Rassistische Sprache in Kinderbüchern? Diese Werke wurden neu aufgelegt
Von Nadine Walter ( haz)
„Wir haben die Textänderungen in enger Abstimmung mit den Erben Astrid Lindgrens vorgenommen“, sagt eine Sprecherin von Oetinger und berichtet, dass die Autorin bereits 1971 in einem Interview mit der schwedischen Zeitung „Expressen“ gesagt habe, dass Pippis Vater heute wohl Kapitän oder Pirat geworden wäre. Eine Änderung gegen den Willen der Autorin oder ihrer eingesetzten Erben wäre nicht möglich gewesen. Er hätte gegen das Urheberrecht verstoßen.
Es geht um das Wort, das in heutigen Texten eigentlich nur noch als „N-Wort“ auftaucht, um Wörter wie „Zigeuner“ oder Szenen, in denen Frauen als „Weiber“ bezeichnet werden. Und nicht zuletzt geht es darum, wie Verlage mit diesen Wörtern in Kinderbüchern umgehen, die vor langer Zeit geschrieben worden sind. Die Debatte ist nicht neu, Aufschwung bekam sie eben 2009, als der Oetinger-Verlag die Sprache in den „Pippi Langstrumpf“-Büchern anpasste und den Südseekönig erfand.
Welche Wörter in Kinderbüchern sollten stehen bleiben, welche besser ausgetauscht werden? Für Verlage ist diese Frage oft schwierig zu beantworten.
© Quelle: Marijan Murat/dpa
„Kinder rezipieren anders“
„Kinder rezipieren Bücher anders als Erwachsene, die bei der Lektüre von Klassikern den historischen Kontext in der Regel erkennen können“, begründet der Verlag seine Entscheidung heute. Man habe zudem verhindern wollen, dass die Texte und die Intention der Autorin missverstanden würden.
2013 brandete die Debatte um Anpassungen der Sprache in Kinderbüchern noch einmal in Deutschland auf, als der Thienemann-Esslinger-Verlag das „N-Wort“ aus Ottfried Preußlers „Die kleine Hexe“ strich und mit ihm weitere Begriffe ersetzte. Die Gäste einer Faschingsfeier im Wald verwandelten sich von „Eskimofrauen“ zu „Indianerinnen“, von „Türken“ zu „Cowboys“ und von einem „Hottentottenhäuptling“ zum „Seeräuber“.
„Preußler hat Änderungen gewollt“
„Otfried Preußler hat diese Änderungen gewollt und sie auch vor seinem Tod autorisiert“, sagt Verlegerin Bärbel Dorweiler. Man bewege sich als Verlag in dieser Debatte immer zwischen zwei Polen: Zum einen könne man den Autor als Schöpfer ins Zentrum stellen und so wenig wie möglich am Werk verändern – in der Erwartung, dass die Leserschaft sich über die Sprache kundig mache. Bei Kinderbüchern würde dies dann bedeuten, dass den vorlesenden Erwachsenen die Rolle zukomme, das Gelesene für die Kinder einzuordnen und zu erklären, sagt die Verlegerin.
Zum anderen könne man auf die Leserinnen und Leser zentriert argumentieren – da sich die Bedeutung eines Textes erst durch diese aufbaut. „Dann sollte alles angepasst werden, was es dem Leser (in diesem Falle auch dem Vorleser oder dem Kind) schwer macht, sich den Text zu erschließen, auf dass die Rezeption ungebrochen fortgesetzt werden kann“, sagt Dorweiler. „Im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Leserorientierung können wir kaum beides gleichzeitig tun.“Beim Thienemann-Esslinger-Verlag entscheidet man daher – in Zusammenarbeit mit den Autoren oder ihren Erben – von Fall zu Fall. In „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von Michael Ende etwa wird das „N-Wort“ weiter verwendet. Als Jim Knopf als Baby in Lummerland ankommt, heißt es: „,Das dürfte vermutlich ein kleiner Neger sein’, bemerkte Herr Ärmel und machte ein sehr gescheites Gesicht.“
Jim Knopf ist eine Institution der deutschen Kinderliteratur. Hier stehen die Marionetten Herr Tur Tur (von links), Jim Knopf und Lukas mit der Lokomotive Emmaim Augsburger Puppentheatermuseum.
© Quelle: Stefan Puchner/dpa
„Ende thematisiert in diesem Kinderbuch das Anderssein und die Gefahr, deswegen ausgeschlossen zu werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Szene zu sehen“, sagt Dorweiler. Herr Ärmel fungiere in der Geschichte als Prototyp des (Spieß-)Bürgers, des „Untertanen“, der alles richtig machen will – und es doch so falsch macht. Das „N-Wort“ blieb also auch in der Ausgabe zum 55. Jubiläum des Buches im Jahr 2015 stehen. Was Autor Michael Ende dazu gesagt hätte, wird die Welt nie erfahren. Er starb bereits 1995 – lange bevor der Diskurs um Sprache und Rassismus in Kinderbüchern in Deutschland begann.
Im Englischen hat man sich zumindest bei „Pippi Langstrumpf“ die Debatte um das „N-Wort“ von vornherein gespart. Hier machte die Übersetzerin Edna Hurup Pippis Vater schon 1954 zum „cannibal king“, zum König der Kannibalen.
Von Nadine Wolter