Die Illusion einer Lösung in der Zange des Imperialismus: Widersprüche und Ungewissheiten
Von: Can Taylan Tapar
Bild Von: Can Taylan Tapar (Archive)
Die Anfang Mai von der PKK angekündigte Kongressentscheidung und die darauffolgende Erklärung zur Selbstauflösung und Waffenabgabe zeigen, dass im "Prozess", der durch die Aufrufe Öcalans und Bahçelis symbolischen Händedruck im Oktober an Fahrt gewann, ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde. Doch dieser Schritt fand, entgegen den angeblichen Schritten der kurdischen politischen Bewegung, keine konkrete öffentliche Antwort von staatlicher Seite; im Gegenteil, er hat die Ungewissheiten noch verstärkt. Bevor wir auf die geklärten und noch unklaren Aspekte der aktuellen Lage eingehen, ist es notwendig, die grundlegenden Dynamiken, die dieser Situation zugrunde liegen, aus einer sozialistischen Perspektive zu beleuchten.
Zunächst sind all diese politischen Erschütterungen, die wir erleben, Teil der globalen Krise des imperialistischen Systems. Dieser Prozess, den wir als "Dritten Weltkrieg" bezeichnen könnten, manifestiert sich in Stellvertreterkriegen, regionalen Konflikten und zunehmender Aufrüstung. Das heutige Zentrum dieses globalen Kampfes ist zweifellos der Nahe Osten. Das zu Beginn des neuen Jahrtausends vom US-Imperialismus entworfene Greater Middle East Project (BOP) ist mit den völkermordähnlichen Angriffen Israels in Palästina und den von den USA unterstützten dschihadistischen Gruppen (z.B. HTS) und deren Versuchen eines Regimewechsels in Syrien in eine zweite, aggressivere Phase eingetreten. Diese Phase wird nicht nur die Landkarten der Region, sondern auch die inneren Dynamiken von Peripherieländern wie der Türkei tiefgreifend beeinflussen und die Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten verschärfen. Dass der Iran in diesem Neuaufteilungskampf als nächstes Ziel angesehen wird, weist auch regionalen Akteuren wie der Türkei und den Kurden neue, widersprüchliche Rollen zu.
In diesem Rahmen versuchen die USA einerseits, dem türkischen Regime die zumindest indirekte Akzeptanz des politischen Status von Rojava aufzuzwingen und Schritte zur Erfüllung einiger Forderungen der Kurden in der Innenpolitik zu erzwingen, andererseits wollen sie die expansionistischen, neo-osmanischen Ambitionen der Erdoğan-Regierung eindämmen. Daher muss betont werden, dass diese Initiative, die von Erdoğan als "Terrorfreie Türkei" und von der kurdischen Bewegung als "Friedens- und Demokratisierungsprozess" dargestellt wird, nicht aus einem erhabenen Ziel des Regimes wie der "Lösung der Kurdenfrage" entstanden ist, sondern durch imperialistischen Druck und das Bestreben, die eigene Zukunft zu sichern. Der türkische Staat ist gezwungen, im Rahmen der Neugestaltungspläne der USA im Nahen Osten zu handeln. Bahçelis Äußerung zu Beginn des Prozesses, "wir würden Territorium verlieren", war eine klare Zusammenfassung dieser Zwangslage. Der Staat ist bestrebt, diese Situation mit minimalen Zugeständnissen zu überwinden und die kurdische Dynamik unter Kontrolle zu halten.
