Kampf gegen Islamismus: Grünen-Chef Omid Nouripour: "Wir sehen, dass es brodelt"

                                                        Geschichte von Lisa Becke/Jan Rosenkran
                                                      hgztr.jpg
                                                        Grüne Abschiebungen Islamismus © Imago Images/Chris Emil Janßen

 

Alle einsperren und abschieben? Was tun gegen islamistische Gewalttäter? Der grüne Co-Vorsitzende Omid Nouripour warnt im stern vor einer unterkomplexen Debatte. 

"Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren", sagte Kanzler Olaf Scholz mit Blick auf die Tat von Mannheim in einer Regierungserklärung. "Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie Syrien oder Afghanistan stammen." Warum sperren sich die Grünen so dagegen? 

Das trifft nicht zu. Die Rechtslage ist eindeutig: Ab einem bestimmten Strafmaß erlischt der Anspruch auf Schutz in Deutschland. Wer schwere Straftaten begeht, gehört in Haft – und nach Verbüßung der Strafe auch unmittelbar abgeschoben. Das ist im Falle des barbarischen Mordes von Mannheim zweifelsohne der Fall. Die Innenministerin prüft ja nun seit geraumer Zeit auch Abschiebungen nach Afghanistan, bisher noch ohne Ergebnis. Zentrale Fragen, was Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Umsetzbarkeit angeht, sind nicht geklärt. Darauf muss das Innenministerium nun Antworten geben.

Das dürfte schwer werden. In Afghanistan regieren die Taliban, die offiziell nicht als Regierung anerkannt werden.

Richtig. Deswegen braucht es Antworten darauf, wie wir ausschließen, dass wir weder den Steinzeitislamisten der Taliban Geld geben noch die Kriminellen in die Freiheit entlassen, die so womöglich wieder gefährlich für Deutschland werden. Und nur mal für den hypothetischen Fall, man würde die Taliban anerkennen: Wenn man Islamismus bekämpfen will, darf man Islamisten einen solch gigantischen internationalen Erfolg nicht schenken. Noch abenteuerlicher finde ich den Vorschlag, die Menschen einfach an der Grenze abzuladen. Diese wären ja nach wenigen Monaten wieder in Deutschland. Wie gesagt, die Innenministerin hat angekündigt, solche Abschiebungen zu prüfen. Ich bin gespannt auf das Ergebnis.

Die Union wirft Ihnen vor, die Argumente seien vorgeschoben. Man nutze längst "technische Möglichkeiten", um mit den Taliban zu sprechen. Wollen Sie einfach nicht abschieben?

Unsinn. Kontakte auf rein technischer Ebene reichen für Rückführungen nicht aus. Dafür bräuchte es echte Kooperation, allein schon für praktische Schritte wie die Anerkennung der Staatsangehörigkeit. Im Fall des Terrorregimes der Taliban würde das nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für Deutschland bedeuten. Es ist erschreckend, wie schnell die Union die komplexe Realität des Regierungshandelns vergessen hat. 

Gilt das auch für die Forderung, das Auswärtige Amt müsste seinen Lagebericht für Afghanistan anpassen, weil dann Abschiebungen möglich würden?

Man sollte den Menschen nicht im großen Stil einfache Lösungen vorgaukeln. Lageberichte des Auswärtigen Amtes sind Situationsbeschreibungen des jeweiligen Landes und fließen in Asylentscheidungen der Behörden und vor Gericht ein, also ob ein Asylantrag angenommen oder abgelehnt wird. Die Frage der Vollstreckung einer realen Abschiebung ist weit komplizierter als ein schriftlicher Bericht. Und wir müssen bei aller Notwendigkeit der Härte die Frage nicht aus den Augen verlieren, wie wir verhindern können, dass sich Menschen nicht wie im Falle des Täters von Mannheim radikalisieren.

Geht nicht beides?

Es muss sogar beides gehen. Aber man macht es sich zu einfach, wenn man sagt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Wir reden über jemanden, der mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen ist, der sich nach dem was wir bisher wissen offenbar jahrelang unauffällig verhalten und womöglich kurzfristig radikalisiert hat. Wir wissen noch nicht sicher, ob er ein Einzeltäter, ein sogenannter "lone wolf" war, die immer am schwersten zu identifizieren sind, oder ob es ein Unterstützer-Netzwerk gibt. Die Frage nach Abschiebungen entbindet uns jedenfalls nicht von der Verpflichtung, die Radikalisierungsstrukturen bei uns zu zerschlagen.

Was genau muss also getan werden?

Viel, auf allen Ebenen. Als erstes braucht es Repression durch die Sicherheitsbehörden. Die müssen reibungsfrei arbeiten – von der Polizei bis zur Justiz, natürlich auch europäisch. Da braucht es ausreichend Personal. Und auch auf nachrichtendienstlicher Ebene einen systematischen Austausch innerhalb der Europäischen Union, den gibt es bisher nicht konsequent genug. Wir fordern deshalb die Einrichtung einer europäischen Nachrichtendienstagentur, die genau das koordiniert.

Und das zweite? 

