Ärztliche Versorgung in  Niedersachsen im Argen

Es ist bekannt, dass in Deutschland die ärztliche Versorgung nicht mehr wie früher gewährleistet ist. Die demografische Entwicklung in Deutschland hat einen angewachsenen Bedarf an Ärztinnen und Ärzten ergeben. Die Ärztedichte nimmt ab, je ländlicher es wird, umso schlimmer wird es. Eine Bedarfsplanung, die in einem GKV-Versorgungsstrukturgesetz und in Bedarfsplanungsrichtlinien geregelt wurde, wird der Realität zumindest im ländlichen Raum nicht gerecht. Das Durchschnittsalter der praktizierenden Ärzte steigt stetig. Wenn Ärzte in den Ruhestand gehen, haben sie keinen Nachfolger, die Praxis wird geschlossen. In Krankenhäusern gibt es nicht genug ärztliches Personal. Die Fluktuation der Ärzte ist sehr hoch. Es gibt immer bessere, besser bezahlte und attraktivere Stellen, auch im Ausland. Es schließen zudem immer mehr Krankenhäuser oder es werden Hunderte von Betten in Kliniken nicht besetzt oder können nicht besetzt werden. Notfallpatienten werden mit dem Krankenwagen von Krankenhaus zu Krankenhaus gefahren, weil es keine Betten gibt. Krankenwagen müssen sehr häufig mehrere Krankenhäuser anfahren, um ein „freies Bett“ für den Notfallpatienten zu finden. Ein Arzt, von dem man vor einigen Wochen oder Monaten in einer Klinik behandelt wurde, ist bereits nach einigen Monaten nicht mehr da. Ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin kann nicht hergestellt werden. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist entweder kaum noch gegeben oder ist stark gefährdet. Die Bemühungen der Politik und der Kassenärztlichen Vereinigungen haben keine nennenswerten Lösungen gebracht. Solche Zustände sind schwer akzeptabel.

Auch in Niedersachsen ist die wohnortsnah ausreichende und zweckmäßige ärztliche Versorgung der Bevölkerung nicht mehr in der erforderlichen Art und Weise gegeben. Auf dem Lande sind die Versorgungsengpässe enorm angestiegen. In der Landeshauptstadt Hannover wird sogar mehrfach von Betroffenen berichtet, dass sie monatelang auf Facharzttermine warten. Betroffene, die in Krankenhäuser überwiesen werden, müssen wochenlang oder monatelang auf einen Behandlungs- oder Operationstermin warten, so auch vor der Coronaviruskrise. Nicht selten sind Telefonzentralen zwischengeschaltet. Es erfolgt eine Ansage, dass man unterschiedliche Ziffern auf der Tastatur drücken muss, um zu einem anderen oder zuständigeren Operateur weitergeleitet zu werden. Man wird gefragt, ob man eine Überweisung vom Facharzt oder vom Hausarzt hat oder ob man selber als Notfall kommt etc. Eine ähnliche Ansage konnte von der Hotline der Hautklinik MHH in Hannover abgehört werden. Wenn man Pech hat, gelangt man ca. 10 bis 15 Minuten später an eine weitere automatische Ansage, dass man später wieder anrufen soll. Wenn Betroffene krank sind und auf fachärztliche oder ärztliche Hilfe angewiesen sind, wie sollen sie hier klar kommen?

Eine Chance, die sich durch zugewanderte Ärzte und Fachärzte – aus politischen oder anderen Gründen – ergibt, macht sich das Land Niedersachsen nicht oder nur halbherzig zu Nutze. Seit 2015 bis heute sind im Rahmen der Kriegs-, Bürgerkriegs- und Politikflüchtlinge aus Syrien, aus der Türkei, aus Nordafrika und anderen Staaten unter anderem viele Ärzte nach Niedersachsen gekommen und haben hier Schutz gefunden. Sie alle wollen auch sobald wie möglich arbeiten und einen Gegenbeitrag für den Schutz den sie hier bekommen haben, leisten. Bevor sie aber arbeiten dürfen, müssen viele bürokratische Hürden genommen werden. Etwa ein bis zwei Jahre dauert ihr Asylverfahren. Wenn sie das Asylrecht zugesprochen bekommen haben, dürfen sie dann mit den allgemeinen Sprach- und Integrationskursen unterstützt werden. Erst wenn diese Kurse abgeschlossen sind, müssen sie eine sog. Fachsprachprüfung ablegen. Ohne eine solche Fachsprachprüfung bekommen sie keine Approbation und/oder Berufserlaubnis.