In diesem Prozess sind die Interessenkonflikte und strategischen Differenzen zwischen den herrschenden Klassengruppen, die von Erdoğan und Bahçeli vertreten werden, noch deutlicher geworden. Während Bahçeli versucht, den Prozess im Einklang mit den US-Plänen zu führen und dabei die Interessen des traditionellen Staatsapparates und des atlantischen Kapitals zu wahren, hat Erdoğan aufgrund der Risiken, die diese Pläne für seine persönliche Macht und sein System bergen, von Anfang an unentschlossen agiert und versucht, den Prozess zu einem Verhandlungsinstrument zur Sicherung seiner eigenen Zukunft zu machen. Dass Erdoğan seine expansionistischen Ziele in Syrien nicht aufgibt und den Prozess als Trumpfkarte für seine politisch-juristische Rettung betrachtet, ist ein Beweis dafür. Es darf nicht vergessen werden, dass sich das faschistische Regime in der Türkei unter der Führung von AKP-MHP und unter Einbeziehung von Ergenekon-Überbleibseln gefestigt hat. In tiefen Krisenzeiten treten jedoch die inneren Widersprüche solcher Blöcke zutage und die Risse vertiefen sich. Die Spannung zwischen Erdoğans Haltung, die seine eigenen engen Interessen in den Vordergrund stellt, und der von Bahçeli vertretenen "Staatsräson" ist der sichtbarste dieser Risse.
Für die USA ist die vorrangige Frage die Erlangung eines politischen Status für die kurdische Entität in Rojava und die Schaffung eines von ihnen kontrollierten Gebiets im Norden Syriens. Es scheint, dass die Türkei gezwungen war, im Gegenzug für die Beendigung des bewaffneten Kampfes der PKK innerhalb der Türkei einer wie auch immer gearteten Anerkennung des De-facto-Zustands von Rojava zuzustimmen. Öcalans Aufruf Ende Februar, in dem er Forderungen wie Unabhängigkeit und Föderation als "extremen Nationalismus" bezeichnete und lediglich die Offenhaltung legaler politischer Kanäle forderte, bereitete den Boden dafür, dass die Türkei auch der PYD ein ähnliches Diktat – "Waffen niederlegen, keinen Status fordern, sich an legaler Politik beteiligen" – aufzwingen konnte. Sogar das im März zwischen der SDG und Damaskus (damals Assad, heute die von HTS kontrollierte Struktur) getroffene Abkommen, das keine Statusforderung enthielt, wurde so interpretiert, dass die Kurden dieses Diktat akzeptiert hätten.
Doch die klare Verkündung der Forderung nach einem "demokratischen, laizistischen und multinationalen föderativen Syrien" auf der Konferenz der Kurdischen Einheit Rojavas Ende April, die Anerkennung der nationalen Existenz der Kurden und die Forderung nach verfassungsrechtlichen Garantien wie der Anerkennung des Kurdischen als Amtssprache, veränderten diese Gleichung. Es war offensichtlich, dass die türkische Führung hinter der Antwort der neuen Regierung in Damaskus (HTS) stand, die auf diese Forderung mit "wir werden keine Föderation zulassen" reagierte. Jedoch scheinen die verdeckte und offene Unterstützung aus den USA und der EU diese harten Reaktionen gemildert zu haben. Auch wenn Erdoğans Rhetorik "auch die PYD muss die Waffen niederlegen" andauert, sind die Verlegung schwerer Waffen und Panzer durch die USA in strategische Gebiete wie Kobane und Rumeylan sowie gemeinsame Manöver mit der SDG ein klares Zeichen dafür, dass Rojava kein leichter Bissen sein wird. Gerüchte, wonach die HTS-Führung Gespräche mit Trump anstrebte und im Gegenzug für die Aufhebung von Sanktionen versprach, nicht weiter Widerstand zu leisten, deuten darauf hin, dass die Pläne der USA in der Region vorerst aufgehen. Obwohl diese Situation die Ungewissheiten an der Rojava-Front etwas gemindert hat, besteht Erdoğans Potenzial, Probleme zu verursachen, weiterhin.
