Die Strategien des Erdoğan-Regimes für eine lebenslange Herrschaft kann dauren.
Von Can Taylan Tapar

Can Taylan Tapar (Bild Archiv)
Die Türkei erlebt eine Periode, in der die Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) unter Führung von Recep Tayyip Erdoğan ihre Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung und alle oppositionellen Gruppen im Namen des Schutzes der Interessen der Kapitalistenklasse und der Festigung ihrer eigenen Macht rücksichtslos verschärft. Erdoğans Ziel einer lebenslangen Herrschaft ist das Produkt eines Strebens nach einer raffinierten und vielschichtigen bonapartistischen Herrschaft, die auch die letzten Überreste der bürgerlichen Demokratie beseitigt. Dieses Streben zeigt sich in einem breiten Spektrum, das von der Gestaltung der Opposition über die Manipulation der Kurdenfrage und die Amtsenthebung gewählter Bürgermeister bis hin zur Untergrabung gesellschaftlicher Bündnisse reicht.
Die Gestaltung der Opposition: Kontrollierter Raum, illusionistischer Wettbewerb
Die grundlegende Strategie des Erdoğan-Regimes besteht darin, die Opposition nach eigenem Gutdünken zu formen, um die Entstehung einer echten Alternative zu verhindern:
Medienblockade und Lügenproduktionszentren: Während eine riesige Medienarmee von A Haber bis Sabah Tag und Nacht Regierungspropaganda verbreitet, stehen Arbeiterzeitungen wie BirGün, Evrensel und oppositionelle Kanäle wie Tele1, Halk TV unter ständigem Druck und Zensurdrohungen. Oppositionelle Führer und Bewegungen werden mit Etiketten wie „Terrorist“, „Verräter“, „Marionette ausländischer Mächte“ dämonisiert.
Der Knüppel der Justiz: Die Justiz, die ihre Unabhängigkeit verloren hat, ist zu einem Instrument der Regierung zur Einschüchterung und Ausschaltung von Oppositionellen geworden. Selahattin Demirtaş, Figen Yüksekdağ, Osman Kavala und unzählige Journalisten, Akademiker und Gewerkschafter sind Ziel dieses Knüppels geworden. Dies ist die Widerspiegelung des Klassenkampfes im juristischen Bereich; das bürgerliche Recht wird gebeugt und verdreht, um die Interessen der herrschenden Klasse zu schützen.
Teile, Zersplittere, Herrsche: Die inneren Widersprüche des Oppositionsblocks werden ständig geschürt, und es wird versucht, mit falschen Unterscheidungen wie „national-unnational“, „einheimisch-ausländisch“ eine geeinte Front der Werktätigen und Unterdrückten zu verhindern. Der Austritt der İYİ-Partei aus dem Bündnis der Nation und ihre anschließenden Irrwege können auch als Ergebnis dieser Taktiken gelesen werden.
Herstellung einer „akzeptablen“ Opposition: Das Regime strebt nach einer „gezähmten“ Opposition, die die Grundlagen des Systems nicht in Frage stellt. Während solchen Akteuren Raum gegeben wird, wird die sozialistische und revolutionäre Opposition gewaltsam unterdrückt.
Der Zwang zur Ausrichtung der kurdischen Bewegung: Unterdrückung, falsche Friedensrhetorik und Politik der Lösungslosigkeit
Die Kurdenfrage ist eine strukturelle Krise des türkischen Kapitalismus und des Staatsapparates. Das Erdoğan-Regime hat sich darin geübt, diese Krise zur Festigung seiner eigenen Macht zu nutzen:
Der Betrug des „Lösungsprozesses“ und sein Zusammenbruch: Der „Lösungsprozess“, der bis zum Dolmabahçe-Abkommen reichte, war eine Taktik des Regimes, um die kurdische Bewegung hinzuhalten, seine Basis zu konsolidieren und sich international als „Friedensbotschafter“ zu inszenieren. Als jedoch grundlegende Forderungen der Kurden wie die demokratische Autonomie mit den autoritären Zielen des Regimes kollidierten, wurde der Prozess schnell zum Scheitern gebracht und wich dem Staatsterror in Städten wie Cizre, Sur und Nusaybin.
Zwangsverwalter-Putsche und politischer Genozid: Die systematische Einsetzung von Zwangsverwaltern in den Gemeinden der HDP (jetzt DEM-Partei) bedeutete die Usurpation des Willens des kurdischen Volkes in Städten wie Diyarbakır, Van und Mardin. Tausende kurdische Politiker, einschließlich der Ko-Vorsitzenden, wurden unter fadenscheinigen „Terror“-Vorwürfen inhaftiert. Dies ist eine Operation zur Zerstörung der demokratischen Errungenschaften des kurdischen Volkes und zur Brechung seines politischen Willens.
Niederlegung der Waffen durch die PKK und Gespräche mit der DEM-Partei: Eine neue Manipulation?
Die jüngst aufgekommenen Behauptungen über eine Waffenabgabe und Selbstauflösung der PKK sowie die angeblich geführten Gespräche zwischen der DEM-Partei und dem Staat müssen aus sozialistischer Perspektive mit tiefem Misstrauen betrachtet werden. Das Regime könnte die bewaffnete Kraft der kurdischen Bewegung liquidieren wollen, um eine Erfolgsgeschichte im „Kampf gegen den Terror“ zu schreiben und die DEM-Partei in eine wirkungslose Marionette innerhalb seines Systems zu verwandeln. Dies ist ein Versuch, die grundlegenden Rechte und Freiheiten des kurdischen Volkes nicht zu erfüllen, das Problem auf eine reine „Sicherheitsfrage“ zu reduzieren und die kurdischen Werktätigen noch anfälliger für Ausbeutung zu machen. Ziel ist es, die kurdische Bewegung entweder vollständig zur Kapitulation zu zwingen oder sie auf eine Linie zu bringen, die der Definition des Regimes eines „akzeptablen Kurden“ entspricht, um sie als breiteren Fokus der Opposition auszuschalten. Dies verfolgt auch das Ziel, das Potenzial eines gemeinsamen Klassenkampfes der türkischen und kurdischen Werktätigen zu untergraben.
