Krieg in Nahost: Das Schweigen der UN – Israel verzweifelt an der Weltorganisation

Artikel von Herbermann, Jan Hadelesblatt

 

Israel kritisierte den UN-Menschenrechtskommissar scharf. Er habe sich nicht einmal dazu durchringen können, die Hamas-Verbrechen als „barbarische Akte des Terrorismus“ zu bezeichnen. Foto: dpadata-portal-copyright=

Israel kritisierte den UN-Menschenrechtskommissar scharf. Er habe sich nicht einmal dazu durchringen können, die Hamas-Verbrechen als „barbarische Akte des Terrorismus“ zu bezeichnen. Foto: dpadata-portal-copyright= © Bereitgestellt von Handelsblatt

 

Es ist der Auftrag der Vereinten Nationen, den Weltfrieden zu sichern. Doch Israel fühlt sich von der Organisation im Stich gelassen.

Israel und die UN – das ist eine schwierige Beziehung, die am Freitag einen neuen Tiefpunkt erreichte. Nachdem das israelische Militär mehr als eine Million Palästinenser im Norden des Gazastreifens zur Evakuierung aufgerufen hatte, reagierten die Vereinten Nationen scharf. „Wir fordern nachdrücklich, dass jede solche Anordnung, sofern sie bestätigt wird, aufgehoben wird, um zu vermeiden, dass aus einer ohnehin schon tragischen Situation eine katastrophale Situation wird“, sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric.

In den UN sind 193 Staaten vertreten. Aufgabe der globalen Organisation ist die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts, der Schutz der Menschenrechte und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit.

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Irritationen hatten die UN schon am Montag in Israel ausgelöst, und das, obwohl alles zunächst nach einer Geste der Solidarität aussah. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen legte eine Schweigeminute ein. Damit gedachte das oberste UN-Gremium zum Schutz der Menschenrechte der Opfer der beispiellosen Terrorangriffe der radikalislamistischen Hamas auf Israel. Verlangt hatten die USA diese stille Ehrung der Getöteten.

Die Schweigeminute am Montag war zwar die bislang stärkste Antwort des Menschenrechtsrates auf die Hamas-Attacken und die militärische Gegenreaktion Israels. Aber dennoch: „Der Rat hat diese Angriffe nicht verurteilt“, heißt es aus dem Gremium auf Anfrage.

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Zudem gab es auch bis Freitagmittag keinen Antrag auf eine Sondersitzung des UN-Gremiums zu der Tragödie im Nahen Osten. Zum Vergleich: Seit Gründung des Menschenrechtsrates 2006 hat es mehr als ein halbes Dutzend Sondersitzungen zu der Lage in den besetzten palästinensischen Gebieten gegeben – diese Sondersitzungen waren allesamt gegen Israel gerichtet.

Das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen dem jüdischen Staat und der Weltorganisation hat nun einen weiteren Tiefpunkt erreicht. „Seit Jahren warnen wir die UN und ihre Vertreter vor dem Wesen der Hamas und der ständigen Aufwiegelung und Radikalisierung“, teilt Israels ständige Vertretung bei den UN in Genf dem Handelsblatt mit. Die Hamas verfolge eine „völkermörderische“ Ideologie. „Diese Warnungen wurden ignoriert, und leider haben die UN viele Jahre lang die Schuld ausschließlich auf Israel geschoben.“

Neben dem Menschenrechtsrat erzürnen seit Beginn des neuen Nahost-Krieges auch andere große UN-Gremien die israelische Regierung. Bis Freitagmachmittag schwiegen sie zu der Hamas-Aggression und ihren verheerenden Folgen für Menschen in Israel und Gaza. Der Sicherheitsrat, dem immerhin die Hauptverantwortung für

den Weltfrieden obliegt, traf sich zwar kurz nach dem Beginn des Raketenhagels und dem Eindringen der Hamas-Terrorkommandos nach Israel. Nur: Das potenziell mächtigste UN-Gremium schaffte es noch nicht einmal, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen.

Israel vermisst klare Aussagen in der UN-Vollversammlung

Auch die UN-Vollversammlung schaut bisher nur zu. Zudem wählten UN-Führungspersönlichkeiten eine Sprache, die für israelische Ohren an Klarheit zu wünschen übrig ließ. So erklärte der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths wenige Stunden nach Beginn des Hamas-Einfalls: „Ich bin extrem alarmiert über die schnell eskalierenden Ereignisse in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten.“ Griffiths vermied es, die Angreifer und die Angegriffenen beim Namen zu nennen.

Kurz darauf äußerte sich der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk. Er warnte vor einer „Pulverfass-Situation“ in Nahost, die es zu entschärfen gelte. Der Hochkommissar prangerte Grausamkeiten palästinensischer Gruppen an und geißelte Israels Blockade des Gazastreifens.

Die israelische Regierung rügte postwendend Türks Einlassungen: Der UN-Hochkommissar könne sich angesichts der Hamas-Verbrechen „nicht dazu durchringen, diese barbarischen Akte als Terrorismus zu bezeichnen“. Eine Anfrage beim Hochkommissariat zu der Reaktion Israels blieb bisher unbeantwortet.

Eine der schärfsten Aussagen vonseiten der UN zu Nahost kam noch von Generalsekretär António Guterres. Er verurteilte „unmissverständlich die abscheulichen Angriffe der Hamas und anderer gegen israelische Städte und Dörfer“. Guterres, eine der erfahrensten Figuren der Weltpolitik, betonte: „Nichts kann diese Terrorakte und die Tötung, Verstümmelung und Entführung von Zivilisten rechtfertigen.“

Für Israels angespannte Beziehung zu den UN gibt es zahlreiche Gründe: Sie reichen von der Front muslimischer Länder gegen den jüdischen Staat über die Nichtbeachtung von UN-Resolutionen durch Israel bis hin zu den Aktivitäten des Palästinenser-Hilfswerks UNRWA. Jerusalem betrachtet die UNRWA als naiven Handlanger der Hamas.

Beobachter schließen nun eine Vermittlerrolle der UN zwischen Israel und den Palästinensern aus. „Die UN haben in den vergangenen Jahrzehnten kaum Einfluss auf eine politische Lösung des Konflikts gehabt“, erläutert ein Diplomat. „Jetzt haben die UN in den Augen der Israelis fast die gesamte Glaubwürdigkeit eingebüßt.“

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