Wir müssen als Gesellschaft genauer hinschauen. Wir müssen es radikalen Strukturen deutlich mehr erschweren, junge Menschen an sich zu binden.

Wie meinen Sie das?

Viele junge Menschen sind auf der Suche nach Identität, wollen ihre Religion ausleben, haben aber bislang oft wenig Alternativen zur Hinterhof-Moschee, wo ihnen manchmal finstere Leute finstere Dinge beibringen, wo radikales Gedankengut sich leicht vermehren kann. Genau da müssen wir ansetzen. 

Was ist daran neu?

Natürlich ist das nicht neu. Aber passiert es denn hinreichend? Es gibt noch immer kein flächendeckendes Angebot für Islamunterricht in deutscher Sprache auf der Grundlage des Grundgesetzes. Diese Aufgabe hat sich die Islamkonferenz gestellt, die es seit 2006 gibt. Dass bei sowas nichts passiert, ist ein Armutszeugnis für uns alle. Wenn Teheran Propagandamaterialien für Koran-Klassen finanziert, ist das ein Problem. Man stelle sich vor, die AfD wäre verantwortlich für den Geschichtsunterricht von 1933 bis 1945.

Warum gibt es noch immer keinen deutschen Islamunterricht? Weil Bildung Ländersache ist?

Die Islamkonferenz, die Bund, Länder und Kommunen umfasst, sollte eine Scharnierfunktion haben. Leider müssen wir feststellen: Die Islamkonferenz ist ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden. Es gibt einige wenige Pilotprojekte, etwa in Nordrhein-Westfalen oder in Hessen, das finde ich für 18 Jahre Arbeit etwas wenig.

Immer wieder Streit gibt es auch um das Islamische Zentrum in Hamburg. Warum wird das nicht geschlossen? 

Dieses Zentrum ist das islamistische Spionagenest des iranischen Regimes. Es muss geschlossen werden. Die Behörden haben meines Wissens nach ihre Arbeit gemacht. Zu allen anderen Fragen wenden Sie sich bitte an die Bundesinnenministerin. 

Hat die Ampel bislang einen Bogen um das Thema Islamismus gemacht? 

Nein. Meine Fraktion hat erst kürzlich eine Anhörung zu dem Thema gemacht. Ich selbst habe mich jahrelang mit dem Thema beschäftigt. Wir sehen, dass es brodelt, dass die Szene seit dem Beginn des Gaza-Krieges rasant wächst. Islamisten nutzen den Konflikt, um Leuten, die von dem Leid der Menschen entsetzt sind, für sich zu gewinnen.

Ihr Parteifreund, Baden-Württembergs grüner Finanzminister Danyal Bayaz, schrieb auf X: Es sei "höchste Zeit für ehrliche Debatte über die Gefahren von Islamismus". 

Das ist so. Er hat auch gesagt: Mit Scheuklappen kommt man nicht zu Lösungen. Dazu gehört, sich einzugestehen, dass es beides braucht: gute Präventions- und Deradikalisierungsarbeit und die Härte des Gesetzes.

Wer trägt denn die Scheuklappen? Man könnte meinen, Bayaz habe das auch an seine eigene Partei gerichtet. 

So habe ich das nicht verstanden, sondern als einen Appell an uns alle. Wir müssen aufhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen, und die Aufgaben angehen. Das heißt eben auch: Es sich nicht zu leicht machen. Politiker sollten sich nicht auf möglichst harten Forderungen ausruhen, sondern Lösungen finden. Ich wünsche mir von allen ein wenig mehr Mut zur Komplexität.   

Viele Täter radikalisieren sich online. Das könnte auch bei dem Täter von Mannheim eine Rolle gespielt haben. Lässt sich das verhindern?

Die Plattformen tragen eine Verantwortung. Mit dem europäischen Digital Services Act gibt es nun ein Instrument, diese Verantwortung auch einzufordern. Die Konzerne müssen die Verbreitung von Hetze und Fake News deutlich schneller und konsequenter stoppen. Aber es reicht nicht, alles auf die Plattformen zu schieben. Radikale Inhalte verfangen bei den Leuten besonders gut, wenn ihr Grundvertrauen schon erschüttert ist. Das zu erhalten oder auch wiederzugewinnen ist Aufgabe für uns alle.

Könnte das Demokratiefördergesetz helfen?

Das wäre sicher hilfreich. Es soll regeln, wie wir die Organisationen besser finanziell ausstatten, die gegen jegliche Art von Extremismus vorgehen. Zum Beispiel Vereine, die Programme auflegen, um Islamisten beim Ausstieg zu unterstützen – auch online. Die jungen Leute an den Schulen werden nicht in erster Linie von den Sicherheitsorganen erreicht, sondern von der richtigen Ansprache in den sozialen Medien. 

Nur liegt das blockiert im Bundestag. Manche gehen davon aus, dass es diese Legislatur nicht mehr kommt. Die FDP sperrt sich.

Es gibt noch ein paar Details zu klären innerhalb der Koalition. Aber es ist ein gutes und richtiges Gesetz. Und sicher ein signifikanter Beitrag dazu, dass wir vorankommen bei der Bekämpfung von jeder Art von Extremismus – eben auch Islamismus.