Geld für Antisemitismus-Bekämpfung: Eifersüchteleien bei Schwarz-Rot in Berlin

                                                                          Geschichte von Elmar Schütze
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                                                 Berlin: Teilnehmer eines propalästinensischen Autokorsos am 2. August. © Fabian Sommer/dpa

 

Der Krieg in Nahost spiegelt sich unverändert auf den Straßen, an den Universitäten, in Kultureinrichtungen und Schulen Berlins wider. Vor diesem Hintergrund hat das Abgeordnetenhaus dem Senat einen zweistelligen Millionenbetrag für Prävention beziehungsweise die Bekämpfung von Antisemitismus bewilligt. Doch bisher ist nur ein Bruchteil davon ausgegeben worden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Unterdessen wird weiter demonstriert.

Am Freitag hatten sich einige Hundert Menschen im Berliner Westen zu einer antiisraelischen Demonstration versammelt. Viele schwenkten Palästina-Flaggen. Nach ersten Angaben der Polizei waren kurz nach dem Start am Wittenbergplatz rund 400 Teilnehmer zusammengekommen, rund 180 Fahrzeuge bildeten den Korso. Bei einer Pro-Israel-Demonstration, die in der Nähe ablief, waren nach ersten Polizeiangaben etwa 30 Menschen versammelt.

Am Sonnabend zog eine Demonstration unter dem Motto „Solidarität mit Palästina. Stoppt den Krieg. Keine Waffen für Israel“ durch Steglitz und Schöneberg. Über Zwischenfälle wurde nichts bekannt. Rund um einen ähnlichen Protestzug vor drei Wochen war es zu Auseinandersetzungen gekommen, bei denen nach Polizeiangaben sieben Demonstranten und 17 Polizisten verletzt wurden, 18 Menschen wurden vorläufig festgenommen.

Wie zugespitzt die Situation insbesondere seit dem Hamas-Überfall auf Israel im vergangenen Oktober auch in Berlin ist, dokumentiert unter anderem die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias). Nach Angaben von Projektleiterin Julia Kopp verzeichnet Rias seit Anfang des Jahres im Zusammenhang mit propalästinensischen Versammlungen Angriffe auf Polizisten, Journalisten und zivilgesellschaftliche Beobachter, „außerdem antisemitische Angriffe auf Gegendemonstranten in Form von Flaschenwürfen, Würfen von pyrotechnischen Gegenständen sowie einem Steinwurf“, wie Kopp auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilte.

Die Stimmung in Berlin bleibt also vergiftet und verhärtet. Um dies zu verändern, sieht Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz auch das nichtjüdische Berlin gefragt. „Seit Monaten geht ein dröhnendes Schweigen von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus“, kritisiert Steinitz. 

Dieses „dröhnende Schweigen“ treibt auch den SPD-Abgeordneten Alexander Freier-Winterwerb seit Monaten um, wie er im Gespräch mit der Berliner Zeitung sagt. Dabei sei die Situation dramatisch. So brächten jüdische Eltern ihre Kinder aus Furcht nicht mehr in öffentliche Kitas oder Schulen – und die Mehrheit nehme dies mehr oder weniger schweigend zur Kenntnis. 

Diese Analyse teilen viele in der Berliner Politik. Nicht zuletzt deswegen bewilligte das Abgeordnetenhaus noch im vergangenen Dezember der Landesregierung hohe Fördermittel: Für 2024 und 2025 gibt es pro Jahr zehn Millionen Euro für jüdische Einrichtungen, die damit besser geschützt, aber auch besser ausgestattet werden sollen, um zum Beispiel religionsübergreifende Projekte und Veranstaltungen anbieten zu können.

Weitere zehn Millionen Euro für diese beiden Jahre stehen für Projekte gegen Antisemitismus und zur Förderung des interreligiösen Dialogs sowie ähnliche Aktivitäten der politischen Aufklärung von Akteuren außerhalb der jüdischen Community bereit. Doch genau da hakt es. Das Geld für das laufende Jahr ist erst zu Teilen ausgegeben worden. Alexander Freier-Winterwerbs bitteres Fazit lautet: „Es passiert nichts außer Worten.“

Damit sich das ändert, arbeitet der Politiker an einem Antrag, den er im September ins Abgeordnetenhaus einbringen will. Insbesondere sollen Schulen dabei unterstützt werden, Einrichtungen der jüdischen Gemeinde und andere Orte jüdischen Lebens zu besuchen „und so das heutige jüdische Leben und dessen Ausprägungen in Berlin kennenzulernen“.  Auch politische Bildungsangebote und der Besuch außerschulischer Begegnungsprojekte wie etwa „Meet a Jew“ des Zentralrats der Juden gehörten auf die Tagesordnung von Berlins Schulen mit ihren teils sehr hohe Anteilen muslimischer Schüler, heißt es. Das Wissen übereinander und das Verständnis füreinander solle gestärkt werden.

Das, so möchte man meinen, sollte Konsens unter allen Fraktionen im Berliner Parlament sein. Und noch vieles mehr. Wofür braucht es also diesen Antrag?

Dazu muss man wissen, dass nach einem Senatsbeschluss die von Joe Chialo (CDU) geführte Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt zuständig ist für die Verteilung des Geldes. Und nicht etwa Freier-Winterwerbs sozialdemokratische Parteifreundin Cansel Kiziltepe und ihre Sozialverwaltung mit den Abteilungen Vielfalt und Antidiskriminierung. Soll heißen: Es gibt Reibereien und Eifersüchteleien innerhalb der schwarz-roten Koalition.

Im Gespräch mit der Berliner Zeitung räumt die Kulturverwaltung Startschwierigkeiten bei der Vergabe des Geldes ein. Man habe erst „Strukturen schaffen“ müssen, heißt es, das habe Zeit gekostet. Doch jetzt gehe es zügig voran.

So seien aktuell 2,033 Millionen Euro bewilligt, weitere 456.000 Euro angeordnet worden. Dabei geht es etwa um Freiwilligenagenturen der Bezirksämter, die ehrenamtliches Engagement unterstützen. Ein jüdisches Jugendzentrum werde ebenso unterstützt wie Angebote der Landeszentrale für politische Bildung, heißt es.

Gleichzeitig sei eine Ausschreibung gestartet, bei der sich Projekte um „mindestens zwei Millionen“ Euro aus einem „Aktionsfonds“ bewerben können. Das Geld könne „frühestens im Oktober“ ausgezahlt werden. Man wisse, dass das knapp sei, heißt es aus der Kulturverwaltung. Man sei aber „optimistisch, dass das Geld rechtzeitig und sinnvoll“ verteilt werde. „Wir werden da sämtliche mögliche Augen zudrücken“, sagt ein Sprecher. 

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