Islamischer Religionsunterricht

Islamunterricht an öffentlichen Schulen in Deutschland

Immer wieder wird der Bedarf nach flächendeckendem Islamunterricht in Deutschland geäußert. Doch wird der Bedarf in den Bundesländern unterschiedlich gedeckt. Wie sieht die aktuelle Lage aus? Ein Überblick.

                                                                    jhzrde.png

                                                                 Symbolbild: Islam und Muslime

In Deutschland leben vier Millionen Muslime, 700 000 muslimische Schüler besuchen deutsche Schulen. Die Nachfrage nach einem Islamunterricht ist groß. Einige Bundesländer haben „Islamische Religion“ oder „Islamischen Religionsunterricht“ als Schulfach eingeführt, in anderen laufen Modellprojekte. In einigen Bundesländern wird noch kein Islamunterricht angeboten.

Rechtliche Grundlagen

Der Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen ist seit 1949 als einziges Schulfach im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Er soll dazu beitragen, die verfassungsmäßigen Grundrechte der Eltern und Schüler auch im Rahmen der Schule zu ermöglichen.

Gemäß Art. 7 Abs. 3 GG steht der Religionsunterricht unter staatlicher Schulaufsicht, in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften und in Übereineinstimmung mit der jeweiligen Lehre und den Grundsätzen.

Aktuell bieten sechs Universitäten islamische Theologie, islamische Studien auf Lehramt oder Zusatzqualifikationen für Lehrer an. An vier pädagogische Hochschulen können ausgebildete Lehrer oder Absolventen anderer Studiengänge islamische Theologie/Religionspädagogik als Erweiterungsfach studieren. Für den Unterricht an Schulen benötigen Religionslehrer darüber hinaus eine Lehrerlaubnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft.

Islamunterricht in der Schule

Um den Religionsunterricht als ordentliches Schulfach anzubieten, sitzen in einigen Ländern staatliche Experten und Vertreter von islamischen Religionsgemeinschaften in Beiräten zusammen. Diese genehmigen Lehrpläne und Lehrmaterialien.

In der föderalen staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bildet das Grundgesetz den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Ausgestaltung der Politik in den Bundesländern und Kommunen. Die Bildungspolitik liegt im Kompetenzbereich der Bundesländer, von denen neun Islamunterricht mit verschiedenen Modellen anbieten – von bekenntnisorientiert bis islamkundlich. Mehr als 54.000 Schüler werden in 880 Schulen unterrichtet.

NRW führt Islamunterricht mit neuem Modellprojekt weiter

Nordrhein-Westfalen führte den Islamunterricht 1999 zunächst als islamkundlichen Unterricht und später als islamische Unterweisung in Form eines muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts (in hauptsächlich türkischer Sprache) ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften ein. Im Jahr 2012 führte NRW dann erst an Grundschulen, später auch an weiterführenden Schulen einen ordentlichen Islamunterricht in Begleitung eines Beirats ein. Nach Angaben des Düsseldorfer Schulministeriums wurden im Schuljahr 2017/18 an 234 Schulen in Nordrhein-Westfalen 19.400 Schüler im Fach islamische Religion unterrichtet.

Im Sommer 2019 ist das Modellprojekt ausgelaufen. Einer wissenschaftlichen Evaluation zufolge habe der Islamunterricht die Zielsetzung der Landesregierung bisher sehr gut erfüllt und eine hohe Zustimmung erhalten. Nichtsdestotrotz will die Landesregierung den Islamunterricht neu organisieren. Bisher hatte ein achtköpfiger Beirat über Inhalte und Lehrerlaubnisse für den Islamunterricht an den NRW-Schulen entschieden. Vier Vertreter entsandten die islamischen Religionsgemeinschaften, vier weitere die Landesregierung. Dieser Beirat wird nach dem neuen Gesetz durch eine zahlenmäßig nicht begrenzte Kommission ersetzt. In dem neuen Gremium sollen auch muslimische Organisationen und Vereine über den Kreis der vier islamischen Religionsgemeinschaft hinaus mitarbeiten.

