Menschenrechte in der Türkei: Erdogan will Urteil nicht anerkennen

Artikel von Erkan Pehlivan F:R 

 

 

Zu  Unrecht wegen Terrorismus verurteilt

Menschenrechte in der Türkei: Erdogan will Urteil nicht anerkennen

Die Türkei muss rund 100.000 Fälle neu aufrollen, weil die Betroffenen zu Unrecht verurteilt wurden. Präsident Erdogan will das Urteil ignorieren.

Ankara – In seinem Urteil in der vergangenen Woche hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass die Messenger-App „ByLock“ nicht als Beweis für Terrorismus gewertet werden darf. Rund 100.000 Menschen wurden deswegen in der Türkei zu Unrecht wegen Terrorismus verurteilt. Jetzt müssen die Fälle vor türkischen Gerichten neu aufgerollt werden. Doch von Seiten der Regierung hagelt es Kritik an dem Straßburger Gericht.

Regierung und Verfassungsgericht wollen EGMR-Urteil nicht umsetzen

Das Urteil des EGMR sei nicht hinnehmbar und das europäische Tribunal habe seine Kompetenzen überschritten, wütete nach dem Urteil Justizminister Yılmaz Tunç. Auch der Präsident des türkischen Verfassungsgerichts, Zühtü Arslan, will das Urteil komplett ignorieren. „Am Ende werden die Gerichte in der Türkei entscheiden. Wir werden uns die Wiederaufnahmeverfahren ansehen. Die Fälle werden auch zum Verfassungsgericht kommen. Dann werden wir entscheiden“, so Arslan vor der Presse.

Ähnlich sieht es auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan: „Der EGMR hat seine Kompetenzen überschritten und die Souveränität der Türkei missachtet. Es ist daher nicht möglich, auf den EGMR zu hören“, sagte Erdogan in einer Fraktionssitzung.

u Unrecht wegen Terrorismus verurteilt

Menschenrechte in der Türkei: Erdogan will Urteil nicht anerkennen

 

lerdings ist die Türkei verpflichtet, Urteile des EGMR anzuerkennen und umzusetzen. In einem Interview mit dem TV-Sender KRT sieht die Rechtsexpertin Professorin Serap Yazici keinen Ausweg für die Türkei, als das EGMR-Urteil umzusetzen. Die Türkei habe 1954 die europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert. 1987 hat sie das individuelle Recht für Klagen vor dem EGMR anerkannt. 1989 hat sie die Urteile des EGMR für bindend erklärt. Und 2004 „hat die AKP-Regierung die EGMR-Urteile über das nationale Recht gestellt“, so Yazici.

Ein Ignorieren des Urteils des europäischen Tribunals verstößt damit gegen internationale Verträge und auch türkisches Recht. Sollte die Erdogan-Regierung das Urteil nicht umsetzen, droht dem Land großer Ärger, vor allem aber mit der EU. International würde das Land noch weiter isoliert werden und an Glaubwürdigkeit verlieren, was die Wirtschaft zusätzlich belasten würde.

30.000 Klagen wegen ByLock vor EGMR eingereicht

Geklagt vor dem EGMR hatten 8.500 Personen, die wegen ByLock auf ihrem Handy wegen Terrorismus verurteilt wurden. Vor dem Gerichtshof wird nun der Fall des Lehrers Yüksel Yalçınkaya verhandelt. Der Lehrer wurde nach dem Putschversuch 2016 verhaftet und 2017 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil er die ByLock-App genutzt haben soll. Der Mann soll inzwischen im europäischen Exil leben. (erpe)