Kehrtwende der Türkei: Erdoğan umwirbt Assad
Seit vier Wochen umwirbt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den syrischen Machthaber Baschar al-Assad. Er wolle sich mit Assad in der Türkei oder einem Drittland treffen, um die Beziehungen zu Syrien zu normalisieren, sagte er. Als Vermittler solcher Gespräche nannte er den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den irakischen Ministerpräsidenten Mohammed Schia al-Sudani. Seither wird in regierungsnahen türkischen Medien aufgeregt über vermeintliche Vorbereitungen für ein solches Treffen in Moskau oder Bagdad spekuliert. Dabei hat Assad signalisiert, dass er vorerst kein Interesse daran hat, solange die Türkei nicht bereit ist, über einen Zeitplan für einen Abzug ihrer Truppen aus Syrien zu sprechen.
Ein Grund für Erdoğans Vorstoß ist der Unmut in der türkischen Bevölkerung über die mehr als drei Millionen syrischen Flüchtlinge im Land. Vor einem Monat schlug die Feindseligkeit in Gewalt um. In mehreren türkischen Städten wurden syrische Geschäfte angegriffen, nachdem ein Syrer verdächtigt worden war, seine Nichte missbraucht zu haben. Hinzu kommt, dass der Oppositionsführer Özgür Özel eine Reise nach Damaskus ankündigte, um im Gespräch mit Assad „das Flüchtlingsproblem der Türkei zu lösen”.
Zwar ist es unwahrscheinlich, dass eine Annäherung beider Länder dazu führen würde, dass eine signifikante Zahl geflüchteter Syrer zurückkehrt. Doch in der türkischen Bevölkerung ist diese Erwartung verbreitet. Darauf spielt auch Erdoğan an. „Sie verkaufen einen Traum, der da heißt, wir schließen Frieden mit Assad und die Flüchtlinge werden zurückgehen”, sagt der Türkeifachmann Salim Çevik von der Stiftung Wissenschaft und Politik. So wolle die Regierung Zeit gewinnen. Bis zur nächsten Präsidentenwahl seien Verbesserungen in den türkisch-syrischen Beziehungen denkbar, die es der Regierung erlauben würden, „dank der Kontrolle der Medien den Traum für eine Weile aufrecht zu erhalten“.
rdoğan unter Druck durch Bündnispartner
Zusätzliche Dringlichkeit hat das Thema für den Präsidenten bekommen, seit er fürchten muss, dass sein utranationalistischer Bündnispartner Devlet Bahçeli und dessen MHP die Flüchtlingsfrage nutzen könnten, um ihn unter Druck zu setzen. An den Übergriffen auf syrische Geschäfte hatten sich offenbar viele MHP-Anhänger beteiligt. Manche zeigten den mit der Partei verbundenen Wolfsgruß und riefen Erdoğan zum Rücktritt auf. Daran hat die MHP zwar kein Interesse, aber seit Erdoğans Niederlage bei den Kommunalwahlen im März fordert sie ein größeres Stück vom Kuchen.
Vor den antisyrischen Krawallen hatte Bahçeli erstmals seit Langem eine Rückkehr der Flüchtlinge gefordert. „Wenn er dies öfter machen würde, könnte er es Erdoğan schwer machen“, sagt der Türkeifachmann Çevik. Mit ihrem Einfluss im Polizeiapparat und ihren Verbindungen zu Mafia- und Schlägertruppen könne die MHP leicht neue Krawalle entfachen. Die Einladung an Assad sei insofern eine „Präventivmaßnahme“.
Schon vor der jüngsten Präsidentenwahl im Jahr 2023 hatte Erdoğan auf ein Treffen mit Assad gedrängt, woraus aber nichts wurde. Nach seiner Wiederwahl verschwand das Thema in der Schublade. Auf Ministerebene wurden aber Kommunikationskanäle geöffnet. Die Geheimdienstchefs, Außen- und Verteidigungsminister beider Länder trafen sich, vermittelt von Russland. Die Annäherung war Teil einer neuen Regionalstrategie der Türkei.
Wahlsieg Donald Trumps hätte Auswirkungen auf die Region
In den Jahren der Arabellion hatte Erdoğan auf einen Erfolg der Muslimbrüder und anderer islamistischer Kräfte gesetzt. Als sich das als Fehlkalkulation erwies, vollzog der Präsident eine Kehrtwende und suchte die Wiederannäherung an Ägypten und Saudi-Arabien. Im Fall Assads ist es eine Kehrtwende von der Kehrtwende. Vor dem syrischen Bürgerkrieg hatte Erdoğan so enge Beziehungen zu dem Machthaber gepflegt, dass die beiden mit ihren Familien sogar einen gemeinsamen Urlaub in Bodrum verbrachten. Nach Beginn des Krieges stellte er sich dann an die Seite der Rebellen, die Assad stürzen wollten.
Seine Charmeoffensive Richtung Damaskus hat auch mit globalen Entwicklungen zu tun. Dazu gehört die Erwartung der Türkei, dass die Vereinigten Staaten im Fall eines Wahlsiegs Donald Trumps ihre Truppen aus Syrien zurückziehen könnten. „Wenn die USA raus sind, brauchen die syrischen Kurden eine neue Schutzmacht. Sie würden sich an das Regime in Damaskus und an Russland wenden“, sagt Özgür Ünlühisarcıklı, der Landesdirektor des German Marshall Fund of the United States in Ankara. Einer solchen Entwicklung wolle die Türkei durch eine Vereinbarung mit Assad vorgreifen. Ankara betrachtet die kurdische YPG-Miliz als syrischen Arm der Terrorgruppe PKK. Für Amerika ist die Miliz dagegen ein Verbündeter im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“.
Als weitere Triebfeder sieht Ünlühisarcıklı die Sorge, dass sich der Gazakrieg zu einem regionalen Flächenbrand ausweiten könnte. Vor diesem Hintergrund wollten Erdoğan und Assad ihre Optionen erweitern. In diesem Zusammenhang scheint relevant, dass sich der mit Iran verbündete irakische Ministerpräsident als Vermittler angeboten hat. Das deutet darauf hin, dass Teheran einer Annäherung zwischen Syrien und der Türkei nicht im Wege stehen will. Große Schritte sind aber vorerst nicht zu erwarten. Ein Abzug der türkischen Truppen, die derzeit rund zehn Prozent des syrischen Territoriums besetzt halten, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Schon deshalb, weil die Türkei damit rechnen müsste, dass dann viele weitere Syrer vor den Truppen Assads in die Türkei fliehen würden.