Baden-Württemberg: Stiftung als Träger des Islamunterrichts

In Baden-Württemberg wird seit 2005 islamischer Religionsunterricht im Rahmen eines Modellprojekts erteilt. Dieser wurde 2014 um vier Jahre verlängert und auf Realschulen und Gymnasien erweitert.

Das Kultusministerium legitimierte die Verlängerung des Modells mit fehlenden islamischen Ansprechpartnern in Form einer Religionsgemeinschaft und nahm eine Elterngemeinschaft als Träger des islamischen Religionsunterrichts, mit einer teilweisen Kooperation mit der örtlichen Moscheegemeinde. Unterrichtet werden so 6.100 Schüler in 93 Schulen, von der Grundschule bis zum Gymnasium.

Das auslaufende Modell will die Landesregierung zum Schuljahr 2019/20 neu organisieren und gründete dafür eine Stiftung unter staatlicher Aufsicht. Der entsprechende Vertragsentwurf wurde innermuslimisch stark diskutiert und kritisiert. Nach wochenlangen Gesprächen haben sich zwei von vier islamischen Religionsgemeinschaften für die Beteiligung an dieser Stiftung ausgesprochen.

Während die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und die Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) eine Teilnahme abgelehnt haben, haben der Landesverband der Islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg (LVIKZ) und die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland  (IGBD) erklärt, bei der Stiftung mitmachen zu wollen.

Muslime kritisierten Stiftungsmodell in Baden-Württemberg

DITIB und IGBW halten dem Land vor, eine staatliche Einrichtung zu schaffen, um Religionsunterricht zu erteilen. Das sei verfassungswidrig. „Dieses Modell hebelt die Neutralitätspflicht des Staates aus und greift massiv in die Religionsfreiheit und in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ein.“

Der baden-württembergische Landesvorsitzende der LVIKZ, Yavuz Kazanç, widerspricht den beiden Religionsgemeinschaften. Er wisse, „dass das Stiftungsmodell nicht unbedingt verfassungskonform sei“, weil der Staat in das Selbstbestimmungsrecht der islamischen Religionsgemeinschaft eingreift. Doch gebe es „zurzeit keine andere Möglichkeit (…), dass der Religionsunterricht weitergeführt wird“, erklärt Kazanç gegenüber IslamiQ.

Hessen: Islamunterricht unter staatlicher Verantwortung

Der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht wurde in Hessen zum Schuljahr 2013/2014 mit DITIB als Partner eingeführt. Seit dem aktuellen Schuljahr hat das Land Hessen den Islamunterricht neuaufgestellt. Aktuell wird der bisherige bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht nur noch für Schüler bis zur Jahrgangsstufe sechs angeboten. Die Schüler der Jahrgangsstufe sieben können das neue Fach „Islamunterricht“ in alleiniger staatlicher Verantwortung besuchen. Hintergrund für die Einführung ist die ungeklärte Zusammenarbeit mit DITIB beim islamischen Religionsunterricht.

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) ist mit einem Eilantrag gegen den neuen Islamunterricht an Hessens Schulen gescheitert. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wies den Antrag zurück, weil die Rechte des Antragstellers durch den Unterricht nicht verletzt würden. Der ZMD hatte argumentiert, das Land Hessen verstoße mit dem Unterricht gegen die Verfassung, weil dieser ohne Beteiligung von islamischen Religionsgemeinschaften angeboten werde.

Sollte die Kooperation mit der DITIB enden, will das Land ein Angebot in alleiniger staatlicher Verantwortung starten.

Niedersachsen: Ministerium umgeht Beirat

Niedersachsen hat den Islamunterricht seit 2013 in den Klassen 1 bis 5 nach einem vorangegangenen Modellversuch auf 62 Schulen ausgeweitet. Anfang dieses Jahres hat das niedersächsische Kultusministerium den Lehrplan für den IRU gegen den Willen des Beirats geändert. Demnach hatte der Beirat einen überarbeiteten Lehrplan bereits im April 2017 abgelehnt, „aufgrund von Bedenken gegen einzelne Formulierungen, darunter auch wegen des Hinweises auf die Berücksichtigung sexueller Vielfalt“, wie das Kultusministerium auf Anfrage von IslamiQ mitteilt. Die Kritikpunkte stehen aus Sicht des Landes Niedersachsen nicht zur Disposition.