Zunehmende Repressionen des Regimes und bewusste Unsicherheitspolitik
Die von Anfang an fehlende Transparenz des "Prozesses" und die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen haben zu zahlreichen Spekulationen geführt. Entgegen den angeblichen konkreten Schritten der kurdischen Bewegung gab es vom türkischen Regime keinen greifbaren Schritt, der die Öffentlichkeit überzeugt hätte. Dies ist der Hauptgrund für das Misstrauen und die Unsicherheit bezüglich des Prozesses. Es ist offensichtlich, dass der herrschende faschistische Block nicht die Absicht hat, auch nur die grundlegendsten demokratischen Rechte des kurdischen Volkes anzuerkennen – dies zeigt sich nicht nur an dem, was nicht getan wird, sondern auch an den getätigten Äußerungen. Selbst die versprochenen Schritte (Verbesserung der Haftbedingungen Öcalans, Abschaffung der Zwangsverwalter, Freilassung kranker Gefangener usw.) werden nicht offiziell bestätigt, sondern mit der Begründung "es gibt keine Verhandlungen" dementiert. Die Ablehnung von Bahçelis Vorschlag einer "Kommission für Nationale Einheit und Solidarität" durch die AKP zeigt, dass das Regime solche Schritte erst nach der "vollständigen Zerschlagung" der PKK in Erwägung zieht.
Erdoğan betrachtet diesen Prozess als Instrument zur Stärkung seiner eigenen Macht und zur Rettung vor einer möglichen Strafverfolgung; er versucht, seine eigene Agenda mit Erpressung und Diktat durchzusetzen. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die grundlegenden politischen Forderungen des kurdischen Volkes wie verfassungsmäßige Staatsbürgerschaft, Bildung in der Muttersprache und lokale Selbstverwaltung erfüllt und verfassungsrechtlich garantiert werden. Für Erdoğan hat die Debatte um eine "neue Verfassung" nur einen Sinn: seine Wiederwahl zu ermöglichen und die Fortsetzung des gegenwärtigen autoritären Regimes zu sichern. Es ist klar, dass diese Rhetorik der "Demokratisierung" für die arbeitenden Klassen und die unterdrückten Völker nichts als eine Täuschung ist.
Die chauvinistische Opposition, einschließlich des "nationalistischen" Flügels innerhalb der CHP, setzt jede Art von Provokation ein, um den Prozess zu torpedieren. Mit unwahren Behauptungen wie "Auch wenn die PKK sich auflöst, müssen sich auch KCK und YPG auflösen" oder "Sie wollen in die Zeit vor Lausanne und die Verfassung von 1924 zurückkehren" wird eine chauvinistische Protestwelle erzeugt und die Kurdenfrage lediglich auf ein "Terrorproblem" reduziert, um eine Lösungslosigkeit zu erzwingen. Leider beteiligen sich auch einige sozialchauvinistische Gruppen, die sich als "Sozialisten" bezeichnen, an diesem Chor.
Das in der Türkei herrschende faschistische Regime hat kein Ziel der "Demokratisierung", es kann es auch nicht haben. Schritte wie die Verbesserung der Haftbedingungen Öcalans oder die Freilassung einiger politischer Gefangener bedeuten allenfalls eine vorübergehende Lockerung einiger faschistischer Praktiken, aber keine echte Demokratisierung. Erdoğan verschärft Unterdrückung und Willkür, um seine Macht zu erhalten, setzt mit "Sammelgesetzen" antidemokratische Regelungen um und versucht seit dem 19. März mit Tausenden von Festnahmen und Hunderten von Verhaftungen, die gesellschaftliche Opposition einzuschüchtern. Von einer Regierung, die sogar Straßeninterviews verbieten will und alles versucht, um İmamoğlu und die CHP auszuschalten, eine Demokratisierung zu erwarten, wäre naiv. Die Tatsache, dass mit neuen Justizpaketen Amnestien für Mafia- und Vergewaltigungsverbrecher erlassen werden, während die Strafen für politische Meinungsäußerungen und Handlungen erhöht werden, ist ein konkretes Beispiel für diese Mentalität.
Während das kurdische Volk lokale Autonomie erwartet, plant Erdoğan unter dem Namen "Provinzentwicklungsrat" die Übertragung von Befugnissen der Kommunen an die Gouverneursämter, um oppositionelle Kommunen handlungsunfähig zu machen. Das Verbot für Kommunen mit Steuerschulden, Auslandskredite aufzunehmen, und Pläne, Streikverbote für Kommunalangestellte zu erlassen, zeigen auch die Dimension dieser Angriffswelle gegen die Arbeiterklasse.
