Große Nachfrage: Gibt es bald zwei muslimische Kitas in Kassel?
Artikel von Bastian Ludwig
Große Nachfrage: Gibt es bald zwei muslimische Kitas in Kassel?
Vor gut zwei Jahren ist die erste muslimische Kita in Kassel gestartet. Nun gibt es Pläne für einen weiteren Standort.
Kassel - Bevor im März 2021 die erste und bisher einzige muslimische Kita in Kassel eröffnet wurde, gab es eine kontroverse politische Debatte. Insbesondere in den Fraktionen von CDU und AfD gab es massive Vorbehalte. Mehr als zwei Jahre später ist die Diskussion verstummt. Wir waren vor Ort, um uns ein Bild vom Alltag in der Kita an der Hegelsbergstraße in Nord-Holland zu machen.
Wer die Kita „Sonnenschein“ betritt, wird auf den ersten Blick kaum einen Unterschied zu anderen städtischen, privaten oder konfessionellen Kindertagesstätten erkennen. In Lindgrün gestalteten, hellen Räumen präsentiert sich dem Besucher eine moderne Kindertagesstätte mit Gruppenraum, Kreativ-Atelier, Küche, Bad, Toilette und Büro. An den Wänden hängen Geburtstagskalender und Aufgabenpläne, es gibt eine Hochebene zum Spielen und die Fenster sind mit Blumen bemalt. Nichts erinnert daran, dass die Kindertagesstätte einst ein schmuckloser Gewerbebau war.
In dem kleinen Büro sitzen die Kita-Leiterin Melissa Rico und Fatih Erden, der Vorsitzende des Fördervereins Mebi, der Träger der Kita ist. Erden erinnert sich noch gut daran, wie kräftezehrend es gewesen sei, die erste muslimische Kita in Kassel zu realisieren. Er habe gegen viele Vorurteile und Vorwürfe arbeiten müssen. Auch kurz nach der Eröffnung erlebten die Erzieherinnen eine verbale Anfeindung, als sie mit den Kindern einen Ausflug machten. „Bauarbeiter riefen uns zu: Guckt mal, da kommen die künftigen Terroristen“, erzählt die Kita-Leiterin.
Muslimische Kita in Kassel: Viele positive Erfahrungen m
Dieses Erlebnis habe extrem belastet. Alle hätten Angst gehabt. Bei dem einen Vorfall blieb es zum Glück und es folgten viele positive Erfahrungen mit der Nachbarschaft, die jedes Jahr zum Sommerfest eingeladen wird. Heute sei die Kita mit „normalen Kita-Problemen“ konfrontiert – allem voran dem Personalmangel, so Erden. Aufgrund von Schwangerschaften und Jobwechseln sei die Rekrutierung von Fachpersonal ein Dauerthema. Bei der der Notbetreuung kooperiert die Kita mit der Kita Amalie in Wolfsanger.
Dabei könnte der Verein noch viel mehr Personal gebrauchen. Denn die 25 Plätze der Kita sind ausgebucht. Es gebe eine Warteliste mit 200 Familien, erzählt Kita-Leiterin Rico. Die meisten Familien seien muslimischen Glaubens, es seien aber immer wieder auch Kinder anderer Konfessionen vertreten. „Wir haben nun mal diese besondere Ausrichtung, sind aber für alle Kinder da. Wir stehen für interessierte Eltern offen. Jeder kann sich ein Bild machen“, sagt Rico, die gemeinsam mit vier weiteren deutschen Kolleginnen die Kinder betreut. Für das Personal gilt keine Kopftuchpflicht. „Wir hatten schon Kolleginnen mit und ohne Kopftuch. Bei uns zählt nur die Qualifikation“, sagt Erden.
Die Kinder der Kita stammen aus ganz unterschiedlichen Regionen der Welt. Sie kommen neben Deutschland aus Syrien, Spanien, Somalia, Türkei, Afghanistan, Marokko und vielen weiteren Ländern. Deshalb wird das Guten-Morgen-Lied im Morgenkreis nicht nur in deutscher Sprache, sondern immer auch in einer anderen Sprache gesungen.
Elternverein möchte einen zweiten Standort in Kassel eröffnen
Um die große Nachfrage zu decken, möchte der Elternverein einen zweiten Standort in Kassel eröffnen. Dafür ist er auf der Suche nach einer Immobilie mit etwa 600 Quadratmetern und einem großzügigen Außengelände.
An Letzterem fehlt es an der Hegelsbergstraße. „Aber wir unternehmen viele Ausflüge“, erzählt Rico. Diese führten zu Spielplätzen, ins Museum, zum Imker oder zum Einkaufen für das gemeinsame Frühstück. Jüngst hat man gemeinsam Erdbeermarmelade gekocht, wovon eine Menge Fotos zeugen.
Aber wo liegen die Besonderheiten der muslimischen Kita? Das Mittagessen wird von einem Caterer geliefert. Es gibt vegetarische Küche, die den Halal-Kritierien entspricht. „Natürlich feiern wir die muslimischen Feste. Aber wir thematisieren auch christliche Feiern wie Weihnachten oder den Martinstag. Ich stamme aus Spanien und bin mit diesen Traditionen aufgewachsen“, sagt die Kita-Leiterin. Es sei wichtig, die Kinder auf die Grundschule vorzubereiten. Grundlage ihrer Arbeit sei der hessische Bildungs- und Erziehungsplan. Darüber hinaus bringe jede Erzieherin eigene Schwerpunkte ein. So sei das Atelier nach Montessori-Konzept eingerichtet worden.
Vergangene Woche wurden die Vorschüler mit Zuckertüten verabschiedet. Der deutsche Brauch wird auch in der muslimischen Kita gepflegt. „Es ist mir wichtig, dass die Kinder sehen, dass verschiedene Kulturen in einer Gesellschaft zusammenleben. Wir müssen uns kennenlernen, um Ängste und Vorurteile abzubauen“, sagt Rico. (Bastian Ludwig)