Das Ministerium habe geprüft, ob es sich bei den kritisierten Punkten überhaupt um theologische Grundsatzfragen handelt und ob somit der Beirat überhaupt gefragt werden muss. Ergebnis: Der Beirat sei nicht dafür zuständig, da es sich bei der Frage der Thematisierung von sexueller Vielfalt im islamischen Religionsunterricht nicht um eine „theologische Fragestellung“ handele. Der Vorsitzende der Schura Niedersachsen, Recep Bilgen, zeige sich überrascht über die Entscheidung des Kulturministeriums. „Anstatt konstruktiv an einer Lösung zu arbeiten und die Position des Beirats verstehen zu wollen, wurde darauf bestanden, dass dem Curriculum in der aktuellen Version zugestimmt wird, ohne auf die Einwände des Beirats einzugehen“, erklärt Bilgen.

Hamburg führt interreligiösen Religionsunterricht ein

Als einzige Bundesländer haben Bremen und Hamburg einen Religionsunterricht für alle eingeführt. Im Dezember 2019 gab Bildungssenator Ties Rabe (SPD) bekannt, dass Hamburg als erstes Bundesland einen Religionsunterricht in interreligiöser Trägerschaft einführen möchte. Seine Inhalte werden künftig gleichberechtigt von der evangelischen Kirche, der jüdischen Gemeinde, drei islamischen Religionsgemeinschaften und der alevitischen Gemeinde verantwortet. Alle Beteiligten dürften eigene Religionslehrer entsenden.

Das neue interreligiöse Modell erprobte sich nach Angaben der Schulbehörde fünf Jahre lang an mehreren Pilotschulen. Ein Gutachten bestätige die Rechtmäßigkeit des eingeschlagenen Wegs. Der stellvertretende Leiter der IGMG Bildungsabteilung, Dr. Hakan Aydın, sieht den neuen Unterricht kritisch. „Wenn der Unterricht neben einer reinen Wissensvermittlung zusätzlich auch Glaubensgrundlagen stärken möchte, ist ein gemeinsamer Unterricht nicht die effektivste Methode“, so Aydın gegenüber IslamiQ. Ein solcher Unterricht würde die Schüler überfordern. Diese sollten sich erst und schwerpunktmäßig mit ihrer eigenen Religion befassen. „Das ist das eigentliche Ziel des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts.“

IRU in Berlin und Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz erreicht mit seinem Modellversuch an 19 Grundschulen sowie an sieben weiterführenden Schulen im Schuljahr 2017/2018 etwa 1800 Schüler. Hier kooperieren u. a. regionale christlich-islamische Verbände, muslimische Vereine und Elternvereine.

In Berlin existiert seit 2001 islamischer Religionsunterricht. Er wird von der Islamischen Föderation Berlin (IFB) in eigener Verantwortung für ca. 5.000 Schüler übernommen.

Bayern: „Islamunterricht“ ohne religionsgemeinschaftliche Beteiligung

Bayern geht einen Weg ohne jegliche religionsgemeinschaftliche Beteiligung. Das Bildungsministerium erarbeitet mit der Universität Erlangen-Nürnberg unter Einbindung der Eltern einen „Islamunterricht“ als „staatlich kontrollierte Aufklärung über Islam“ mit dem Anspruch, „authentisches Wissen über Glaubensinhalte“ auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Bayrischen Verfassung zu vermitteln. 14.000 Schüler an 357 Grundschulen werden hier unterrichtet.

Verhältnis zwischen Staat und Muslimen beeinflusst Islamunterricht

Die Kooperation zwischen dem Staat und den muslimischen Gemeinschaften und somit auch die Implementierung des IRU ist in den Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet. Während einzelne Bundesländer Wege zur Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften gefunden haben, bieten andere einen sogenannten Religionsunterricht unter Ausschluss islamischer Religionsgemeinschaften an, und widersprechen damit den grundgesetzlichen Vorgaben