Doch trotz Erdoğans Anschein allumfassender Macht vertiefen sich die Risse innerhalb des faschistischen Blocks, das Regime verliert an Boden. Vorfälle wie die "Schwertzeremonie" innerhalb der Militärbürokratie, Rücktritte und Erdoğans Bemühungen, seine Kontrolle über die Armee zu verstärken, sind ein Spiegelbild dieser inneren Spannungen. Kritische Stimmen aus Teilen der Bourgeoisie wie TÜSİAD und die teilweise Veränderung der oppositionellen Rhetorik der CHP sind ebenfalls Anzeichen für das Unbehagen innerhalb der herrschenden Klasse. Gerüchte, wonach Erdoğan einige ihm nahestehende Kapitalgruppen wegen deren Annäherung an die CHP bedroht haben soll, sind ein Zeichen seiner geschwächten Position.
Dennoch wird das endgültige Schicksal des Prozesses nicht nur von inneren, sondern vor allem von äußeren Dynamiken, insbesondere von den Schritten des US-Imperialismus im Nahen Osten, bestimmt werden. Erdoğan wird die Macht nicht leicht aufgeben. Szenarien für die Zukunft des Regimes müssen unter Berücksichtigung dieser vielschichtigen Widersprüche und Ungewissheiten bewertet werden.
An diesem Punkt ist es von entscheidender Bedeutung, die Klassenperspektive keinen Augenblick zu verlieren. Andernfalls ist es sehr leicht, sich Hoffnungen auf innere und äußere bürgerliche Kräfte zu machen und liberal-parlamentarischen Illusionen zu verfallen. Solche Illusionen dienen nur dazu, die Millionen von Werktätigen, die gegen das Regime kämpfen, und die erwachende Jugend zu passivieren. Die Strategie der CHP, den Kampf auf vorgezogene Wahlen und die Wahlurne zu beschränken, behindert die Entwicklung einer unabhängigen, tiefgreifenden Volksbewegung. Die CHP wünscht sich eine von ihr kontrollierte, begrenzte Bewegung; sie fürchtet, wie alle anderen bürgerlichen Kräfte auch, eine von der Basis ausgehende Volksdynamik.
Es darf nicht vergessen werden, dass die demokratischen Rechte und Freiheiten, die die Arbeiterklasse und die Unterdrückten dringend benötigen, weder von internen Machtkämpfen im Staat noch von bürgerlichen Oppositionsparteien erwartet werden können. Sich der Illusion hinzugeben, dass mit Erdoğans Abgang alles sofort besser wird, ist ein großer Fehler. Erdoğans Abgang allein bedeutet nicht das Ende der kapitalistischen Ausbeutungsordnung und der von ihr geschaffenen Unterdrückungsmechanismen. Die heutige Welt ist keine Welt der Demokratie- und Friedenswinde, sondern eine Welt, in der Krieg, Faschismus und zunehmende autoritäre Tendenzen stärker werden. Wie kann in einem solchen Umfeld ohne den Druck einer aufstrebenden Arbeiterbewegung von Demokratisierung die Rede sein? Selbst eine Rückkehr zu einem Parlamentarismus alten Typs würde unter den gegenwärtigen Bedingungen zu einer schwächeren, antidemokratischeren Struktur als in der Vergangenheit führen.
Die Erringung demokratischer Rechte und Freiheiten ist nicht durch Wahlurnen oder in den Korridoren der bürgerlichen Politik möglich, sondern nur und ausschließlich durch einen antifaschistischen, antiimperialistischen, demokratischen Volkskampf unter Führung der Arbeiterklasse, gemeinsam mit anderen werktätigen Schichten und unterdrückten Völkern. Dieser Kampf muss nicht nur das gegenwärtige Regime, sondern auch die Grundlagen des kapitalistischen Systems, das es hervorbringt, in Frage stellen.
Can Taylan Tapar
Metnin Türkçesinden tercüme
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