdogan hier in Berlin? Der hat diese Massaker des 7. Oktober als legitime Antwort auf eine Ungerechtigkeit dargestellt.
Diese Rechtfertigung eines Massakers hat nichts mit dem Islam als Religion zu tun. Und solche Stimmen fehlen mir aus der arabischen Welt: die Imame, die ganz klar sagen: Das kann nicht im Namen des Islams geschehen. Man kann nicht Babys, Kinder und Frauen als Geisel nehmen. Man kann Leute nicht abschlachten. Das hat gar nichts mit Politik zu tun. Die Türkei unter Erdogan bietet Terroristen Unterschlupf. Ihm geht es darum, seinen Einfluss in der Region auszubauen – das macht er auf dem Rücken der Palästinenser.
Wer sind denn Ihrer Meinung nach die Haupttreiber oder Unterstützer von Hamas?
Das ist allgemein bekannt: alle, die die Region destabilisieren wollen. Alle, die gegen demokratische Strukturen und pluralistische Gesellschaften sind. Allen voran Iran und die Muslimbruderschaft.
Welche Rolle spielt die Türkei für die Muslimbruderschaft?
Die Türkei finanziert die M
Umfragen zeigen, dass die palästinensische Bevölkerung Abbas immer weniger und die Hamas immer mehr unterstützt, auch außerhalb von Gaza. Wie stark ist Abbas noch? Wie schätzen Sie die politische Lage in der Westbank ein?
Abbas hat sich seit 2006 nicht mehr nach Gaza getraut, er weiß genau, wie er dort empfangen worden wäre. Und auch in der Westbank schwindet seine Macht. Seit 2006 hat er keine Wahlen zugelassen, denn auch dort kennt er das Ergebnis bereits im Voraus. Außerdem verurteilt er die Massaker mit keiner Silbe, ganz im Gegenteil. Er gibt den Terroristen auch noch ein Kopfgeld, damit sie Juden töten, das ist „pay for slay“. Das kann nicht sein. Ich glaube, dass die Palästinenser darauf warten, was nach Abbas kommt. Aber das ist jetzt erst einmal egal: Wir müssen mit dem zurechtkommen, mit dem wir konfrontiert werden.
Halten Sie es für sinnvoll, dass die deutsche Bundesregierung weiterhin Gelder nach Gaza schickt?
Es ist völlig klar, dass die Finanzierungen gründlich überprüft werden müssen. In der Vergangenheit flossen offensichtlich Gelder an Stellen, die den Terror unterstützt haben. Die Geldflüsse müssen stärker kontrolliert werden. Deutsche Steuergelder dürfen keinen Terror mitfinanzieren. Nehmen wir das UNRWA (UN-Hilfswerk für die Palästinenser, Anm. d. Red.) als Beispiel: Auch dort gibt es Hamas-freundliche Beamte. Übrigens hat UNRWA 30.000 Mitarbeiter, wovon vielleicht 100 Ausländer sind. Es ist de facto eine palästinensische Organisation. Aber weil sie die Buchstaben UN im Namen trägt, denken die Leute, es sei eine internationale humanitäre Organisation. Da sind europäische Gelder in UNRWA-Schulbücher geflossen, die antisemitische Hetze verbreiten. Doch ich glaube Bundeskanzler Scholz, wenn er uns versichert, dass Deutschland überprüfen wird, wohin diese Zahlungen gehen.
Doch auch in Deutschland gibt es noch viel zu tun. Haben Sie die Aktionen in Neukölln am 7. Oktober wahrgenommen, als Süßigkeiten zur Feier des Angriffs auf Israel verteilt wurden?
Ich war mit dem Bürgermeister von Neukölln vor wenigen Monaten noch dort. Und bereits damals habe ich ganz klar gesagt: Es sind nicht alle Neuköllner, die so denken – ganz im Gegenteil. Aber es gibt dort auch Gruppierungen, wie etwa Samidoun. Das sind trojanische Pferde der Demokratie. Und sie können für Demokratien tödlich sein. Deswegen gehören sie verboten und das ist ja mit Samidoun nun auch schon passiert. Die entschlossene und unmissverständliche Politik von Bundesinnenministerin Faeser und der Berliner Innensenatorin Spranger weisen den richtigen Weg. Wir müssen dafür sorgen, dass den Worten Taten folgen.
Wie kann man die migrantischen Communitys in Deutschland besser erreichen?
Zunächst einmal muss das Problem überhaupt erkannt werden. Außerdem haben viele Menschen aus Syrien oder anderen arabischen Staaten ein völlig verzerrtes Bild von uns Juden. Da hilft nur Aufklärung. Wir müssen ihnen das jüdische Leben zeigen, das radikalmuslimische Propaganda ihnen verschweigt.
Das Problem ist aber nicht nur ein migrantisches, oder? Weltweit gehen Hunderttausende junge Menschen auf die Straße und solidarisieren sich mit den Palästinensern. Was sagen Sie dazu?
Auch hier ist Aufklärung gefragt. Niemand wird als Antisemit geboren. Menschen sind die Produkte ihrer Umgebung. Solche antisemitischen Einstellungen sind die Ergebnisse jahrelang wirkender Fehlinformationen. Tatsachen werden verzerrt dargestellt und Falschinformationen nicht richtiggestellt, so verfestigen sich Vorurteile. Und auch hier geht es um demokratische Werte, die wir vor solchem radikalen Gedankengut schützen müssen.