  • 3 der BÄO (Bundesärzteordnung) regelt die Approbation, eine sog. dauerhafte Berechtigung

zur Aufnahme einer Arzttätigkeit. Dieses Gesetz verlangt keine Fachsprachprüfung, sondern in Absatz 1 Ziff. 5 „Kenntnisse der deutschen Sprache“. Welches Niveau diese Kenntnisse haben müssen, ist Auslegungssache. Das Nähere regeln die Länder.  

  • 10 BÄO regelt die Voraussetzungen für vorübergehende Berufserlaubnisse. Hierfür werden weder die Fachsprachrachprüfung noch andere Sprachkenntnisse mit niedrigerem Niveau verlangt.

Im Jahr 2014 wurden durch eine Gesundheitsministerkonferenz (GMK) Eckpunkte zur Überprüfung der für die Berufsausübung erforderlichen Deutschkenntnisse in den akademischen Heilberufen beschlossen. Das Sprachniveau für Ärzte und Ärztinnen soll danach im Bereich von C1 sein. Fachsprachprüfungen fallen darunter. 

Die Umsetzung und nähere Regelung dieser Gesetze erfolgt damit durch die Bundesländer. Es gibt in den verschiedenen Bundesländern verschiedene Regelungen bzw. Vorgehensweisen. Während in manchen Bundesländern die Ärzte ohne die Fachsprachprüfung mit der  Berufserlaubnis eine Arbeit aufnehmen oder nach der Aufnahme der Arbeit innerhalb einer vorgegebenen Zeit die Fachsprachprüfung nachreichen dürfen, dürfen sie in anderen Bundesländern keine Berufserlaubnisse und Approbationen bekommen, wenn die Fachsprachprüfung nicht vor der Aufnahme der Tätigkeit absolviert worden ist. Die Bundesländer weisen damit einen Flickenteppich in dieser Sache auf. Das kann nicht nachvollzogen werden. 

Ärzte, die jahrelang ihr Asylverfahren durchgefochten und dann erst  Sprachförderungen erhalten haben, wollen nicht mehr lange zuwarten und eine Arbeit aufnehmen. Sie wollen ihre Hilfe anbieten, insbesondere auch in dieser Pandemiezeit. Sie finden in Bundesländern, in denen die Fachsprachprüfungen nachgereicht werden können oder für befristete Berufserlaubnisse nicht verlangt werden, sofort Arbeit und verlassen das Land Niedersachsen. 

Es ist auf jeden Fall notwendig und richtig, dass ein Arzt der deutschen Sprache mächtig sein muss, um die Leiden der Patientinnen/Patienten zu verstehen, die Behandlungen zu vermitteln und auch die anfallenden Verwaltungsaufgaben erledigen zu können. Aber ein/eine Arzt/Ärztin, der/die monatelang, wenn er/sie Pech hat  keinen Kontakt mehr zu Patientinnen/Patienten und/oder Einheimischen hat – jetzt insbesondere auch noch wegen der pandemiebedingten Kontaktverbote – wird es schwer haben, die Sprache besser lernen bzw. das Erlernte behalten und umsetzen zu können. Das Erlernte aus den Sprachkursen kann nicht angewendet werden. Allenfalls können sie für die Fachsprachprüfung nur theoretisch üben. Das ist nicht als sachdienlich anzusehen.

Erschwerend kommt derzeit auch noch hinzu, dass coronavirusbedingt die Fachsprachprüfungen durch die zuständigen Stellen ausgesetzt sind, so dass sie eine ungewisse Wartezeit zu überstehen haben.

Darüber hinaus gibt es eine andere Problematik bei der Durchführung der Fachsprachprüfungen. Die Prüfungen werden durch den Niedersächsischen Zweckverband zur Approbationserteilung (NiZza) durchgeführt. Die Anzahl der Anträge ist enorm angestiegen. NiZza kann die Anträge nicht mehr innerhalb einer angemessenen Zeit bearbeiten und die Prüfungen durchführen.

Um aber solche Ärzte und Fachärzte nicht zu verlieren sollte sehr schnell eine andere praxisnahe Lösung erarbeitet werden. Das Land Niedersachsen kann es sich nicht leisten, seine Ressourcen zu verlieren oder zu verschenken. Alle Bürger dieses Bundeslandes haben ein Recht darauf, auch die neu aufgenommenen Mitbürger, die in Verfahren, Sprachprüfungen und Integrationskursen durch ihre Steuergelder mit unterstützt werden, zu behalten, zu einem Teil ihrer Gesellschaft zu machen und von ihren Leistungen und Kompetenzen dann auch Gebrauch zu machen. Die Politik darf und sollte hier durch die praxisfremde Umsetzung der §§ 3 und 10 BÄO den Bürgern dieses Recht nicht einschneiden. Eine schnelle Handlung ist dringend notwendig.

FremdenInfo-Team