İmamoğlu und andere Bürgermeister: Die aufstrebende Opposition und der städtische Konsens im Visier
Der Übergang der Großstadtverwaltungen, insbesondere in Istanbul und Ankara, an die von der CHP geführte Opposition bei den Kommunalwahlen 2019 war für das Erdoğan-Regime eine große Erschütterung.
Die Inhaftierung von İmamoğlu und seinem Team: Die Tatsache, dass İmamoğlu und sein Team unter verschiedenen Vorwänden immer noch inhaftiert sind, und die Diskussionen über politische Verbote zielen nicht nur auf eine Person, sondern auf den Willen von Millionen von Wählern ab. Dies ist das konkreteste Beispiel dafür, wie die Justiz als politischer Knüppel eingesetzt wird. Ziel ist es, Istanbul, eine der stärksten Hochburgen der Opposition, zurückzuerobern, einen möglichen Präsidentschaftskandidaten auszuschalten und dem Volk die Botschaft zu vermitteln: „Die Wahlurne bedeutet für euch nichts.“ Dies ist auch Ausdruck des Wunsches, die riesigen Pfründe Istanbuls zu kontrollieren.
Untergrabung des „städtischen Konsenses“: Eine der grundlegenden Dynamiken des Erfolgs von 2019 war die verdeckte oder offene Zusammenarbeit zwischen der CHP und der damaligen HDP (jetzt DEM-Partei), die als „städtischer Konsens“ bezeichnet wurde. Dieser Konsens hatte insbesondere in den Großstädten dafür gesorgt, dass die Unterstützung kurdischer Wähler den Oppositionskandidaten zugutekam. Das Erdoğan-Regime versucht, dieses Bündnis zu zerschlagen, indem es es als „Zusammenarbeit mit dem Terror“ abstempelt und den Druck auf die DEM-Partei erhöht. Dass sich auch einige nationalistische Elemente innerhalb der CHP dieser Rhetorik anschließen, spielt dem Regime in die Hände. Das Anvisieren des städtischen Konsenses ist Teil der Strategie des Regimes, selbst die breitesten Bündnisse gegen sich zu zerschlagen und die Vereinigung der Werktätigen gegen den gemeinsamen Feind zu verhindern. Beispielsweise kann die Tendenz der DEM-Partei, bei den Kommunalwahlen mit eigenen Kandidaten anzutreten, auch als Ergebnis dieser Druck- und Gestaltungsoperationen bewertet werden.
Sozialistische Perspektive und Ausweg: Klassenbasierter vereinter Widerstand
Diese Schritte des Erdoğan-Regimes sind nicht nur Ausdruck eines persönlichen Machtstrebens, sondern eine Widerspiegelung der Interessen der einheimischen Kapitalistenklasse und des internationalen Imperialismus, die versuchen, die zusammenbrechende neoliberale Ordnung aufrechtzuerhalten. Angesichts zunehmender Armut, Arbeitslosigkeit, hoher Lebenshaltungskosten und sich vertiefender Ausbeutung wird die Autoritarisierung als Mittel zur Unterdrückung des Zorns der Arbeiterklassen aufgezwungen.
Die Aufgabe der Sozialisten:
Klassenorientierte Einheitsfront: Den gemeinsamen, unabhängigen Klassenkampf der türkischen und kurdischen Werktätigen, der Frauen, der Jugend, aller unterdrückten Völker und Glaubensgruppen zu organisieren. Die „Teile-und-herrsche“-Taktiken des Regimes und der etablierten Parteien zu entlarven.
Ununterbrochener Kampf für demokratische Rechte und Freiheiten: Freilassung aller inhaftierten politischen Gefangenen (einschließlich İmamoğlu, Demirtaş, Kavala und anderer), Beendigung des Zwangsverwalterregimes, bedingungslose Verteidigung der Meinungs- und Organisationsfreiheit.
Antikapitalistisches, antiimperialistisches Programm: Klar darlegen, dass die Ursache des Problems das kapitalistische System und sein kollaboratives Regime in der Türkei ist. Nicht nur den Abgang Erdoğans fordern, sondern das Ziel einer ausbeutungsfreien, klassenlosen, egalitären und freien Gesellschaft hochhalten.
Unabhängige Organisation und Medien: Gegen den Propagandaapparat des Kapitals und der Regierung die eigenen unabhängigen Organisations- und Kommunikationskanäle des Volkes stärken.
Der Traum des Erdoğan-Regimes von einer lebenslangen Herrschaft kann nur durch den vereinten und militanten Kampf der Arbeiterklassen und der unterdrückten Völker unter Führung einer Avantgardepartei, die mit sozialistischem Bewusstsein und Programm ausgestattet ist, in einen Albtraum verwandelt werden. Ziel sind nicht bürgerliche Restaurationsphantasien, sondern eine echte Arbeiter-und-Werktätigen-Macht, die der Herrschaft des Kapitals und seines Staates ein Ende setzt.