Gespaltenes Frankreich: Michel Houellebecq und Michel Onfray attackieren den Islam
Das Gespräch zwischen Schriftsteller und Philosoph hat nun auch ein juristisches Nachspiel.
Die Quittung kam zum Jahresende. Während der 45-seitige Dialog, den der Schriftsteller Michel Houellebecq und der Philosoph Michel Onfray Ende November in der dritten Sondernummer der Zeitschrift „Front Populaire“ mit der Titelfrage „Fin de l’Occident?“ (Das Ende des Abendlandes?) veröffentlichten, in den Medien über Wochen dankbar zerpflückt wurde, griff Chems-Edinne Hafiz, der Rektor der Großen Moschee von Paris, zu härteren Mitteln. Er reichte bei der Staatsanwaltschaft Klage gegen Houellebecq wegen „Aufstachelung zum Hass gegen Muslime“ ein.
Das Destillat eines sechsstündigen Gesprächs streift mit mal mehr, mal weniger satirischer Schärfe viele Themen. Neben dem von Renaud Camus populär gemachten Verschwörungstheorem vom antiokzidentalen „Großen Austausch“ der Bevölkerung enthält es wüste Visionen von einer nationalen Rebellion: „Wenn ganze Territorien unter islamistischer Kontrolle sein werden, denke ich, dass es Widerstandsakte geben wird. Es wird Attentate und Schießereien in Moscheen geben, in von Muslimen besuchten Cafés, kurz: umgekehrte Bataclans.“ Kein Wunder, dass Houellebecq auch Sympathien für Putins antiliberales Russland bekundet.
Pünktlich zu Beginn des neuen Jahres setzte sich Onfray, der „Front Populaire“ 2020 gründete, in einem Interview mit Alexandre Devecchio für das Online-Debattenportal „FigaroVox“ zur Wehr. Er sieht die inkriminierten Zitate verkürzt wiedergegeben, Verallgemeinerungen um der Zuspitzung willen gerechtfertigt und eine Meinungsfreiheit bedroht, die von Gerichten nicht in inquisitorische Zeiten zurückgeführt werden dürfe.
Weder Onfrays noch Houellebecqs Position sind neu. Sie stehen für Onfrays Entwicklung vom linkslibertären Nietzscheaner, der einst die staatsunabhängige Université populaire de Caen aufbaute, zum rechtsnationalen Unterstützer eines souveränen Frankreich - und für Houellebecqs ewige Provokationslust.
Vom Proto-Katholiken, der Anfang der 1990er Jahre in einer Wohngemeinschaft mit dem späteren christlich-fundamentalistischen Philosophen Fabrice Hadjadj die Zeitschrift „Magnificat“ abonniert hatte, wandelte er sich über den Konsumkritiker und Linkenfresser bis zum Trump-Apologeten.
Dabei spielt wohl auch ein Stück Ringen mit der eigenen Lüsternheit eine Rolle: Selbsthass eines Hedonisten, der mit dem Asketentum kokettiert. Houellebecqs Romane, allen voran „Unterwerfung“, wissen davon weitaus ambivalenter zu erzählen, als seine Äußerungen als öffentlicher Intellektueller es tun.
Hetze mit Strafe
Schillernd wird die Affäre im spezifisch französischen Kontext. Hafiz, ein angesehener frankoalgerischer Anwalt mit zahlreichen Ämtern im Dienst eines liberalen Islam, sieht seine Klage durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. Dezember beflügelt.
Éric Zemmour, der gescheiterte Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen „Reconquête“, muss für seine Hetze gegen „Invasoren“ und „Dschihadisten“ eine Geldstrafe zahlen. Hafiz, der sich soeben noch einmal in „La Croix“ erklärte, hat allerdings schon einen Prozess gegen Houellebecq verloren, der den Islam einmal als „dümmste aller Religionen“ bezeichnete. Auch gegen Mohammed-Karikaturen des Satireblatts „Charlie Hebdo“ kam er nicht durch.
Zugleich lebt unter Franzosen die Erinnerung an zahlreiche islamistische Attentate fort. Die Erstürmung der „Charlie Hebdo“-Redaktion und das Bataclan-Blutbad 2015 haben sich ebenso eingebrannt wie die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty auf offener Straße 2020. Zudem ist das Land von der hitzigen Debatte über den „Islamo-Gauchisme“, das angebliche oder tatsächliche Bündnis von extremer Linker und Islamismus, tief gespalten.
Wo die einen nichts als Islamophobie sehen, herrscht für die anderen blinde Nachsicht gegenüber einer finsteren Parallelgesellschaft. Die Publizistin Anne-Sophie Chazaud sieht in Hafiz‘ Klage jedenfalls schon eine neue Welle der Gewalt angelegt.