Rassismus kein Randphänomen – Studie bestätigt weit verbreitete Vorurteile

 
 
 
"Studie zur Wahrnehmung von Rassismus" width
Eine Demo-Teilnehmerin hält ein Plakat mit der Aufschrift "Gegen jeden Rassismus und Anitsemitismus" in den Händen. Rund 45 Prozent der Menschen in Deutschland haben laut einer Studie schon einmal rassistische Vorfälle beobachtet. Foto: Peter Endig/dpa

Dass Rassismus in Deutschland existiert, bezweifelt nur eine kleine Minderheit. Darüber, wo Rassismus beginnt, gehen die Meinungen allerdings durchaus auseinander, wie der mit staatlicher Förderung neu etablierte Nationale Rassismusmonitor zeigt.

Rassistische Vorfälle sind in Deutschland kein Randphänomen. Rund 45 Prozent der Bevölkerung haben laut einer repräsentativen Umfrage schon einmal persönlich rassistische Vorfälle beobachtet. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung (etwa 22 Prozent) gibt an, bereits selbst von Rassismus betroffen gewesen zu sein.

Das geht aus der Auftaktstudie zu einem neuen Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor hervor, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde und in den nächsten Jahren fortgeschrieben werden soll. Unabhängig vom eigenen Erleben stimmen 90 Prozent der Menschen hierzulande der Aussage „Es gibt Rassismus in Deutschland“ zu.

Sechs Minderheiten im Blick

Die Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) zeigt, dass junge Menschen häufiger von direkten Rassismuserfahrungen als Ältere berichten. Das mag mit einem geschärften Problembewusstsein bei den Jüngeren zusammenhängen, womöglich aber auch damit, dass junge Betroffene mehr Kontakt zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft haben.

Die Forscher hatten neben der repräsentativen Befragung der Bevölkerung im Alter ab 14 Jahren auch gezielt Angehörige von sechs Minderheiten in den Blick genommen: Schwarze Menschen, Muslime, Asiaten, Sinti und Roma, Juden und osteuropäische Menschen.

58 Prozent erlebten bereits selbst Rassismus

Die Befragten konnten sich dabei sowohl selbst einer dieser Gruppen zuordnen als auch angeben, ob sie von Außenstehenden einer dieser Gruppen zugeordnet werden. Von den Angehörigen der sechs Minderheiten gaben insgesamt 58 Prozent an, schon einmal selbst Rassismus ausgesetzt gewesen zu sein.

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In der Altersgruppe zwischen 14 und 24 Jahren waren es mit rund 73 Prozent aber deutlich mehr als bei den über 65-Jährigen mit 24,2 Prozent. In Bezug auf die einzelnen Gruppen ist die Studie allerdings nicht repräsentativ. Die Antworten von Befragten mit höherer Bildung zeigten dennoch, dass das Ausmaß von Erfahrungen mit Rassismus nichts mit „gelungener Integration“ zu tun habe, betont Dezim-Direktorin Naika Foroutan.

Was ist Rassismus überhaupt?

„Jahrzehntelang wurde Rassismus in Deutschland verschwiegen oder gar bestritten, das wirkt bis heute nach“, sagt die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, Reem Alabali-Radovan. Sie verspricht: „Wir packen Strukturen an, die im Alltag rassistisch diskriminieren – in den Behörden, bei der Polizei, am Arbeits- oder Wohnungsmarkt.“

„Rassismus“ wird in der Studie definiert als eine Ideologie sowie als eine diskursive und soziale Praxis, in der Menschen aufgrund von äußerlichen Merkmalen in verschiedene Gruppen eingeteilt werden, denen per „Abstammung“ verallgemeinerte, unveränderliche Eigenschaften zugeschrieben werden.

Rassismuskritik wird oft abgewehrt

Dass bestimmte ethnische Gruppen, beziehungsweise Völker intelligenter als andere sind, glauben dem Monitor zufolge zwar lediglich neun Prozent der Bevölkerung. Der Aussage, dass gewisse ethnische Gruppen oder Völker „von Natur aus fleißiger sind als andere“, stimmte allerdings rund ein Drittel der Befragten zu.

Die Forscher kommen zu dem Schluss, Rassismuskritik werde oft dadurch abgewehrt, dass Betroffenen eine Hypersensitivität unterstellt werde. Den Angaben zufolge ist ein Drittel der Bevölkerung tendenziell der Auffassung, dass Menschen, die sich über Rassismus beschweren, „häufig zu empfindlich“ seien.

Konkrete Situationen definiert

11,6 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage voll und ganz zu, 21,5 Prozent stimmten ihr eher zu. Um dieses Phänomen genauer zu beleuchten, haben die Wissenschaftler konkrete Situationen zur Beurteilung vorgestellt.

Dabei zeigte sich, dass es beispielsweise knapp zwei Drittel der Bevölkerung voll und ganz (rund 35 Prozent) oder eher (gut 30 Prozent) rassistisch finden, wenn als Angehörige einer bestimmten Minderheit wahrgenommene Menschen bei der Einreise nach Deutschland wesentlich häufiger kontrolliert werden.

„Sie sprechen aber sehr gut Deutsch“

Dass auch nett gemeinte Komplimente als Rassismus empfunden werden können, ist etwa jedem vierten Menschen in Deutschland voll und ganz bewusst. Der Klassiker ist hier der Satz: „Sie sprechen aber sehr gut Deutsch.“

Insgesamt mehr als die Hälfte der Befragten bewertete es als rassistisch, wenn ein Comedian klischeehafte Witze über eine bestimmte ethnische oder religiöse Gruppe macht. Allerdings gehen im Alltag die Meinungen darüber auseinander, was denn ein „klischeehafter Witz“ ist.

Türkische Gemeinden begrüßen Studie

Jede/r Zweite (47 Prozent) der Befragten gibt an, in den vergangenen fünf Jahren schon einmal einer rassistischen Aussage im Alltag widersprochen zu haben. Dennoch lässt sich – bezogen auf bestimmte Wahrnehmungen von Rassismus – auch ein gewisses Abwehrverhalten in der Bevölkerung beobachten.

„Rassismus stachelt Attentäter an“

Fast die Hälfte aller Befragen (44,8 Prozent) stimmte tendenziell der Aussage zu, dass „Rassismusvorwürfe und politische Korrektheit“ die Meinungsfreiheit einschränken. Es sei wichtig, dass mit dem Rassismusmonitor endlich verlässliche Daten zum Umfang des Problems vorlägen, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoğlu, und mahnte ausreichend Mittel für Antirassismus-Projekte an.

Rassismus-Studie aufgeschoben

„Wenn der Haushalt 2022 so bleibt, lässt die Bundesregierung die Opfer von Rassismus de facto für dessen Bekämpfung zahlen.“ Bei Verhandlungen mit staatlichen Stellen habe er zuletzt wiederholt erlebt, dass dieses Thema unter Verweis auf die Kosten der Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine „immer wieder nach hinten geschoben“ werde.

dpa/dtj