Bundespräsidenten sein“

Artikel von Nikolaus Dol

 

Die Terrorattacken auf Israel und Reaktionen von Muslimen in Deutschland ziehen Forderungen nach einem Kurswechsel im Umgang mit islamischen Organisationen nach sich. Ein „,Ja, aber’“ dürfe es jetzt nicht geben, heißt es parteiübergreifend. Besonders im Fokus: der Zentralrat der Muslime.

 

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. Institutionen der muslimischen Gemeinden stehen in der Kritik picture alliance/SZ Photo/Metodi Popow

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. Institutionen der muslimischen Gemeinden stehen in der Kritik picture alliance/SZ Photo/Metodi Popow © Bereitgestellt von WELT

 

Islamische Organisationen in Deutschland haben zur Besonnenheit aufgerufen, nachdem die Hamas Muslime auf der ganzen Welt dazu aufgefordert hatte, Israel zu attackieren und den Freitag dieser Woche in einen „Tag des Zorns“ zu verwandeln. Überall, auch in Deutschland. Die Türkische Gemeinde in Deutschland etwa, der Koordinationsrat der Muslime oder der Rat der Berliner Imame sprachen sich klar gegen den Terror der Hamas aus. Dennoch stehen Institutionen der muslimischen Gemeinden in der Kritik.

Denn längst nicht alle distanzieren sich eindeutig und ohne jede Einschränkung von der Hamas und den Gräueltaten der Terrororganisation – darunter zum Beispiel der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD).

„Zu lange wurden auch Islamverbände hofiert und unterstützt, die fragwürdige Mitglieder haben, teilweise aus dem Ausland beeinflusst werden oder radikale Ansichten vertreten“, sagte Jens Spahn, Vizevorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, WELT AM SONNTAG. „Wenn das Existenzrecht Israels deutsche Staatsräson ist“, sagte Spahn, „kann ein Verband wie der Zentralrat der Muslime nicht weiter Ehrengast des Bundespräsidenten oder der Bundesregierung sein, zumal er eine Mini-Minderheit der Muslime in Deutschland vertritt.“ Spahn fordert: „Wer den Antisemitismus-Test nicht besteht, darf kein Gesprächspartner sein.“

Der Zentralrat der Muslime hatte am vergangenen Sonntag, dem Tag nach den ersten Attacken der Hamas, zwar erklärt, man verurteile diese Angriffe und rufe dazu auf, die Gewalt sofort zu beenden. Der Rat fordert aber auch, „alle Seiten“ müssten „jetzt die Kampfhandlungen sofort einstellen“. Zugleich teilte er mit, es sei zutiefst verstörend, „dass Siedler flankiert durch die israelische Armee seit zwei Jahren palästinensische Dörfer und die Al-Aksa-Moschee angreifen, ohne dass die internationale Gemeinschaft eingreift“.

SPD: „Ohne Wenn und Aber“ für Israel

Diese Täter-Opfer-Umkehr ruft scharfe Kritik hervor. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese erklärte zu den Aussagen des ZMD: „Eine Relativierung der brutalen Barbarei der Hamas-Terroristen an unschuldigen Opfern in Israel ist vollkommen inakzeptabel. Ein ,Ja, aber’ darf es angesichts der zutiefst unmenschlichen und widerwärtigen Geschehnisse nicht geben“, sagte Wiese. „Wir stehen an der Seite unserer israelischen Freunde – ohne Wenn und Aber.“ Auch Abgeordnete der Grünen und der FDP reagierten empört.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Parlament, die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, spannt den Bogen über den Zentralrat der Muslime hinaus: Die vier großen Islamverbände hätten Einfluss auf einen großen Teil von organisierten Muslimen in Deutschland, davon machten sie zu wenig Gebrauch. „Ich appelliere an sie, auch als gläubige Muslima, sowie an Moscheegemeinden eine eindeutige Abgrenzung von Gewalt und Terror, egal gegen wen“, so Kaddor. „Es muss eine klarere Haltung dazu geben und die ,Ja-Aber-Rhetorik’ zum Ende kommen“ – eine klare Haltung fehle in manchen Gemeinden.

Die Frage ist, wie darauf reagiert werden sollte, dass ein Verband wie der ZMD die

die Gräuel der Hamas mit Israelkritik kommentiert und es in Berlin-Neukölln und anderen Orten Deutschlands Pro-Hamas-Veranstaltungen als Reaktion auf die Massaker in Israel gegeben hat.

Der Zentralrat der Muslime disqualifiziere sich mit seiner „erschreckenden Haltung“ selbst, sagt die religionspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sandra Bubendorfer-Licht. „Das Problem geht aber darüber hinaus. Die Reaktionen der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs und Ditib sind in Teilen ebenso verstörend“, erklärt die Abgeordnete. „Daher ist es umso wichtiger, dass wir in einer Sondersitzung der Deutschen Islamkonferenz, zu der Bundesministerin Faeser jetzt einladen muss, diese nicht hinnehmbare Haltung klar und deutlich ansprechen.“ Nötig sei, den enormen Einfluss ausländischer Regierungen auf Moscheegemeinden und Verbände zu verringern.

CDU: „Liberale Muslime“ brauchen „endlich“ mehr Unterstützung

Unions-Fraktionsvize Spahn kommt zu dem Ergebnis, dass hierzulande mit scheinbar weniger radikalen Verbänden zusammengearbeitet wurde in der Hoffnung, damit die ganz radikalen zu bekämpfen. „Doch das ist ein Trugschluss. Stattdessen müssen endlich liberale Muslime und ihre Verbände die Unterstützung erfahren, die sie verdienen“,

fordert der CDU-Politiker. Die Liberale Bubendorfer-Licht spricht von lange dominierender „fehlverstandener Toleranz gegenüber Intoleranz“. Sie fordert: „Wir müssen daher dringend die Strukturen des liberalen Islam unterstützen und stärken.“

Die Grünen-Politikerin Kaddor hält es hingegen für falsch, nicht mehr mit den Islamverbänden im Gespräch zu bleiben, einschließlich des Zentralrats der Muslime. „Im Gegenteil, wir sollten den Kreis der Ansprechpartner vergrößern und die allesamt in die Pflicht nehmen, auf einen Islam hinzuwirken, der die Muslime mit diesem Land und seinen Werten verbindet. Das geht nicht mit Schweigen“, sagt sie. Klar sei aber auch, so Kaddor: „Es gibt einen Bodensatz an Menschen mit rechtem Gedankengut in Deutschland. Und wir müssen uns damit abfinden, dass es den auch bei Menschen mit islamistischer Orientierung gibt, die wir nicht mehr erreichen können.“ Der Zentralrat der Muslime äußerte sich auf Anfrage nicht.