Nach Morden in Hessen: „Der rassistische Diskurs wird geduldet

von Pitt v. Bebenburg

Auf die Vorfälle der vergangenen Wochen sind teils rassistisch aufgeladene Debatten gefolgt. Die Ausländerbeiräte in Hessen sind beunruhigt.

Frankfurt - Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben Enis Gülegen, den Vorsitzenden der hessischen Ausländerbeiräte, aufgewühlt: der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die Schüsse auf einen Eritreer in Wächtersbach, der Mord an einem achtjährigen Jungen am Frankfurter Hauptbahnhof. Jedes Mal folgten teilweise rassistisch aufgeladene Debatten. „Wir dürfen nicht zulassen, dass wachsendes Misstrauen durch solche Taten und rechte Hetze unsere Gesellschaft spaltet“, mahnte der Frankfurter Gülegen.

 

Frankfurt: Rechte Hetze spaltet Gesellschaft

Herr Gülegen, Sie wollen nicht zulassen, dass rechte Hetze die Gesellschaft spaltet. Wie wollen Sie das erreichen?
Wir müssen aufzeigen, dass im Rechtspopulismus der Grund liegt, dass wir zur Zeit solche Gewaltausbrüche erleben wie beim Mord an Herrn Lübcke. Der rassistische Diskurs ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Mitte der Gesellschaft. Wenn wir Menschen zu Fremden machen, legitimieren wir deren Andersbehandlung. Das reicht bis zu Gewaltausbrüchen und in letzter Konsequenz bis zu Mord und Totschlag.

Sie haben den Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke erwähnt, der mutmaßlich von einem Neonazi begangen wurde. Es gab auch die Schüsse auf einen Mann aus Eritrea, die offenbar rassistisch motiviert waren. Ist der Rechtsextremismus in der Gesellschaft gefährlicher geworden?
Die Gewalt ist nichts Neues. Wir kennen sie seit den Gewaltausbrüchen in Solingen, Rostock und Hoyerswerda in den 90er Jahren. Was tatsächlich neu ist: Rechtspopulismus und Rechtsextremismus treten enthemmter auf. Diese Morde geschehen nicht im luftleeren Raum. Ihre Grundlage ist der rassistische Diskurs. Er tritt in der Mitte der Gesellschaft auf, dort wird er geduldet. Am Fall Lübcke sehen wir, dass die Gewalt nicht nur Ausländer trifft, dass es nicht nur eine Frage der Ethnizität ist, sondern dass Rechtsextremisten einen ideologischen Kampf führen. Die tödlichen Schüsse von Ohio sind übrigens auch in diese Reihe einzuordnen, auch das ist eine rassistische Tat.

Frankfurt: AfD leigitmiert rassistischen Diskurs

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die AfD?
Die AfD übernimmt die Legitimationsrolle. Sie legt den Nährboden für einen rassistischen Diskurs. Die AfD hat in ihrem Grundsatzprogramm deutlich rassistische Erklärungszusammenhänge. Diese werden in bestimmten Kreisen so aufgenommen, dass man andere bekämpfen darf. Man kann nicht sagen, dass die AfD dadurch zu Mordanschlägen anstiften würde. Aber es ist der Zusammenhang, der hergestellt wird. Das ist das Gefährliche.

Zur Person

Enis Gülegen ist seit 2013 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen (Agah). Er sitzt als Mitglied in der Kommunalen Ausländervertretung in Frankfurt und gehört auch dem Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks an.

Mehr als 90 Ausländerbeiräte sind in der Agah zusammengeschlossen. Sie vertreten die Interessen der ausländischen Bevölkerung in ihrer Kommune oder ihrem Landkreis und werden alle fünf Jahre direkt von der ausländischen Bevölkerung gewählt.

Der Diplompädagoge Gülegen unterrichtet seit mehr als 30 Jahren Deutsch für Menschen, die aus dem Ausland nach Frankfurt gekommen sind. Zuletzt war er mehr als ein Jahrzehnt an der Sophienschule tätig, die zum Schuljahresende geschlossen wurde. Nun wechselt Gülegen an die Philipp-Holzmann-Schule.

Was kann man diesem Klima entgegensetzen?
Wir müssen uns auf unsere demokratischen Grundsätze besinnen. Die Einhaltung dieser Grundsätze von allen, auch von Migranten, ist die einzige Grundlage, auf der wir uns auf ein friedliches Zusammenleben zurückbesinnen können. Wir müssen Diskriminierung bekämpfen, auf allen Ebenen. Auf dem Wohnungsmarkt zum Beispiel ist Diskriminierung eine Tatsache. Der Frankfurter Magistrat hat selbst festgestellt, dass Migranten dort für schlechtere Wohnungen höhere Mieten bezahlen müssen. Es gibt die Diskriminierung im Bildungsbereich, es gibt die Diskriminierung im Arbeitsbereich, es gibt sie überall. Wenn wir sie hinnehmen, legen wir die Grundlage dafür, dass Menschen zu Fremden und zu Außenseitern gemacht werden. Das, was wir jetzt erleben mit den Gewaltausbrüchen, ist die schlimmste Konsequenz, die in der Kontinuität folgt.

Nach dem Mord an einem achtjährigen Jungen im Frankfurter Hauptbahnhof haben Sie betont, dass Nationalität und Hautfarbe des Täters keine Rolle spielen. Läuft die Debatte in die falsche Richtung?
Ja, sofern sie in diese Richtung geführt wird. Von Rechtsradikalen und Rechtspopulisten werden solche Taten bewusst instrumentalisiert. Deswegen haben wir darauf hingewiesen, dass Mord überall Mord ist und auf niederen Beweggründen basiert. Ob jemand einer anderen Ethnie angehört oder einer anderen Religion, das ist völlig egal. Ich möchte aber unterstreichen: Es ist wirklich begrüßenswert, dass nach dem furchtbaren Mord in Frankfurt alle demokratischen Kräfte davor gewarnt haben, dass durch Rechtsradikale und Rechtspopulisten eine Instrumentalisierung versucht wurde.

Sollte die Polizei die Staatsangehörigkeit oder die Hautfarbe eines Täters erwähnen? Sollten die Medien dies tun?
Da gibt es eine sehr begrüßenswerte Linie des Presserats: Wenn es ausschlaggebend ist für die Nachricht, dass die Nationalität erwähnt wird, dann soll sie natürlich erwähnt werden. In dem Fall in Frankfurt habe ich keinen Zusammenhang gesehen, dass der Täter eine dunkle Hautfarbe hat oder einer anderen Ethnie angehört. Insofern wäre es nicht notwendig gewesen zu unterstreichen, dass derjenige ein Eritreer war.