Was im Koalitionsvertrag über den Islam und die Türkei steht

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Die Vorsitzenden der drei Parteien stellten auf einer Pressekonferenz den gemeinsamen Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die künftige Bundesregierung vor. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der Islam und die Türkei spielten in den Parteiprogrammen für die Bundestagswahl 2021 eine wichtige Rolle. Auch in dem finalen und in dieser Woche vorgestellten Koalitionsvertrag der SPD, Grünen und FDP kommen die Themenbereiche vor.

Die Bildung der ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene wird immer wahrscheinlicher. Am Mittwoch präsentierten die Spitzen der Parteien SPD, Grüne und FDP den Koalitionsvertrag. Jetzt sind die Mitglieder und Delegierten am Zuge und müssen dem Vertrag eigentlich nur noch zustimmen. Dies soll in allen drei Parteien in den kommenden Tagen stattfinden, wahrscheinlich noch im November. Die Grünen wollen mit 125.000 Mitgliedern neben dem Koalitionsvertrag auch über das Personaltableau ihrer Partei für das neue Kabinett entscheiden. Der designierte Neu-Kanzler Olaf Scholz (SPD) glaubt, dass alle drei Parteien dem Vertrag zustimmen werden. „Ich bin da sehr zuversichtlich. Es ist ein gutes Ergebnis aus der Sicht aller drei Parteien“, sagte er am Mittwochabend in einem TV-Interview.

Menschen mit türkischer Migrationsbiografie interessieren sich neben anderen Themen vor allem dafür, wie die neue Regierung mit der Türkei umgehen wird. Die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei werden in dem Koalitionsvertrag als „besorgniserregend“ bezeichnet. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschen-, Frauen und Minderheitenrechte seien „massiv abgebaut worden“. Deshalb werde man sich bei den Beitrittsverhandlungen zur EU dafür einsetzen, keine weiteren Kapitel zu öffnen, aber auch keine zu schließen. Stattdessen soll der Dialog fortgesetzt werden: „Wir werden die EU-Türkei-Dialogagenda mit Leben füllen und den Austausch mit der Zivilgesellschaft und Jugendaustauschprogramme ausbauen.“

Wenig Konkretes über die Türkei

Insgesamt wirkt der Abschnitt zur Türkei so, als hätte man den Passus dem Parteiprogramm der Sozialdemokraten entnommen. Während die Grünen vor der Wahl auf konkrete Kritik an bestimmten Entwicklungen in der Türkei, wie der Inhaftierung von „politischen Gefangenen“ oder dem Austritt aus der Istanbul-Konvention eingingen, fiel das Programm der SPD in Bezug auf die Türkei vergleichsweise schmal aus. Die Grünen hatten auch die Intensivierung der Jugendaustauschprogramme ins Spiel gebracht. In dem Parteiprogramm der FDP wurde die Türkei ebenfalls erwähnt. Doch dort lag der Tenor auf der Beendigung der EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land. Konkret hieß es: „Eine von Präsident Erdoğan autoritär regierte Türkei kann für uns Freie Demokraten kein Kandidat für eine Mitgliedschaft in der EU sein. “

Muslime sollen umfassenden Schutz erhalten

Auch der Islam fındet in dem Koalitionsvertrag Erwähnung, allerdings ebenfalls eher am Rande. Unter dem Abschnitt „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ heißt es, dass man Ausbildungsprogramme für „Imaminnen und Imame an deutschen Universitäten“ ausbauen wolle. Die Parteien wollen damit die Unabhängigkeit der Glaubensgemeinschaften vom Ausland gewährleisten. Außerdem soll das Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt werden, „um die Beteiligung und Repräsentanz der Religionsgemeinschaften, insbesondere muslimischer Gemeinden“ zu verbessern.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder über den Körperschaftsstatus muslimischer Gemeinden diskutiert. Die Sozialdemokraten hatten in ihrem Wahlprogramm auch versprochen, gegen die grassierende Islamfeindlichkeit vorzugehen. Es sollten „Straftaten in diesem Bereich konsequenter erfasst und geahndet werden“. In dem Koalitionsvertrag heißt es, dass man der „zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen “ durch „umfassenden Schutz, Prävention und bessere Unterstützung der Betroffenen“ begegnen werde. Wie dieser Schutz konkret aussehen soll, wird nicht näher erläutert.

Weitere Vereinbarungen der „Ampel“

Im Koalitionsvertrag wurde unter anderem Folgendes festgeschrieben: Die Mietpreisbremse soll verlängert werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15. Stromkunden sollen entlastet werden, indem zum 1. Januar 2023 die EEG-Umlage abgeschafft wird. In der Finanzpolitik vereinbarten SPD, Grüne und FDP, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten. Zum Schutz der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen soll eine Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden. Die deutschen Rüstungsexporte sollen mit einem neuen Gesetz effektiver beschränkt werden. In der Asylpolitik wurde vereinbart, dass mehr Flüchtlinge künftig ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen können. Den gesetzlichen Mindestlohn wollen SPD, Grüne und FDP von jetzt 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Ampel-Parteien wollen den öffentlichen Nahverkehr stärken und dazu vom kommenden Jahr an die sogenannten milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöhen.

Nach dem Zeitplan der drei Parteien soll Scholz in der Woche ab dem 6. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht mehr kandidierte.

Mit Material von DPA